Der 1960 in Haifa geborene Autor ist Historiker und Journalist. Seine Schwerpunkte sind der Nahe Osten sowie Osteuropa. Das vorliegende Werk ist höchst aktuell, denn „der muslimisch-jüdische Konflikt um den Tempelberg hat sich in den letzten Jahren dramatisch zugespitzt“, wie der erste Satz des Werks lautet. Croitoru zeichnet die Entstehung des Konflikts um den Tempelberg, den chronologischen Verlauf und die heutige Situation nach.
Das Werk ist in 6 große Kapitel mit zahlreichen Untertiteln gegliedert: 1. Der Tempelberg in den drei abrahamitischen Religionen; 2. Die spätosmanische Zeit (19. und frühes 20. Jahrhundert); Jerusalem unter britischer Herrschaft (1917-1948); Die heiligen Stätten unter jordanischer Herrschaft (1948-1967); 5. Tempelberg und Klagemauer unter israelischer Kontrolle (ab 1967) und 6. Der heilige Felsen als Hindernis für den Frieden (seit 1993). Aus der 3000jährigen Geschichte werden wichtige Eckpunkte im Folgenden angesprochen.
Der erste Jerusalemer Tempel wurde von König Salomo um 960 v.Chr. erbaut und 587/6 v.Chr. von den Babyloniern zerstört. Der Tempel wurde von den aus dem babylonischen Exil zurückgekehrten Juden ab 520 v.Chr. wieder aufgebaut. Im Jahre 20 v.Chr. begann ein Neubau unter König Herodes. Ihn setzten die Römer im Jahre 70 n.Chr. in Brand und plünderten den Tempelschatz. Die Anlage lag brach, ab Mitte des 7. Jahrhunderts beanspruchten die muslimischen Eroberer sie als religiöse Stätte. Nach der koranischen Überlieferung über die nächtliche Reise des Propheten Muhammad in den Himmel errichteten sie 638 n. Chr. daselbst die Al-Aqsa-Moschee und den Felsendom 687-715 n. Chr. Neben Mekka und Medina wurde die Stätte zum drittwichtigsten Heiligtum der Muslime.
Im Jahre 1099 eroberten die christlichen Kreuzfahrer Jerusalem und „christianisierten“ Al-Aqsa-Moschee und Felsendom. Erstere diente dem Templerorden als Hauptquartier und Gebetshaus. Der Berg wechselte nochmals die Besitzer, schließlich konnten die Muslime jahrhundertelang Palästina besetzt halten. Mit Ende des Ersten Weltkriegs beendeten die Briten die osmanische Herrschaft und überließen die Hoheit über den Tempelberg den Muslimen.
Von den Tempelanlagen sind heute nur noch Teile der herodianischen Stützmauer erhalten. Der südliche Abschnitt der westlichen Tempelmauer erreichte als „Klagemauer“ besondere Berühmtheit. Sie ist für fromme Juden der wichtigste Gebetsort, ja eine heilige Stätte und dient heute als nationales Symbol Israels. - Nicht vergessen werden sollten die Wünsche frommer Juden, den Tempel wieder aufzubauen. (Dazu darf die Rez. die Antwort eines ungarischen Rabbiners zitieren, als ihn das kleine Töchterchen, heute in Jerusalem lebend, um ein neues Kleidchen zum Schabbat bat: „ein neues Kleid zum Schabbat gibt es erst, wenn der Tempel zu Jerusalem wieder aufgebaut ist“.) Eine Grundsteinlegung 1990 für den dritten Tempel führte zu blutigen Ausschreitungen.
Die Aufteilung Palästinas durch die Briten und Franzosen 1920 bedeutete für die arabisch-palästinensische Nationalbewegung eine Niederlage. Der Traum von einem großen panarabischen Staat - Palästina eingeschlossen - ging nicht in Erfüllung. Der Autor beschreibt den Beginn des arabischen Aufstands 1936 in Palästina, den israelisch-arabischen Krieg von 1948, der mit der Verabschiedung des UN-Teilungsplans für Palästina am 29. November 1947 begann: Das Land sollte in einen jüdischen und einen palästinensischen Staat aufgeteilt werden. Diese Zwei-Staaten-Theorie beschäftigt die Politik noch heute. Eine Verwirklichung mit Jerusalem als Hauptstadt Palästinas ist jedoch nicht in Sicht. - Weitere Eckpunkte in der dramatischen Geschichte der Region sind die Jahre 1973 mit dem Jom-Kippur-Krieg und 1987, als die Intifada - der Palästinensische Aufstand - ausbricht. 1994 beschwört Palästinenserführer Arafat in seinen Reden Jerusalem als künftige Hauptstadt Palästinas. Die Friedensgespräche in Camp David 2000 scheitern an der Tempelberg-Frage. Schließlich bricht 2001 die Al-Aqsa-Intifada aus. Die Ausführungen des Autors enden mit der Zeitspanne 2017-2020, als die israelischen Minister für Innere Sicherheit, Gilad Erdan und dessen Nachfolger Amir Ohana die Tempel-Bewegung unterstützen und palästinensischen Widerstand hart sanktionieren.
Für die derzeitige Situation sieht auch Joseph Croitoru keine praktikable friedliche Lösung. Er zieht letztendlich das Fazit: „Auf dem Tempelberg jedenfalls wird sich wohl auch künftig das Recht des Stärkeren immer weiter durchsetzen“.
Die Lektüre des Buches lässt den Leser mit der offensichtlichen Aussichtslosigkeit einer Lösung der Tempel- und der gesamten Palästina-Frage betroffen zurück. Auch in unseren Tagen sind beide noch immer ein Thema, aktuell die israelische Siedlungspolitik. Und wie könnte Frieden einkehren, wenn der jüdische Tempel tatsächlich wieder aufgebaut wird und die beiden Moscheen dafür weichen müssen? – Ein umfangreicher Anhang von 65 Seiten weist auf die zahlreichen arabischen, hebräischen und auch deutschen Quellen als Grundlage des Werks hin und enthält eine Auswahl weiterführender Literatur mit englischen und deutschen Titeln sowie das Personenregister und eine Zeittafel. Die zahlreichen historischen Fotografien und eine farbige Luftaufnahme des Tempelbergs runden das außerordentlich informative Buch ab.
Helga Walter-Joswig
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