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30.11.2016

 

Syrien "Der Krieg wird noch jahrelang weitergehen"

 

Nach Einschätzung des Nahost-Experten Michael Lüders werden die syrischen Regierungstruppen das umkämpfte Ost-Aleppo binnen Tagen vollständig einnehmen. Ein Grund dafür sei ein Deal zwischen der Türkei und Russland, sagte Lüders im DLF. Stabilität werde das aber nicht bringen. Michael Lüders im Gespräch mit Christine Heuer

 

Die Rückeroberung von Ost-Aleppo sei ein sehr wichtiger symbolischer Sieg, aber der Krieg in Syrien werde dennoch weitergehen, betonte Nahost-Experte Michael Lüders im Deutschlandfunk. (Imago / allefarben-foto)

Wenn die Regierungstruppen Ost-Aleppo von den Rebellen rückeroberten, habe Machthaber Baschar al-Assad wieder alle städtischen Zentren Syriens unter Kontrolle und seine Macht damit konsolidiert, so Lüders. Als entscheidenden Grund, warum der Widerstand der Aufständischen in Ost-Aleppo zusammengebrochen sei, nannte er einen Deal zwischen der Türkei und Russland: "Erdogan wurde von Putin angehalten, die Dschihadisten nicht mehr aus der Türkei mit Waffen zu beliefern. Das hat er weitgehend eingestellt. Im Gegenzug hat er freie Hand bekommen, militärisch gegen die Kurden im Norden Syriens vorzugehen."

 

"Die Konflikte in Syrien und im Irak sind eng miteinander verwoben"

 

Die Opposition in Syrien und damit auch die Dschihadisten seien allerdings auch jahrelang vom Westen unterstützt worden, betonte Lüders. Die USA, die EU, die Türkei und die Golfstaaten hätten Assad um jeden Preis stürzen wollen. Diese Strategie sei nicht aufgegangen. "Diese Leute, die man so lange unterstützt und bewaffnet hat, die werden natürlich versuchen, in den Untergrund zu gehen und mit Terror und Gewalt, Sprengstoffanschlägen und so weiter den Krieg fortzusetzen", sagte Lüders. Der Krieg werde daher andauern, zumal er auch von dem Konflikt im Irak nicht zu trennen sei. "Wir haben weiterhin unruhige Jahre zu erwarten."

Das Interview in voller Länge:

Christine Heuer: Stündlich wird in diesen Tagen das Ende der Entscheidungsschlacht um Aleppo erwartet. Wenn es der syrischen Armee mit Unterstützung Russlands und des Iran gelingt, die Rebellen von dort zu vertreiben, dann gilt der Syrien-Krieg gemeinhin als entschieden. Dann hat das Assad-Regime ihn gewonnen. Aber was dann? Fragen jetzt an den Publizisten, Berater und Nahost-Experten Michael Lüders. Guten Morgen!

Michael Lüders: Schönen guten Morgen, Frau Heuer. Hallo!

Heuer: Gibt es noch einen Zweifel, dass Assad Ost-Aleppo zurückgewinnt?

Lüders: Nein, den gibt es nicht. Es ist nur noch eine Frage von wenigen Tagen, bis Ost-Aleppo vollständig rückerobert sein wird von der syrischen Armee. Und das bedeutet dann in der Tat, dass alle Vorstellungen, dass Baschar al-Assads Regime kippen könnte, dass es gestürzt werden könnte, beendet sein werden. Er hat dann seine Macht konsolidiert und alle städtischen Zentren in Syrien von Bedeutung zurückerobert.

 

"In Syrien findet ein Stellvertreterkrieg zwischen den USA und Russland statt"

Heuer: Das heißt, Aleppo bringt tatsächlich die Entscheidungsschlacht für den gesamten Syrien-Krieg? Wer Aleppo am Schluss gewinnt, der hat diesen Krieg gewonnen?

Lüders: Soweit würde ich nicht gehen. Es ist ein sehr wichtiger symbolischer Sieg, aber der Krieg wird dennoch weitergehen. Er wird noch Jahre weitergehen. Ein Ende ist keineswegs in Sicht. Denn wir müssen uns vor Augen halten, dass in Syrien ein Stellvertreterkrieg stattfindet, ein Stellvertreterkrieg vor allem zwischen den USA und Russland.

Zu Beginn der Volkserhebung in Syrien haben sich die USA, die Europäische Union, die Türkei und die Golfstaaten entschlossen, das Regime von Baschar al-Assad um beinahe jeden Preis zu stürzen, indem man eine zunehmend radikaler werdende, von Dschihadisten geprägte Opposition militärisch und finanziell gestützt hat, während Russland, der Iran und China alles daran gesetzt haben, das Regime von Baschar al-Assad an der Macht zu erhalten, um nicht einen Durchmarsch des Westens in Syrien zu ermöglichen.

Und man muss klar und deutlich sagen, dass diese Strategie vor allem Washingtons nicht aufgegangen ist und dass nunmehr Russland und der Iran, im Hintergrund China, die geostrategischen Gewinner dieses Pokers sind. Aber der Kampf wird weitergehen, noch viele Jahre, wie gesagt, weil so viele Akteure von außen einwirken, nicht zuletzt die Türkei, die parallel einen Krieg führt gegen die Kurden im Norden Syriens.

 

"Es wird keine Stabilität geben"

Heuer: Wenn Sie sagen, dieser Krieg wird noch Jahre weitergehen, wie ist das Szenario? Wie muss man sich das dann vorstellen?

Lüders: Es wird keine Stabilität geben. Die Konflikte in Syrien und im Irak sind eng miteinander verwoben. Das muss man immer sich vor Augen halten. Wir haben jetzt den Kampf um Ost-Aleppo. Parallel dazu ist der Vormarsch zu sehen auf die nordirakische Stadt Mossul, die zweitgrößte Stadt im Irak, die vom Islamischen Staat gehalten wird.

Die Ironie ist dabei, dass diejenigen, die am meisten Widerstand leisten in Ost-Aleppo, genauso Dschihadisten sind wie das mit dem Islamischen Staat in Mossul der Fall ist. Allerdings sind diese Dschihadisten im Osten Aleppos, allen voran die Nusra-Front, in den letzten Jahren enge Verbündete des Westens, der USA, der Türkei und der Golfstaaten gewesen, die von dort Waffen und Geld bekommen haben, und sie werden wahrscheinlich auch weiterhin unterstützt werden.

Der Krieg wird weitergehen und er wird nicht mehr zu trennen sein von den Kriegsschauplätzen im Irak und in Syrien. Wir haben also weiterhin unruhige Jahre zu erwarten, denn diese Leute, die man da so lange unterstützt, bewaffnet hat, die werden natürlich versuchen, in den Untergrund zu gehen und mit Terror und Gewalt, Sprengstoffanschlägen und so weiter den Krieg fortzusetzen.

Und auch die Türkei wird ihren Versuch fortsetzen, Einfluss zu gewinnen im Norden Syriens, um die Kurden zu schwächen, und im Norden Iraks, um dort Zugriff zu haben auf die Erdöl-Ressourcen. Der entscheidende Grund übrigens, warum jetzt in Ost-Aleppo der Widerstand der Dschihadisten, der Oppositionellen zusammengebrochen ist, ist der, dass sich die Türkei und Russland verständigt haben auf einen Deal.

Erdogan hat sich mit Putin wieder versöhnt, nachdem es eine Eiszeit gegeben hat in der Beziehung beider Länder, und nun ist der Deal ganz offenkundig der, dass Erdogan von Putin angehalten wurde, nicht mehr die Dschihadisten aus der Türkei mit Waffen zu beliefern. Das hat er weitgehend eingestellt. Im Gegenzug hat er freie Hand bekommen, militärisch gegen die Kurden im Norden Syriens vorzugehen, die Verbündete sind sowohl Russlands wie auch der USA.

 

"Nicht alle Syrer sind gegen das Regime von Assad aufgestanden"

Heuer: Herr Lüders, Assad, den Russland stützt, ist ein übler Diktator. Seine Soldaten und Schergen lassen politische Gegner verschwinden und töten. Nicht einmal vor dem Einsatz von Giftgas gegen die eigenen Bürger ist dieses Regime zurückgeschreckt. Wie kann ein Frieden selbst in unruhigen Zeiten, wie Sie sie gerade beschrieben haben, wie kann so eine Situation funktionieren mit Bürgern, die das erlebt haben und die ja am Anfang gemäßigt gegen Assad aufgestanden sind und nicht mit Islamisten an der Speerspitze?

Lüders: Es wird wahrscheinlich nicht funktionieren. Es wird nach wie vor Teile der syrischen Bevölkerung geben, die gegen das Regime kämpfen werden. Man muss aber klar und deutlich sagen, dass nicht alle Syrer gegen das Regime von Baschar al-Assad aufgestanden sind. Das hat vor allem mit der ethnischen und religiösen Zusammensetzung Syriens zu tun.

Vor allem die religiösen Minderheiten, hier insbesondere die Christen und die Drusen, haben sich an dem Aufstand gegen das Regime zu keinem Zeitpunkt beteiligt, ebenso wenig die sehr einflussreiche sunnitische Mittelschicht aus Händlern und Gewerbetreibenden in Damaskus und Aleppo. Sie haben die meiste Zeit über auf der Seite von Assad gestanden, nicht aus Liebe zu diesem Diktator, sondern aus dem nüchternen Kalkül heraus, dass die Pest dessen, was man kennt, möglicherweise besser sein könnte für das eigene Überleben als die Cholera dessen, was da kommen könnte.

Denn was für ein Interesse sollte ein Christ, sollte ein Druse, ein anderer Angehöriger einer religiösen Minderheit haben, dass Dschihadisten die Macht übernehmen in Damaskus? Die Angst ist sehr, sehr groß in Syrien unter den Minderheiten und deswegen haben die sich an diesem Aufstand nicht beteiligt. Es ist also durchaus so, dass Assad immer noch die Unterstützung zahlreicher Syrer hat. Das weiß er natürlich und davon profitiert er.

 

"Die Dschihadisten sind so stark wie nie zuvor"

Heuer: Russland hat an der Seite Assads den Krieg in Syrien schon so gut wie für sich entschieden. Die anderen Player, die USA, die UN, wer da alles eine Rolle spielt, sind das alles nur noch Zuschauer im Syrien-Konflikt?

Lüders: Im Augenblick ja. Wir wissen natürlich nicht, was der neue Präsident Trump für eine Politik verfolgen wird im Nahen Osten. Wird er sich mit Putin auf einen Deal verständigen in Sachen Syrien, oder wird er das nicht tun? Das können wir gegenwärtig nicht abschätzen. Davon hängt aber vieles ab, denn wenn es hier einen Deal geben sollte, wenn Trump dem russischen Präsidenten signalisiert, ich überlasse Dir Syrien und Du gibst uns im Gegenzug etwas anderes, dann mag der Konflikt erst einmal befriedet sein, aber nur oberflächlich. Denn die gesamte Region ist ja im Chaos versunken.

In Syrien, im Irak, es sind so viele Staaten zerstört worden als Ergebnis militärischer Intervention. Die Dschihadisten sind heute so stark wie nie zuvor, seit dem 11. September 2001, und das ist eine Situation, die die Unruhe fortsetzen wird, und es ist zu befürchten, dass vor allem die Türkei sich massiv übernommen hat und dass die Konflikte in Syrien zunehmend auch dort ausgetragen werden.

 

"Die geostrategische Bedeutung Syriens bleibt"

Lange war ja die Türkei mit dem Islamischen Staat verbunden im Kampf gegen die Kurden im Norden Syriens und nun hat sich die Türkei gegen den Islamischen Staat gestellt, auf Forderung der USA. Die Rache des Islamischen Staates sind verheerende Sprengstoffanschläge in der Vergangenheit in der Türkei gewesen. Das Spiel, wenn ich so sagen darf, wird weitergehen und die geostrategische Bedeutung Syriens bleibt.

Alle Verkehrswege von den Golfstaaten, vom Irak, alle Pipelines, die man bauen wollte, die müssen syrisches Gebiet passieren, wenn man sie profitabel bauen will, von den Golfstaaten, vom Irak in Richtung Mittelmeer, in Richtung Türkei und Europa, und das erklärt die große Bedeutung Syriens. Und die Tragik ist, dass das, was die Syrer wollen oder nicht wollen, mittlerweile kaum noch jemanden interessiert. Auch die Flüchtlingsbewegung wird fortdauern.

Heuer: Düstere Aussichten für Syrien, selbst wenn der Bürgerkrieg de facto erst einmal zu Ende gehen würde. Michael Lüders, der Nahost-Experte. Ich danke Ihnen für das Gespräch.

Lüders: Vielen Dank.

 

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

 

 

 

   

< Helga Walter-Joswig: Paul Veyne, Palmyra - Requiem für eine Stadt. Aus dem Französischen von Anna und Wolf Heinrich Leube