Veranstaltungen der (Ausland-) Handelskammern und anderer Wirtschaftsinstitutionen für an Saudi-Arabien interessierte Unternehmer aus Deutschland stoßen nach wie vor auf große Resonanz. Lt. AHK Riyadh gibt es rund 700 deutsche Investoren im saudischen Königreich. Trotz des niedrigen Ölpreises und des saudischen Engagements im Krieg gegen den Jemen seit März 2015 gibt es seit der Veröffentlichung der „Vision 2030“ im April 2016 einen weiteren Schub im Hinblick auf das Interesse an Investitionen im Land. Der Name hinter dieser Vision ist Muhammad bin Salman bin Abdulaziz Al Saud, Verteidigungsminister, Vize-Kronprinz, zweiter stellvertretender Premierminister und Vorsitzender des Rates für Wirtschaft und Entwicklungsangelegenheiten.
Visionen sind auf der Arabischen Halbinsel nichts Neues, Sheikh Mohammed Bin Rashid Al Maktoum, der Herrscher von Dubai, hat damit vor über einem Jahrzehnt begonnen und hält die Welt in Atem mit immer neuen „Visions“, die tatsächlich verwirklicht werden. Das Jahr 2030 ist oft Ziel der Visionen und Saudi-Arabien ist spät dran. Für Saudi-Arabien sind „Visionen“ neu, aber nicht verwunderlich angesichts der zukünftigen Herausforderungen, die sich bereits durch viele Veränderungen seit dem Amtsantritt von König Salman bin Abdulaziz Al Saud abzeichnen. Allerdings sollte nicht verschwiegen werden, dass sich paradoxerweise die Versuche des Königreichs, sein Image im Westen zu verbessern und Äußerungen erzkonservativer Kreise im Hinblick auf den immer noch geltenden Wahabismus gegenüber stehen. Ein weiteres Problem ist der Dauer-Konflikt mit Iran.
Wer in Riyadh die Schnellstraße Richtung Norden fuhr, konnte die Entwicklung eines der bedeutendsten Prestigeobjekte des Königreichs, nämlich die Baustelle des King Abdullah Financial Districts in Riyadh verfolgen und wunderte sich, dass dieses Projekt seit über einem Jahr faktisch zum Erliegen gekommen ist. In den Ausführungen der „Vision 2030“ ist nun die Rede von einer neuen Grundlagenstrategie für den Finanzdistrikt, der in eine Spezialzone umgewandelt werden soll mit direkter Anbindung an den King Khalid International Airport. Geplant ist außerdem, im Finanzdistrikt die Zentrale des größten Staatsfonds des Königreichs anzusiedeln.
Bei der Lektüre der Vorhaben der „Vision 2030“ reibt man sich die Augen, denn sie lassen ein zukünftiges Bild eines vollkommen anderen Saudi-Arabien erwarten: da ist die Rede von Transparenz und Korruptionsbekämpfung, von gleichen Möglichkeiten für Frauen und Männer in der Wirtschaft und sogar davon, dass die über 50 Prozent weiblichen Studienabsolventen die saudische Wirtschaft und Gesellschaft mitentwickeln sollen. Akademischer Bildung kommt große Bedeutung zu (die Hochschullandschaft im Land ist bereits jetzt beeindruckend), genauso wie einer umweltfreundlichen Städteentwicklung, dem massiven Ausbau des Gesundheitswesens, einer florierenden Wirtschaft mit Förderung von KMU und der Förderung einer „pulsierenden Gesellschaft“, die sich an Kultur- und Unterhaltungsprojekten erfreuen kann, wozu „talentierte Autoren, Dichter und Regisseure mit Bedacht unterstützt werden sollen“. Die Rede ist vom Bau des größten Islamischen Museums der Welt. Schon jetzt ist das National Museum in Riyadh ein attraktiver Besucher-Magnet. Von all dem wird auch der (Religions-)Tourismus profitieren, denn die Zahl der derzeit 8 Mio. Mekka-Pilger soll bis 2030 auf 30 Mio. jährlich wachsen. Die pro Land kontingentierten Pilger bekommen Visa, die ihnen im Abschluss an die Pilgerfahrt auch den Besuch touristischer Sehenswürdigkeiten, von denen es viele gibt, ermöglichen und sie können dann z. B. auch mehr als doppelt so viele UNESCO Weltkulturerbestätten als bisher besuchen, wofür sich die Saudi Commission for Tourism and Heritage unter ihrem Präsidenten Prinz Sultan bin Salman bin Abdulaziz Al Saud einsetzt. Er gilt quasi als Tourismusminister, der von mehr als 140 Tourismus- und Kulturerbeprojekten spricht, darunter 18 Museen und 80 archäologische Stätten.
Deutsche Investoren waren in Saudi-Arabien schon immer willkommen. „Die Anfragen potenzieller deutscher Investoren sind gestiegen, das Interesse ist spürbar angewachsen“, so Oliver Oehms, Delegierter der Deutschen Wirtschaft für Saudi-Arabien, Bahrain und Jemen. Nach den beiden wichtigsten Investitionsbereichen für deutsche Unternehmer gefragt meint er: „An erster Stelle steht der Bereich Öl und Gas „downstream“, also Maschinen und Anlagen für die Bearbeitung von Kunststoffprodukten. Die Saudis wollen ernsthaft die lokale Wertschöpfung vorantreiben. Als zweitwichtigster Bereich gelten Medizintechnik und Pharmaindustrie unter dem Stichwort „Hospital Engineering“. Der Trend geht weg von den teuren Behandlungen im Ausland hin zu medizinischer Betreuung im eigenen Land und dafür wird die gesamte Infrastruktur benötigt“.
Dr. Saleh Awwad Alawwad, der Saudische Botschafter in Berlin, gilt als glühender Verfechter der „Vision 2030“ und wird gern mit seiner Aussage „Die deutsch-saudischen Handelsbeziehungen könnten sich verdoppeln“ zitiert. Oliver Oehms kann dem folgen, denn der Rückblick auf die vergangenen fünf Jahre zeigt die erfreuliche Erhöhung von 50 % im Export. Weitere positive Entwicklungen ergeben sich aus der „Vision 2030“. Bei den zahlreichen dort aufgelisteten Vorhaben nimmt die Privatisierung der Wirtschaft einen wichtigen Rang ein. „Die Notwendigkeit der Privatisierung ergibt sich als Chance aus dem niedrigen Ölpreis. Im vergangen Jahr musste Saudi-Arabien erstmals ein Haushaltsdefizit verbuchen, in diesem Jahr muss ebenfalls damit gerechnet werden“, so Oliver Oehms. „Auch die Unterstützung der couragierten saudischen Unternehmerinnen gibt zu entsprechenden Hoffnungen Anlass und die diesbezüglichen Erwartungen werden steigen. Ich bin der Meinung, dass ein Engagement von Seiten deutscher Investoren gerade jetzt interessant ist – man sollte dabei sein, zumal man in Saudi-Arabien relativ leicht ein Unternehmen gründen kann. Juristen, die in dieser Region beratend tätig sind, bestätigen dies. Natürlich wird von deutschen Unternehmern immer wieder die Visaproblematik angesprochen. Diskussionen auf beiden Seiten finden statt, man kann von „Good Will“ sowohl der deutschen als auch der saudischen Seite sprechen“.
Sehr zu wünschen wäre neben den erfreulichen wirtschaftlichen Anstrengungen auch eine Vision 2030 für ein globales internes und externes soziopolitisches Programm.
Text und Fotos: Barbara Schumacher
< Projekt "MedGuide – Dt. / Arabisch / Farsi"