Der Autor ist Professor für Geschichte an der Yale University und ist durch seine Werke zur Geschichte des Osmanischen Reichs und Ägyptens international bekannt geworden. 2018 wurde er mit dem Anneliese Maier-Forschungspreis der Alexander von Humboldt - Stiftung ausgezeichnet.
Das aufwändig gestaltete, umfangreiche Buch enthält im Klappentext ein Zitat des Autors „Wie bei Christus gab es die Welt vor Selim und die Welt nach Selim … Wir alle leben in Selims Schatten – ein angemessenes Bild, da einer seiner Beinamen ‚Schatten Gottes auf Erden‘ war“. – In sieben Teile hat Alan Mikhail sein vorliegendes Werk gegliedert, die Einleitung wird von 5 Karten der Welt um 1500 bereichert. Anhand der unterschiedlichen Quellen, deren wichtigste das Selimname, ‘das Buch Selims‘, darstellt und weiteren aus Spanien, dem Mamlukenreich, Venedig, der Welt des Indischen Ozeans sowie aus Nord- und Südamerika erarbeitete er ein ausgewogenes Bild des Sultans (1470 – 1520) und eine Vorstellung vom Ausmaß seines globalen Einflusses. Der Autor zieht das Fazit „‘Gottes Schatten‘ ist eine revisionistische Darstellung. Sie bietet ein neues und ganzheitlicheres Bild der letzten fünf Jahrhunderte unter Betonung der konstituierenden Rolle des Islam bei der Gestaltung einiger der grundlegendsten Aspekte der Geschichte Europas, Süd- und Mittelamerikas und der Vereinigten Staaten“.
Der erste Teil zeichnet ein Bild des Prinzen und seiner Umwelt. Selim wurde 1470 in Amasya, einer kleinen Stadt in Nordanatolien, von der aus Albanien stammenden vierten Gemahlin des Fürsten Bayezid, Sohn Sultan Mehmeds II. Eroberer von Konstantinopel, geboren. Die Zeit um 1500 war geprägt von der Dominanz des Osmanischen Reichs, bevor Spanien, Portugal, Großbritannien und die Niederlande ihre transatlantischen Herrschaftsgebiete gründeten.
Teil zwei beschreibt das Leben Selims als Statthalter von Trapezunt in den Jahren von 1487 bis 1500. Die Stadt am südöstlichen Ende des Schwarzen Meers war tausend Jahre lang vom Christentum geprägt, Selim hatte unter den Regierungsgeschäften die Aufgabe, die Stadt und ihre Einwohner in das Osmanische Reich zu integrieren.
Der dritte Teil „Der Osmane 1492“, das Jahr der Entdeckung eines neuen Kontinents, enthält Interessantes aus dem Leben des Christoph Kolumbus, sein Zusammentreffen mit dem Islam und dem Islam in der Neuen Welt. Ein Blick auf die Zahlen in der Eroberung Amerikas ist erschreckend: Zwischen 1492 und der Mitte des 17. Jahrhunderts starben 90 % der einheimischen Bevölkerung, ein Rückgang von ca. 60 Millionen Menschen auf 6 Millionen, im gleichen Zeitraum wurden etwa 13 Millionen Afrikaner als Sklaven nach Amerika gebracht. Sprache, Kultur, Städte und Geschichte ganzer Völker wurden auf dem amerikanischen Kontinent vernichtet, ein Völkermord ohnegleichen. - Im Jahr 1492 schloss Spanien seine ‚Reconquista‘ ab und vertrieb die Juden aus Spanien, die jedoch auf der anderen Seite des Mittelmeers bei den Osmanen willkommen waren.
„Feinde nah und fern (1500-1512)“ ist das vierte Kapitel überschrieben, Selim expandierte als brutaler Krieger sein Reich, wehrte Feinde ab, doch sein großes Engagement galt Raubzügen, um weiße, meistens christliche Sklaven für sein Reich zu beschaffen. Sie wurden auf dem Markt von Trapezunt im Reich verteilt, aber auch an italienische Kaufleute verkauft. - Im folgenden fünften Teil werden „Selims Weltkriege (1512-1518)“ behandelt. Selim hatte die Probleme im Inneren seines Reichs gelöst, wandte sich nun gen Osten, das angrenzende Territorium der Safawiden zu erobern. Diese waren Schiiten und stellten für Selim die größte militärische und ideologische Bedrohung dar. Es wurde der erste und größte Kampf zwischen Schiiten und Sunniten, den Selim für sich entschied. Detailreich beschreibt der Autor das grausame Kampfgeschehen. Als nächstes wollte Selim das Mamlukenreich erobern. Sein Weg führte über Aleppo, Damaskus und Jerusalem nach Kairo. Er eroberte es, danach auch Mekka und Medina, was Selim zum „Beschützer der Heiligen Städte“ erhob. - Der sechste Teil „Finale Grenzen“ schließt mit Selims Eroberungen. Marokko fiel und die Osmanen erreichten eine weltweite Dominanz. Am 22. September 1520 starb Selim zwischen Edirne und Istanbul, möglicherweise an der Pest oder einem Milzbrand.-
Das abschließende Kapitel „Nachkommen (nach 1520)“ widmet sich neben der direkten Nachfolge durch seinen einzigen Sohn Suleiman – in einem geografisch und chronologisch weit gespannten Bogen - Selims Reformen, der Reformation Luthers in Europa und dem Islam in Amerika. Das Grab Selims liegt im Moscheenkomplex zu Istanbul; ein eifriger Besucher ist der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan. Ein weiteres Monument zu Ehren Sultan Selims des Gestrengen ist die neue dritte Brücke über den Bosporus: die ‚Yavuz-Sultan-Selim-Köprüsü‘, Grundsteinlegung am 29. Mai 2013 und 2016 Fertigstellung.
Alan Mikhail beendet seine Ausführungen mit poetischen Worten:
„Die graue Linie, die der Schatten der Brücke auf dem Wasser zeichnet, verbindet nun ebenfalls die Kontinente und folgt dem Lauf der Sonne über die blaue Meerenge. Gottes Schatten verbindet für immer die Welt.“
Ein detailreich geschriebenes, ungemein interessantes Werk!
Helga Walter-Joswig
< Joseph Croitoru, Al-Aqsa oder Tempelberg, Der ewige Kampf um Jerusalems heilige Stätten