Mit seiner 15. Ausgabe lädt ALFILM Euch, unser Publikum, ein, über den heutigen Stand der Dinge nachzudenken, es zu wagen, kritisch zu sein, die Kraft Eurer Stimme zu entdecken, dafür zu sorgen, dass Ihr gesehen werdet, aber auch von einer besseren Zukunft zu träumen. Eine Zukunft, die sich nicht von repressiven Kräften zerstören lässt, egal welcher Art sie auch sein mögen.
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Die 15. ALFILM Selection präsentiert in diesem Jahr ein Programm, das mit Spiel- und Kurzfilmen aus insgesamt 13 verschiedenen arabischen Ländern vielseitiger ist als je zuvor, darunter der Sudan mit Goodbye Julia (Mohamed Kordofani, 2023), Saudi-Arabien mit Mandoob (Ali Kalthami, 2023), Jordanien mit Inshallah a Boy (Amjad Al Rasheed, 2023), Jemen mit The Burdened (Amr Gamal, 2023), die Vereinigten Arabischen Emirate mit Yellow Bus (Wendy Bednarz, 2023), Irak mit My Lost Country (Ishtar Yasin Gutiérrez, 2022)und vielen weiteren.
Zum 15. Jubiläum des Festivals hebt die ALFILM Selection die Reichhaltigkeit, den künstlerischen Wert und die Aktualität des zeitgenössischen arabischen Kinos hervor.
Der palästinensische Dokumentarfilm Bye Bye Tiberias von Lina Soualem wird in seiner Berlin-Premiere das diesjährige Festival und damit alle drei Sektionen des Festivals – die ALFLIM Selection, das ALFILM Spotlight und das Special Program 15 Jahre ALFILM – 15 Jahre Arabisches Kino in Berlin – eröffnen. In dem Film kehrt die gefeierte palästinensische Schauspielerin Hiam Abbas zusammen mit ihrer Tochter, der Filmemacherin Lina, in ihr Heimatdorf Deir Hanna zurück und begibt sich auf eine Reise durch die verstreuten Erinnerungen von vier Generationen mutiger palästinensischer Frauen. Anhand von ergreifenden Zeugenaussagen, historischem Archivmaterial, Heimvideos, Fotos und Briefen bietet Bye Bye Tiberias eine fesselnde Aufarbeitung des jahrzehntelangen Leidens der Palästinenser:innen.
Bye Bye Tiberias ist auch einer von vielen Filmen der 15. ALFILM Selection, der sich mit der Identitätssuche von in der Diaspora lebenden arabischen Filmemacher:innen befasst. Die Protagonist:innen von Background (Khaled Abdulwahed, 2023), My Lost Country (Ishtar Yasin Gutiérrez, 2022), Q (Jude Chehab, 2023) oder Six Feet Over (Karim Bensalah, 2023) setzen sich mit dem Gefühl der Zugehörigkeit auseinander, während sie die komplexen Geflechte ihrer Familiengeschichten und kulturellen Traditionen entwirren.
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„Palästina gibt es nicht. Es hat keine Grenzen. Es hat all die chaotischen Elemente, die dazu führen, dass man Raum, Grenzen und Übergänge in Frage stellt, auch wenn keines dieser Elemente an sich gültig ist.“ So formuliert es der palästinensische Regisseur Elia Suleiman in einem berühmten Interview. Mit diesen Worten wollte Suleiman natürlich nicht die Existenz der Palästinenser:innen oder ihr Recht auf nationale Selbstbestimmung in Frage stellen. Vielmehr möchte er ihnen angesichts wiederkehrender Vertreibungen, jahrzehntelanger politischer Blockaden und anhaltender Besatzung alternative Möglichkeiten der Artikulation und des Widerstands bieten – zumindest auf ästhetischer und erzähltechnischer Ebene. Für Suleiman kann Palästina auch ohne territoriale Souveränität und trotz des Fehlens von Raum, definierten Grenzen und zugänglichen Übergängen existieren. Es existiert in Bildströmen, in Gemütszuständen, in Erfahrungsdepots, in Formen und Poetiken, die über spezifische Symbole und Orte hinausgehen, Zeiten und Räume durchqueren und sich mit kongruenten Bestrebungen der Befreiung und dem Streben nach Gerechtigkeit verwickeln. Palästina ist nicht auf ein Heimatland beschränkt, dessen Bewohner:innen keine Nation mehr sind. Palästina ist eine Frage mit rhizomatischer Geschichte und allgegenwärtigen Verzweigungen, die sich überall auf der Welt manifestieren, Here and Elsewhere.
In Anlehnung an Suleimans Überlegungen ist dieses Filmprogramm einem ortsunabhängigen Palästina gewidmet. Es erforscht die vielfältigen Wege, auf denen sich die Sehnsüchte und Bemühungen des palästinensischen Volks durch mitfühlende Begegnungen, Bekundungen der Solidarität, Auseinandersetzung mit sich selbst und dem Lernen über und mit anderen, regional und global entfalten.
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