Wenn am 1. März 2023 das Abrahamic Family House seine Tore für Besucher öffnet, ist Abu Dhabi um eine bahnbrechende Attraktion reicher, nämlich um einen multireligiösen Komplex, weltweit einzigartig. Der Komplex umfasst eine Moschee, eine Kirche und eine Synagoge in einem großen Park.
Die gleich großen Gebäude und die vom ghanaisch-britischen Architekten Sir David Adjaye entworfene Anlage verdeutlichen die gemeinsamen Werte von Islam, Christentum und Judentum. Die Architektur ist wirklich beeindruckend. Obwohl jedes Gebäude die gleiche Größe hat, Würfel von 30 Metern Kantenlänge, können sie unterschiedlich viele Gläubige aufnehmen. In der Kirche finden 300 Personen in den Kirchenbänken Platz, in der Synagoge sind es aufgrund der Bimah in der Mitte 200 und in der Moschee 322 Personen, Schulter an Schulter.
Die erste in den VAE gebaute Synagoge ist nach Moses Ben Maimon benannt, einem Gelehrten, Philosophen und Arzt der jüdischen Gemeinde im Nahen Osten. Die vielschichtige Fassade ist dem jüdischen Sukkot-Fest nachempfunden, bei dem die Gemeinden in ihren Gärten mit Palmzweigen bedeckte Zelte errichten, um während des Festes zusammenzukommen und zu essen. Beim Betreten der Synagoge werden die Besucher von den Zehn Geboten begrüßt, die in hebräischer Sprache auf die weißen Steinwände geschrieben sind, und zwei goldene Menoras stehen zu beiden Seiten der hölzernen Arche. Ein Kreuzmuster aus Holz erhebt sich 30 m über einem verhüllten, geweihten Bereich für das gemeinsame Gebet in der Mitte. Das Metallgeflecht, das über den Gläubigen hängt, symbolisiert die Zelte, in denen die Menschen früher beteten. Neben dem Hauptgebäude gibt es auch eine kleine Synagoge, die der Gemeinschaft zum Lernen dient. Der Verband der jüdischen Golfgemeinden in den GCC-Ländern erklärte, dass der Bau einer Synagoge in einem muslimischen Land etwas Besonderes sei und eine starke Botschaft an andere Länder aussende.
Das Äußere der Ahmed-El-Tayeb-Moschee besteht aus sieben weißen Bögen, die die sieben Himmelsrichtungen im Islam und die sieben Wochentage symbolisieren. Das geometrische Muster, das die Fenster bedeckt, ist von der Mashrabiyya, einer traditionellen islamischen Architektur, inspiriert und lässt natürliches Licht durch das Gitterwerk in Form von Mustern auf dem Boden eindringen. Der Innenraum aus weißem Marmor verfügt über mehrere Deckenkuppeln, die für gute Akustik sorgen. In der Moschee gibt es vier Säulen, und die Minbar (Kanzel), auf der der Imam steht, wenn er das Gebet leitet, dient als fünfte Säule: Symbol für die fünf Säulen des Islam. Die Gebetshalle ist ein Raum mit viel Licht und so gestaltet, dass die Klänge der Koranrezitationen in den Wänden widerhallen. Die Teppiche sind mit Linien versehen, die den Blick der Gläubigen auf die Kaaba in Mekka lenken sollen.
Eine der beiden Säulen über dem Eingang der St.-Franziskus-Kirche ist kürzer als die andere, was den Aufstieg und Abstieg Jesu vom Himmel symbolisieren soll. Im Innern der Kirche durchziehen Holzbalken vertikal die Decke. Das Kruzifix in der Mitte des Gebetssaals weist keine Details auf und ist so gestaltet, dass alle Konfessionen des Christentums willkommen sind. Im Gegensatz zu den meisten katholischen Kirchen gibt es keine Darstellungen von Jesus oder der Heiligen Dreifaltigkeit.
Marmor aus dem Sultanat Oman bedeckt den zentralen Parkbereich, in dem die Besucher sitzen und die friedliche Umgebung genießen können.
Der Standort auf Saadiyat Island ist eine physische Manifestation des Dokuments über die menschliche Brüderlichkeit, das Papst Franziskus und Dr. Ahmed Al Tayeb, der Großimam von Al Azhar, während des Besuchs des Pontifex in den Emiraten im Jahr 2019 unterzeichnet haben. Auf Saadiyat Island befinden sich attraktive Museen, wie z. B. der Louvre Abu Dhabi und Kultureinrichtungen wie Manarat Al Saadiyat, wo die jährliche Kunstmesse Abu Dhabi Art stattfindet.
Seit der Unterzeichnung des Abraham-Abkommens zwischen den Emiraten und Israel im Jahr 2020 haben Hunderttausende israelische Touristen die VAE besucht, während die Zahl der jüdischen Einwohner laut einer aktuellen Schätzung von etwa 350 auf 5.000 gestiegen ist.
Die Botschaft der Koexistenz, die von diesem Zentrum ausgeht, ist unmissverständlich, und Präsident Sheikh Mohamed bin Zayed, der das Projekt ursprünglich im Februar 2019 angekündigt hatte, erklärte bei der Einweihung, der Komplex stehe im Einklang mit dem Konzept von Vielfalt und Toleranz in den VAE. Sheikh Saif bin Zayed, stellvertretender Premierminister und Innenminister, und Sheikh Nahyan bin Mubarak, Minister für Toleranz und Koexistenz, weihten das Glaubenszentrum am 16. Februar offiziell ein. Sheikh Saif sagte, die religiöse Begegnungsstätte verkörpere "die Werte der VAE des gegenseitigen Respekts und der friedlichen Koexistenz".
Auch vor dem Hintergrund der Geschichte der VAE als Land vieler Kulturen und Religionen macht der Bau des Abrahamic Family House Sinn, denn sie reicht Jahrhunderte zurück, wie Archäologen herausfanden. Im Jahr 2010 wurden die Überreste eines alten, christlichen Klosters auf der Insel Sir Bani Yas in Abu Dhabi für die Öffentlichkeit zugänglich gemacht, das vermutlich um 600 n. Chr. von einer Gemeinschaft von 30 bis 40 Mönchen besiedelt war. Ein weiterer wichtiger Fund folgte im November 2022, als Archäologen die Überreste eines weiteren christlichen Klosters auf der Insel Al Sinniyah im Emirat Umm Al Quwain entdeckten. Das Vorhandensein eines hebräisch-sprachigen Grabsteins im Emirat Ras Al Khaimah, der aus der Zeit zwischen 1507 und 1650 stammt, verdeutlicht die Vielfalt der Menschen und Glaubensrichtungen, die in dieser Region lebten, arbeiteten und starben. Es ist eine Mischung, die im Laufe der Jahre immer vielfältiger geworden ist, und im 21. Jahrhundert sogar noch mehr, da die VAE für mehr als 200 Nationalitäten zu einer zweiten Heimat geworden sind. Nächstes Jahr wird in Abu Dhabi beispielsweise ein großer Hindu-Tempel fertiggestellt, der auf einem mehr als fünf Hektar großen Grundstück gebaut wird, das Sheikh Mohamed bin Zayed 2015 der indischen Gemeinschaft geschenkt hat. (Quelle: WAM)
Text: Barbara Schumacher, Beiratsmitglied der Deutsch-Arabischen Gesellschaft (DAG). Fotos: WAM
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