Sehr geehrter Herr Außenminister Steinmeier,
ich hatte mich an Sie und an die Nahostabteilung des Auswärtigen Amtes gewandt, nachdem ein palästinensischer Jugendlicher von israelischen Soldaten gezielt getötet worden war (unjudicial killing).
Der Verweis auf eine Erklärung der EU erweckt den beklemmenden Eindruck, als würde in Berlin nicht mehr Außenpolitik gemacht, als würde man sich im Auswärtigen Amt hinter formelhaften, dürren, wenig inhaltsreichen Aussagen der EU verstecken, wann immer es um Israels Verantwortung geht.
Geradezu zynisch ist die Aufforderung in der EU-Erklärung, israelische und palästinensische (!) Sicherheitskräfte sollten sich tödlicher Schüsse enthalten. Die tödlichen Schüsse kamen von israelischen, nicht von palästinensischen Soldaten!
Nach den uns vorliegenden Informationen, die sich auf die regelmäßigen Berichte der UN-Organisation OCHA stützen, wurden während der sog. Friedensverhandlungen 57 Palästinenser von israelischer Seite getötet (Soldaten und Siedler!).
Die in den Kirchen der weltweiten Ökumene viel beachtete Kairos-Erklärung palästinensischer Kirchenführer ("Die Stunde der Wahrheit") warnt, dass die internationale Gemeinschaft in Bezug auf die Situation in Israel/Palästina eine "Doppelmoral" praktiziere:
"Die selektive Anwendung des Völkerrechts birgt die Gefahr in sich, uns dem Gesetz des Dschungels preiszugeben." (7-1).
Dieses Gesetz des Dschungels scheint inzwischen dank des Schweigens des Westens und auch der deutschen Diplomatie Wirklichkeit geworden zu sein: Einen Palästinenser zu töten, ist für einen Israeli kein Verbrechen. Dafür gibt es genügend Belege.
Ich habe erst vor wenigen Wochen an einer 14-tägigen Studienreise mit Pax Christi in das von Israel völkerrechtswidrig besetzte Palästina teilgenommen.
Ich weiß, wie prekär die Situation für die Menschen vor Ort ist. Unisono bekamen wir zu hören: "Wir wollen als Menschen behandelt werden und nicht wie Tiere." Gewiss werden die Menschenrechte in vielen Ländern missachtet. Israel erfreut sich jedoch besonderer Beziehungen zu Deutschland, z.B. durch gemeinsame Regierungskonsultationen, durch wissenschaftliche, ökonomische, kulturelle, militärische Zusammenarbeit und durch das EU-Assoziierungsabkommen, das allerdings die Möglichkeit eröffnet, dieses auszusetzen, wenn die Menschenrechte massiv verletzt werden.
Während das Auswärtige Amt bei Fragen zu Israel/Palästina hinter der EU zurücktritt, ist meine Wahrnehmung eine ganz andere, wenn es um die Ukraine oder andere Brennpunkte unserer Welt geht. Diese Diskrepanz steigert sich inzwischen zur Unerträglichkeit. Die deutsche Zivilgesellschaft ist nicht länger bereit, das Schweigen des Auswärtigen Amtes zu Israels Verletzungen der Menschenrechte und des humanitären Völkerrechts hinzunehmen.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Martin Breidert
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