In einer großen Halle am Stadtrand von Jericho sortiert eine hochmoderne Anlage Datteln nach Gewicht und Größe. Zuhair Manasrah greift eine Frucht heraus und bricht sie auf. „Sehen Sie, wie fleischig sie ist?“, fragt der Palästinenser. Die Arbeiter von Nakheel Palestine ernten in diesen Tagen im Jordantal „die Könige der Datteln“. So werden die Madjoul-Datteln genannt, die einst den Herrschern vorbehalten waren.
Mit 20.000 Palmen ist das Unternehmen, dessen Geschäftsführer Manasrah ist, der größte Produzent von Datteln „made in Palestine“. In diesem Jahr sollen 400 Tonnen geerntet werden. Aber das ist fast nichts im Vergleich zu den israelischen Konkurrenten, deren riesige Dattelhaine das Jordantal säumen. Der israelische Export belief sich nach Angaben der israelischen Nichtregierungsorganisation „Who Profits“ im vergangenen Jahr auf 25.000 Tonnen. Diese Datteln wachsen in der israelischen Arava-Wüste, am nordwestlichen Ufer des Toten Meers und vor allem im Jordantal. Der größte Teil des fruchtbaren Tals gehört jedoch nicht zu Israel, sondern zu den palästinensischen Autonomiegebieten. Trotzdem haben die knapp 9500 israelischen Bewohner der 28 Siedlungen im Jordantal die Landwirtschaft fest im Griff. Sie bauen Mangos, Kiwis, Paprika, Cherrytomaten und Datteln an, meist für den Export. Laut der israelischen „Forschungs- und Entwicklungsstelle im Jordantal“ werden mehr als 80 Prozent der Madjoul-Datteln ins Ausland verkauft – als „Produkt aus Israel“.
„Hergestellt in Israel“
Gegen die Dattelbauern in den Siedlungen hat die Nakheel-Dattelfarm keine wirkliche Chance. „Die israelische Regierung versorgt sie mit Land, Wasser und Strom. Ich bekomme nicht einmal eine Genehmigung für einen tieferen Brunnen. Die palästinensische Regierung tut gar nichts für mich“, klagt Zuhair Manasrah. Alle seine Dattelpalmen wachsen in den palästinensischen „C-Gebieten“, die Israel vollständig kontrolliert. Laut einer Schätzung, welche die israelische Regierung für die Weltbank erstellte, exportieren die Siedlungen, die alle in den C-Gebieten liegen, jedes Jahr Güter im Wert von 230 Millionen Euro in die EU. Das ist 15 Mal so viel wie aus den Palästinensergebieten; von dort kommen jedes Jahr nur Importe für knapp 15 Millionen Euro in die EU-Staaten.
Das geht aus einem in dieser Woche veröffentlichten Bericht „Handel gegen den Frieden“ hervor, den ein Zusammenschluss von 22 europäische Hilfsorganisationen, darunter auch Medico aus Deutschland, verfasst hat: Während die EU Siedlungen als illegal ablehne, helfe die europäische Politik in der Praxis, sie zu erhalten, lautet ihr Vorwurf. „Die Konsumenten tragen unwissentlich zu der Ungerechtigkeit bei, indem sie Produkte kaufen, die fälschlicherweise als Produkte aus Israel gekennzeichnet sind, obwohl sie in Wahrheit aus Siedlungen im Westjordanland kommen“, kritisieren die Autoren des Berichts.
Laut dem EU-Assoziierungsabkommen tragen sämtliche importierten Waren die Herkunftsbezeichnung „hergestellt in Israel“. Unterschiede werden nur beim Zoll gemacht. Die EU gewährt nur Zollpräferenzen, wenn die Güter aus Israel und nicht aus besetzten Gebieten stammen. Für Industriegüter und einen Großteil der landwirtschaftlichen Produkte werden sogar keine Zölle erhoben. Die europäischen Zollbeamten überprüfen anhand einer Liste von israelischen Postleitzahlen die Herkunft der Produkte. In der EU wächst jedoch die Kritik an dieser Regelung. So gibt es Hinweise darauf, dass Hersteller in den Siedlungen sie umgehen, indem sie einfach eine Postleitzahl in Israel als Herkunftsort angeben. Daher mehren sich in der EU bis in den Außenministerrat die Forderungen, Produkte auch für die Verbraucher eindeutig zu kennzeichnen.
Netanjahu warnt vor einem Boykott
In Großbritannien wurde schon 2009 eine solche Kennzeichnungspflicht eingeführt, wie sie auch die Unterzeichner des jüngsten Berichts befürworten. Auf den entsprechenden Produkten steht entweder „Westbank: Produkt einer israelischen Siedlung“ oder „Produkt aus Palästina“. Mittlerweile verzichten die meisten größeren Supermarktketten mit der Ausnahme von „Tesco“ ganz auf Produkte aus den Siedlungen. Dänemark hat gerade beschlossen, diesem Beispiel zu folgen. Südafrika hat schon im Sommer eine ähnliche Regelung eingeführt.
Nach Ansicht des israelischen Außenministeriums, das den Bericht als einseitig und inakkurat zurückwies, ist eine Kennzeichnung von Siedlungsprodukten eine Form von „Diskriminierung“. „Warum sollte diese Maßnahme nur Israel (oder nur das Westjordanland) betreffen und nicht auch andere Konfliktgebiete, deren Produkte in der EU verkauft werden?“, fragt ein Ministeriumssprecher.
Ministerpräsident Benjamin Netanjahu warnte davor, dass 25 000 Palästinenser bei einem Boykott ihre Arbeit in den Siedlungen verlieren würden. Der frühere Knesset-Vorsitzende Avraham Burg ist dagegen der Ansicht, dass die europäischen Befürworter einer Kennzeichnungspflicht „im Interesse Israels“ handelten: Die Grenze zwischen Israel und den Autonomiegebieten dürfe nicht noch weiter verwischt werden. Nur entlang der „Grünen Linie“ lasse sich Frieden schließen, meint Burg.
Die palästinensische Wirtschaftsleistung würde wachsen
Östlich der Waffenstillstandslinie bekommen die Siedler selbst die höheren EU-Zölle nicht zu spüren: Die israelische Regierung entschädigt sie dafür. Im Staatshaushalt für 2012 stehen dafür umgerechnet gut zwei Millionen Euro bereit – zusätzlich zu zahlreichen anderen Subventionen für die Siedlungen. Die EU ist wiederum der größte ausländische Geber für die Palästinenser. Mehr als fünf Milliarden Euro überwiesen die Europäer seit 1994. Trotzdem steht sie vor dem finanziellen Zusammenbruch. Dabei könnten palästinensische Bauern helfen, das zu verhindern.
„Datteln aus dem Jordantal haben ein großes Potential, denn sie brauchen viel weniger Wasser als zum Beispiel Bananen“, sagt Zuhair Manasrah aus Jericho. Aber dafür müsste die israelische Armee ihn und die anderen Bauern so ungehindert arbeiten lassen wie die Siedler im Jordantal. Nach Angaben der Weltbank wären die Auswirkungen beträchtlich: Die palästinensische Wirtschaftsleistung würde um etwa eine Milliarde Dollar im Jahr wachsen, wenn Palästinenser nur zusätzliche 3,5 Prozent der C-Gebiete ohne israelische Einschränkungen bebauen könnten. Rund eine Milliarde Dollar erhält die Autonomiebehörde jedes Jahr an ausländischer Hilfe.
Quelle: F.A.Z.
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