Steven Runciman (1903-2000) zählt zu den bedeutendsten Historikern, die über die Kreuzzüge und das Byzantinische Reich forschten. Er lehrte Byzantinische Kunst und Geschichte an der Universität Istanbul, war von 1960 bis 1975 Präsident des Britischen Archäologischen Instituts in Ankara und lehrte bis zur Emeritierung an der Cambridge University.
Das vorliegende Werk wird als Standardwerk der erzählenden Geschichtsschreibung gerühmt. In deutscher Übersetzung ist es erstmals 1957 bis 1961 in drei Bänden erschienen. In Beck’s Historischer Bibliothek wurde es, in einem Band zusammengefasst, als Sonderausgabe - ohne Quellen- und Literaturangaben, jedoch mit einem umfangreichen Register -, zum neunten Male aufgelegt. 16 Karten geben dem Leser die räumliche Vorstellung des Geschehens.
Im Vorwort erläutert Steven Runciman die Bedeutung dieser Geschichtsepoche, die er in 15 Büchern entrollt. Es ist die Geschichte der Bewegung, Kreuzzüge genannt, von ihrem Beginn im 11. Jahrhundert bis zu ihrem Niedergang im 14. und der Staaten, welche sie im Heiligen Land und seinen Nachbarländern nach dem 1. Kreuzzug errichtete: Königreich Jerusalem, Fürstentum Antiochia und die Grafschaften Edessa und Tripolis. Die Kreuzzüge bilden das große zentrale Ereignis der mittelalterlichen Geschichte, „wobei wir nicht nur die Verhältnisse in Westeuropa begreifen müssen, die dem Kreuzzugsgedanken Antrieb gaben, sondern auch … die Umstände im Osten, welche die Kreuzfahrer begünstigten und auf ihr Vordringen wie auf ihren Rückzug entscheidend einwirkten. Unser Blickfeld muss vom Atlantik bis zur Mongolei reichen.“
Auf den folgenden mehr als tausenddreihundert Seiten wechseln sich ab Heldenmut und Entbehrungen, Rivalität und Krieg, Triumph und Niederlage sowie Tragödien von unfassbaren Ausmaßen: Im Juli 1099 das Massaker an Muslimen und auch Juden durch enthemmte Kreuzritter in Jerusalem, damals wie heute noch eine heilige Stadt für drei Religionen. Kommentar von Steven Runciman: „Es war dies der blutrünstige Beweis christlichen Fanatismus, der den Fanatismus des Islam neu entfachte“. Weiters erinnert er an die Kinderkreuzzüge, die im Desaster endeten. Man glaubte, Kinder könnten Besseres leisten als Männer und das Meer werde sich öffnen, wie einst bei Moses das Rote Meer. Aber Jerusalem ließ sich weder von französischen noch deutschen Kindern retten.
Dem nicht genug, erlebte das islamische Reich den Einfall der Mongolen mit der völligen Zerstörung seiner Metropole Bagdad im Februar 1258. Damit ging auch das Schleifen aller Burgen der Assassinen einher, einer gefürchteten schiitischen Geheimsekte.
Wie sehr sich die Christenheit mit ihrem Eindringen in die nahöstlichen Länder selbst geschadet hat, lässt sich am Schicksal des Byzantinischen Reiches ermessen: Steven Runciman schreibt, dass die „wachsende Feindseligkeit zwischen der östlichen und westlichen Christenheit mit der größten Tragödie des Mittelalters, der Vernichtung der byzantinischen Kultur im Namen Christi, ihren Höhepunkt erreichte“.Heute sind Christen im Nahen Osten eine Minderheit. Eines der schönsten Bauwerke der Welt, die Hagia Sophia, 532 bis 537 als byzantinische Sophienkirche erbaut, Metropole des byzantinischen Reiches, wurde mit der Eroberung Konstantinopels 1453 durch die muslimischen Osmanen eine Moschee. Heute ist das UNESCO-Kulturerbe ein Museum.
Steven Runciman zieht abschließend das Fazit: „Die Kreuzzüge wurden ins Leben gerufen, um die Christenheit des Ostens vor den Muselmanen zu retten. An ihrem Ende befand sich die gesamte östliche Christenheit unter muselmanischer Herrschaft….Im Gesamtbild der Geschichte gesehen, war die ganze Kreuzzugsbewegung ein einziger riesiger Fehlschlag“.
Die einzelnen Kapitel werden mit weisen und prophetischen Sprüchen aus der Bibel eingeleitet, eine willkommene Zugabe in der Fülle der Texte! - Die Lektüre dieses Werks beweist: Nichts ist spannender als erzählte Geschichtsschreibung…
Helga Walter-Joswig
< Stefan Weidner, 1001 Buch