Am 30. Dezember 2008 schrieb Dr. Gerhard Fulda, Botschafter a.D. und Mitglied des Vorstands der Deutsch-Arabischen Gesellschaft, den folgenden Brief an Bundesminster Steinmeier. Eine Antwort ist bisher nicht eingetroffen. Doch lassen Äußerungen einiger dem Außenminister nahestehender Abgeordneter des Bundestages erkennen, daß sich die SPD inzwischen offenbar von der einseitigen Schuldzuweisung der Bundeskanzlerin distanziert.
Datum: Dienstag, 30. Dezember 2008, 16:53
Sehr geehrter Herr Bundesminister,
Sie haben nach den israelischen Bombenangriffen auf Ghaza vor einer Eskalation der Gewalt gewarnt. Das ist von vielen Menschen so verstanden worden, als seien damit vor allem die Palästinenser gemeint – die von Israel eingeleitete Eskalation hatte ja schon stattgefunden.
Als Mitglied des Vorstands der Deutsch-Arabischen Gesellschaft (DAG) und Leiter des Arbeitskreises Nah-Ost Politik der DAG (und als ehemaliger Angehöriger des Auswärtigen Dienstes) möchte ich Sie bitten, künftig ausdrücklich auch die Regierung Israels aufzufordern, politische statt militärischer Lösungen zu suchen. Ich glaube, dass das Verhältnis zwischen Deutschland und Israel trotz aller historischen Hypotheken inzwischen gefestigt und belastbar genug ist, wenn nötig auch kritische Einwände seitens der Bundesregierung zuzulassen.
Die Regierung in Tel Aviv macht geltend, sich gegen Raketenangriffe aus dem Ghazastreifen zur Wehr setzen zu müssen. Dem entsprechend haben Sie betont, Israel habe selbstverständlich das Recht auf Selbstverteidigung. Sie erwähnen aber nicht, dass sich offenbar auch die Palästinenser auf ein solches Recht berufen. Schließlich hat Israel mit seiner unmenschlichen Blockade des Ghazastreifens einen wesentlichen Teil der Waffenstillstandsvereinbarung nicht eingehalten.
Die Beurteilung der israelischen Militäraktion hängt in erster Linie von der Frage ab, gegen welche Bedrohung sich Israel mit welchen Mitteln zur Wehr setzt. Dabei drängt sich das Urteil auf, dass die israelische Militäraktion schon wegen des Übermaßverbots rechtswidrig ist.
Israel hatte sich während der letzten Militäraktion im Libanon dem gleichen Vorwurf ausgesetzt. Als Ihre Parteifreundin und Ministerkollegin, Frau Wieczorek-Zeul, damals feststellte, diese Verletzung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit sei eine Verletzung des Völkerrechts, wurde Sie vom Zentralrat der Juden in Deutschland zum Rücktritt aufgefordert. Wer so etwas sage, sei als Ministerin in Deutschland nicht mehr tragbar.
Ich habe nicht gehört, dass ein Sprecher des Bundeskanzleramts oder des Auswärtigen Amts bei der Gelegenheit Ihre Kollegin in Schutz genommen hätte. Dabei hatte sie nicht nur zu Recht auf einen wichtigen Grundsatz des geltenden humanitären Kriegsvölkerrechts verwiesen. Sie hatte sich zuallererst auf den Boden des deutschen Grundgesetzes gestellt: Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit als Ausfluss des Rechtsstaatsprinzips eine übergreifende Leitregel allen staatlichen Handelns. Er gilt für die gesamte Staatsgewalt und jede Art hoheitlichen Handelns.
Vor diesem Hintergrund erscheint es mir als geboten, dass der Außenminister der Bundesrepublik Deutschland dem Generalsekretär der Vereinten Nationen beipflichtet. Ban Ki Moon hat das nachweihnachtliche israelische Bombardement auf Ghaza wegen der Verletzung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit als völkerrechtswidrig bezeichnet.
Mitglieder des Vorstandes der DAG haben mich gebeten, dieses Schreiben sogleich als offenen Brief auf der Webseite der DAG zu veröffentlichen. Ich habe zunächst davon abgesehen und um eine Woche Geduld gebeten, weil ich mich freuen würde, wenn dieser Text zugleich mit Ihrer Antwort gelesen werden könnte.
Mit dem Ausdruck meiner vorzüglichen Hochachtung
Ihr Gerhard Fulda, Botschafter a.D.
< Rede des DAG Vorstandmitgliedes Dr. Gerhard Fulda zur Gaza-Solidaritäts-Demonstration