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25.06.2014

 

Chaos in Nahost – Der ISIS auf dem Vormarsch

 

 

Matthias Hofmann

Die Nachricht über den Vormarsch der ISIS-Truppen (Islamischer Staat in Syrien und dem Irak) auf die irakische Hauptstadt Bagdad lassen jene verstummen, die Waffenlieferungen an die Rebellen in Syrien als legitim und zweckdienlich bezeichneten. In dem allgemeinen Chaos, das mittlerweile in Syrien herrscht, ist es geradezu ein Irrwitz zu glauben, dass die von den unterschiedlichen Nationen gelieferten Waffen auch wirklich nur dazu verwendet werden, die jeweiligen Interessen der „Geberländer“ in Syrien umzusetzen. Dies hat vor allem seine Ursache darin, dass die verschiedenen Waffen-Geberländer unterschiedliche Interessen in Syrien verfolgen und demzufolge auch unterschiedliche Rebellen-Gruppierungen mit Waffen versorgen. Auch das Erkennen von der Sinnlosigkeit in ein von so unterschiedlichen Strömungen geprägten Bürgerkriegsszenario, wie es in Syrien herrscht Waffen zu liefern, hält die „Geberländer“ nicht von ihrem Tun ab.
Dabei ist es mehr als offensichtlich, dass die von den USA, Frankreich, Großbritannien, Italien und Katar verfolgten Ziele andere sind als sie von Saudi-Arabien oder auch Türkei verfolgt werden.

USA, Frankreich, Großbritannien, Italien und Katar verfolgen das Ziel den syrischen Präsidenten Baschar al-Assad zu stürzen, um im Anschluss einen westlich orientierten Präsidenten einsetzen zu können, der vor allem die Pläne Katars, eine Pipeline von Katar über Jordanien und Syrien in Richtung Europa zu bauen, unterstützt. Zudem sind sie daran interessiert den Einfluss des Irans auf Syrien zu schwächen bzw. ganz zu unterbinden.
Vor allem der letzte Grund ist auch ein Vorhaben, welches Saudi-Arabien mit seinen Waffen-lieferungen an die Rebellen Syriens unterstützt. Allerdings verfolgt Saudi-Arabien vor allem das Ziel die Sunniten in Syrien und im angrenzenden Irak zu unterstützen, um vielleicht sogar vor Ort ein sunnitisch-islamistisches Regime einsetzen zu können.
Die Waffenlieferungen der Türkei an die Rebellen Syriens verfolgt vor allem das Ziel Syrien dauerhaft zu schwächen, so dass es mittelfristig nicht die Vormachtpläne des türkischen Mi-nisterpräsidenten Erdogans gegenüber der Arabischen Welt bzw. des Nahen-Ostens und seine diesbezügliche künftige Außenpolitik gefährden kann.
In diesem ganzen Wirrwarr von unterschiedlichen außenpolitischen Interessen war es einer geschickt agierenden politischen islamistischen Strömung möglich, an Waffen jeglicher Art zu gelangen für ihr eigenes Ziel der Schaffung eines sunnitischen Gottesstaates auf dem Boden von Syrien und Irak. Die ersten Nachrichten über diese Gruppe ISIS und ihrer Absichten er-reichten uns bereits Anfang des Jahres, ohne allerdings dabei größeres Interesse bei den Keyplayern vor Ort zu entfachen. Man vermutete wahrscheinlich, dass diese ISIS-Gruppe nur ein kurzes Erscheinungsbild des syrischen Bürgerkriegsszenario darstellen würden. Vielmehr hielten alle Waffen-Geberländer an ihrer bisherigen Politik in Syrien fest.

Mit dem jüngsten Vormarsch der ISIS auf Bagdad ist es aber augenscheinlich, dass es sich bei der ISIS wohl nicht nur um ein kurzes Aufflackern einer Rebellengruppe handelt, sondern mittlerweile vielmehr zu einer ernsthaften Bedrohung der staatlichen Stabilität des Iraks ge-worden ist.
Die von dem schiitischen Oberhaupt des Iraks, Ayatollah al-Sistani, aufgerufenen Gläubigen sich am Abwehrkampf gegen die sunnitischen „Terroristen“ zu beteiligen, können nicht dar-über hinwegtäuschen, dass der Irak nicht aus eigenen Kräften in der Lage sein wird der realistischen Bedrohung ihres Staates zu wiederstehen. Vielmehr kann der Irak nur durch die vehemente Unterstützung Dritter dieser Gefahr trotzen.
Dabei treten nun weitere weltpolitische Probleme zu Tage:

Der Hauptverantwortliche für das Chaos im heutigen Irak, die USA, ist nach Aussage ihres Präsidenten Obamas nicht Willens mittels eines massiven Truppeneinsatzes vor Ort die Lage zu klären. Vielmehr versuchen sie durch eine Intensivierung ihrer Ausbildung der irakischen Sicherheitskräfte diese selbst in die Lage dazu zu versetzen. Zusätzlich versprach der US-amerikanische Präsident „wird es gezielte Luftschläge gegen die „Terroristen“ geben.“ Aller-dings ist dabei fraglich, wie erfolgreich diese Luftschläge in einer asymmetrischen Kriegsfüh-rung sein können, wenn der zu bekämpfende Feind eben nicht mit großen Armeeverbänden und dem dazugehörigen militärischen Großgerät agiert. Ob und in wie weit die von den USA finanzierten Söldnerarmeen – u.a. Blackwater – in der Lage bzw. Willens sein werden hier in besonderem Maße aktiv zu werden, muss mit einem großen Fragenzeichen versehen werden. Unterm Strich ist also vorerst nicht damit zu rechnen, dass die USA ihr Engagement über die bereits angekündigten Maßnahmen ausweiten werden.
Ganz im Gegensatz dazu ist der Iran nur allzu gerne dazu bereit sich im besonderen Maße im Irak zu engagieren. Zum einen um den schiitischen Ministerpräsidenten des Iraks Nuri al-Maliki und seine pro-iranische Politik zu stützen und zum anderen um die schiitischen Heili-gen Stätten im Irak vor dem Übergriff der sunnitischen Rebellen zu schützen. Dabei darf aber auch nicht außer Acht gelassen werden, dass die iranische Politik viel im Irak zu verlieren hätte. Ende 2010 hatte der Iran abseits des Medienrummels damit begonnen den Südirak der hauptsächlich von Schiiten bewohnt wird, nach und nach in ein iranisches Protektorat umzuwandeln. Allerdings weniger aus Großmachtinteressen heraus, sondern vielmehr um die schiitischen irakischen Flüchtlinge, die in Scharen vor dem irakischen Bürgerkrieg in den Iran geflohen waren, eine sichere Heimat im eigenen Land zu garantieren.
Der US-amerikanische Außenminister Kerry hatte Mitte Juni 2014 schon durchblicken lassen, dass man seitens der USA auch gewillt sei mit dem Iran diesbezüglich zu verhandeln und auch zusammenzuarbeiten. Dieser Ankündigung  entsprechend gab es am 18.06. ein Telefonat zwischen beiden Regierungen.

Diese scheinbare Annäherung zwischen der US-amerikanischen Politik mit der des Irans birgt aber neue immense Probleme:

Zum einen konterkariert diese Vorgehen der USA ihr gutes Verhältnis zu Saudi-Arabien und zum anderen werden sich die USA damit den reinen Zorn der israelischen Regierung ausge-setzt sehen.

Das Verhältnis zwischen der US-amerikanischen Regierung und der Saudi-Arabiens hatte man in den letzten Jahren wieder mühsam aufbauen müssen, da es vor allem in den 1990er Jahren, wegen der Verbundenheit vieler Saudis in den internationalen Terrorismus, stark beeinträchtigt war. Mit der US-amerikanischen Offerte an die iranische Regierung und der offenkundigen intensiven Unterstützung der ISIS durch Saudi-Arabien könnte sich das Verhältnis zwischen beiden wieder deutlich verschlechtern. Zudem sieht die saudi-arabische Regierung im Iran ihren Erzfeind, da der Iran wie auch Saudi-Arabien selbst, um die Vorherrschaft im Orient strebt. Die Aussage einiger sunnitischer Staatschefs der Region die USA müssten erkennen, dass nicht der ISIS sondern der irakische schiitische Ministerpräsident al-Maliki selbst das Problem sei, untermauerte diese saudi-arabische Haltung und zeigt zudem den seit Jahrhunderten schwelenden Konflikt zwischen Sunniten und Schiiten, der bis heute nicht beigelegt wurde.

Israel hatte in den letzten Jahren nie einen Hehl aus ihrer Abneigung gegen die iranische Politik gemacht. Ein einstweiliges Bündnis der US-Regierung mit der iranischen könnten sie durchaus als Verrat der Bündnispolitik zwischen Israel und der USA werten. Vor allem in der Person ihres Ministerpräsidenten Netanjahu, der seinerseits in den letzten Monaten und Jah-ren die USA immer wieder dazu aufgefordert hatte militärisch gegen den Iran vorzugehen, könnte sich genötigt fühlen durch eine israelische militärische Eigeninitiative gegen den Iran Fakten schaffen zu wollen. Oder aber durch geschickte Taktik das iranische Regime wieder international zu diskreditieren.

Der Iran hat seine Chance erkannt sich mittels der Krise im Irak wieder als militärische Macht international ins Gespräch zu bringen. Das dies seine Absicht war und ist erkennt man zudem an seiner neuen Außenpolitik gegenüber Afghanistan. Wobei es allerdings noch darauf ankommt, ob sich der Präsidentschaftskandidat Dr. Abullah gegen seinen Gegenkandidaten Dr. Ghani in der laufenden Stichwahl durchsetzen kann oder nicht. Dr. Abdullah hat aus seiner ihm angediehenen Unterstützung durch den Iran niemals einen Hehl daraus gemacht und wird wohl, wenn er die Stichwahl gewinnen sollte, eine engere Bindung mit dem Iran künftig anstreben.

ISIS und seine Bewegung wird kurzfristig auch zu einem Bündnis zwischen der schiitischen Regierung des Iraks und der Autonomie Kurdistan im Norden des Iraks führen. Dieses Bündnis wiederum wird die Eigenständigkeit der jetzigen Autonomie Kurdistan noch einmal befördern und wahrscheinlich in der Souveränität Kurdistans enden.
Allerdings hätte das dann zur Folge, dass sowohl die Türkei wie auch der Iran versuchen werden diesen jungen Staat an ihren jeweiligen Grenzen zu bekämpfen, da sie beide befürchten müssen, dass ihre eignen kurdischen Minderheiten ebenfalls nach einer Autonomie oder mehr streben.

ISIS und seine Bewegung werden letztendlich den Zerfall des Staates Iraks, der mit dem Ein-marsch der USA 2003 begonnen hatte, beschleunigen. Damit ist die Idee der Bush Administration die hinter diesem Einmarsch von 2003 stand, nämlich den Irak in eine mustergültige Demokratie umzuwandeln, gescheitert.
Eine Lösung des Konfliktes könnte ein UN-Mandat zum Staatserhalt des Iraks auf der einen und zur Friedensicherung auf der anderen Seite sein. Da es sich um ein schnelles und vehe-mentes Eingreifen handeln müsste, wäre wohl nur die NATO mit ihren schnellen Krisenver-bänden dazu in der Lage.
Nach den Worten des deutschen Bundespräsidenten Joachim Gauck und der deutschen Ver-teidigungsministerin Ursula von der Leyen Mitte Juni 2014, würden an einem solchen Einsatz auch deutsche Soldaten beteiligt sein.

Artikel von Matthias Hofmann (MA), DAG-Mitglied.

Weitere Informationen finden Sie hier: www.imago-mundi.info

 

   

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