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02.06.2014

 

Erklärung des Kairos-Palästina-Solidaritätsnetzes

 

zum Ende der sogenannten Friedensverhandlungen zwischen der israelischen Regierung und der Palästinensischen Autonomiebehörde

 

Verantwortung für das Scheitern

Die US-Initiative zur Verständigung zwischen Israel und Palästina endete wie von vielen erwartet: im Nichts. Selbst die US-Administration stellt dieses Mal – und zum ersten Mal – fest, dass für das Scheitern der Gespräche Israel verantwortlich ist. Israel seinerseits versucht – wie immer –, die Verantwortung der palästinensischen Seite zuzuschieben:

·         Die Palästinensische Autonomiebehörde (PA) habe entgegen der (Vor-)Absprache mit US-Außenminister Kerry den Beitritt zu 15 UN-Konventionen beantragt. Richtig ist aber: Erst nach der absprachewidrigen israelischen Weigerung, restliche palästinensische Gefangene aus Gefängnissen zu entlassen, beschloss die PA diesen Schritt.

·         Die PA habe einen Verständigungsprozess mit der „Terrorvereinigung“ Hamas eingeleitet. Richtig ist zwar, dass Hamas für inakzeptable Gewaltmaßnahmen verantwortlich ist und dass es in ihr Strömungen gibt, die dem erklärten Ziel einer Verhandlungslösung entgegenarbeiten. Richtig ist aber auch, dass auch von israelischer Seite inakzeptable Gewaltmaßnahmen verübt worden sind, auch dass der Likud – die Partei des israelischen Ministerpräsidenten – nach seinem Parteiprogramm die Gründung eines palästinensischen Staates ausschließt. Die israelische Seite betonte stets, es gebe keinen einheitlichen Verhandlungspartner auf palästinensischer Seite. Der Effekt dieser Verständigungsbemühung kann aber sein, dass Hamas in die Anerkennung Israels durch die Palästinensische Autonomiebehörde eingebunden wird.

·         Die PA sei nicht bereit, Israel als jüdischen Staat anzuerkennen. Richtig ist aber, dass diese Forderung von Netanjahu in die Gespräche nachgeschoben wurde, wohl wissend, dass die palästinensische Seite darauf nicht eingehen kann: 20 Prozent der israelischen Staatsbürger sind Nichtjuden. Mit einer Anerkennung Israels als jüdischer Staat würde die Palästinensische Autonomiebehörde die bestehenden rechtlichen und alltäglichen Benachteiligungen der in Israel lebenden palästinensischen Bevölkerung legitimieren und sie zu Fremden im eigenen Land machen. Weder im Friedensvertrag mit Ägypten noch mit Jordanien wurde die Anerkennung Israels als jüdischer Staat gefordert.

 

Die israelische Regierung – Verhandlungspartner ohne Ergebnisinteresse

Den von den USA anberaumten Gesprächen konnte sich Israel ohne weiteren Gesichtsverlust nicht entziehen, wohl aber einem tatsächlichem Verhandlungsergebnis, das die Verwirklichung eines lebensfähigen palästinensischen Staates zur Folge gehabt hätte.

·         Israel war zu keinem Zeitpunkt bereit, seine Grenzen zu definieren bzw. entsprechende Verhandlungsziele eindeutig zu benennen.

·         Die von Israel – der fünftstärksten Militärmacht der Welt ! – erhobenen Sicherheitsbedenken gegenüber Palästina – das zu seiner Demilitarisierung bereit ist – wurden vorgeschoben, um eine Verhandlungslösung zu torpedieren, in der auch Sicherheitsmaßnahmen für Israel einbezogen werden sollten.

·         Seinerseits führte Israel im Schatten des reanimierten „Friedensprozesses“ einen andauernden Kleinkrieg gegen die palästinensische Bevölkerung, um sie aus ihrem Lebensraum zu verdrängen („kalter Transfer“): In der Zeit der Verhandlungen wurden mindestens 57 Palästinenser getötet.

·         Israel hat während der Gespräche nicht nur unvermindert weiter Siedlerwohnungen bauen lassen, sondern sogar auf Kabinettsebene Pläne vorangetrieben, das Jordantal offiziell zu annektieren.

·         Auch die jetzt beendete Phase der „Friedensverhandlungen“ zeigt dasselbe Bild: Israel baute während dieser Zeit seine völkerrechtswidrigen Siedlungen sogar verstärkt aus. Das Ausmaß der jährlichen Siedlungserweiterungen hat sich laut einem offiziellen israelischen Bericht auf 2534 neue Wohneinheiten im Jahr 2013 erhöht und somit verdoppelt! Durch die damit einhergehenden Enteignungen der lokalen palästinensischen Bevölkerung wurde der für einen lebensfähigen palästinensischen Staat benötigte Raum weiter dramatisch reduziert. Die israelische Friedensorganisation „Peace Now“ („shalom achschav“ – „Friede jetzt“) teilte nach der Veröffentlichung des Berichts mit: «Er macht offiziell, dass die Regierung Netanjahu nur einer Sache verpflichtet ist: dem Siedlungsbau.» Der Bericht beweise, wie wenig ernst es Israel mit den im Juli 2013 begonnenen Friedensverhandlungen mit den Palästinensern sei. Die Regierung vernachlässige den Wohnungsbau in Israel selbst und verschwende stattdessen die Staatsressourcen für den Siedlungsausbau.

·         Die israelische Regierung glaubt, die Zeit würde für Israel arbeiten, wenn sie den Siedlungsbau, die entschädigungslose Enteignung von Land, die Zerstörung von Häusern und die Einsperrung der Palästinenser in Enklaven oder Homelands immer weiter treibt. Sie spielt deshalb auf Zeit, um eine vollständige Übernahme des palästinensischen Gebietes zu erreichen, wobei 4 Millionen Palästinensern in isolierte, militärisch kontrollierte und wirtschaftlich dominierte Gebiete eingepfercht werden, deren Zusammenwachsen zu einer staatlichen Einheit immer mehr verunmöglicht wird. US-Außenminister Kerry nennt dies „den Weg in die Apartheid“.

·         Inzwischen erkennen aber immer mehr Menschen in den USA und in Europa, dass diese Politik einen gerechten Frieden unmöglich macht, ohne den auch Israel nicht überleben kann. Eine israelische Regierung, die sich so rücksichtslos seinen aus dem internationalen Recht ergebenden Verpflichtungen entzieht, zerstört die moralischen Fundamente ihrer eigenen Gesellschaft. Ein dauerhafter Frieden kann nicht auf Bajonetten aufgebaut sein.

 

Das Völkerrecht muss auch für Israel gelten

·         Die EU-Leitlinien vom 19. Juli 2013 haben zu Grundlage, dass völkerrechtlich weder die Westbank noch Ostjerusalem, weder der Gazastreifen noch die Golanhöhen zum israelischen Staatsgebiet gehören. Schon am 9. Juli 2004 war der Internationale Gerichtshof in Den Haag in einem Gutachten zu dem Ergebnis gekommen, dass für die besetzten palästinensischen Gebiete die Vierte Genfer Konvention Anwendung findet: Das internationale Recht verbietet eine Ansiedlung in besetzten Gebieten.

·         Der Westen kritisiert offiziell den seit Jahrzehnten anhaltenden Bruch des Völkerrechts durch Israel, bisher allerdings ohne praktische Konsequenzen. Er verstärkt sogar noch die militärische, wirtschaftliche und kulturelle Zusammenarbeit mit Israel. Dieses inkonsequente Verhalten und das „Messen mit zweierlei Maß“ macht den Westen unglaubwürdig. Palästinensische Christen aus allen Kirchen haben in der Kairos-Erklärung „Stunde der Wahrheit“ zu Recht vor einer selektiven Anwendung des Völkerrechts gewarnt: Dies führe zu einem „Gesetz des Dschungels“, d.h. mache alle Seiten friedensunfähig. Seite 2/3

·         Auch Deutschland macht sich mit seiner Haltung der Tatenlosigkeit mitschuldig an der Fortdauer des Nahost-Konfliktes und ermöglicht die immer weiter fortschreitende Diskriminierung und Unterdrückung des palästinensischen Volkes. Wohl erkennen wir an, dass es für uns Deutsche eine besondere Mitverantwortung für die Existenz des Staats Israel gibt. Wir sind uns aber dessen bewusst, dass Israel nur mit und nicht gegen seine arabischen Nachbarn sicher sein kann – und nur unter dem Schirm des Völkerrechtes.

 

Forderungen

Zur Unterstützung der Menschen in Palästina rufen wir mit dem Kairos-Dokument der palästinensischen Christen dazu auf:

·         Beteiligen wir uns an der – sowohl in den Kirchen der weltweiten Ökumene als auch in der palästinensischen und internationalen Zivilgesellschaft immer stärker werdenden – BDS-Bewegung (Boykott, Investitionsrückzug, Sanktionen)! Der Verzicht auf Waren aus den von Israel besetzten Siedlungen ist eine Form gewaltfreien Widerstands der Zivilgesellschaft und ein Zeichen christlicher Verantwortung.

·         Fordern wir unsere Bundesregierung auf, dass sie sich für eine Aussetzung des EU-Assoziierungsabkommens mit Israel einsetzt, bis dessen Regierung die seit Jahrzehnten andauernden Verletzungen der Menschenrechte der Palästinenser und des Völkerrechts beendet.

·         Verstärken wir die Forderung nach Sanktionen durch die internationale Staatengemeinschaft, sollte die israelische Regierung durch Strafaktionen gegenüber Palästinensern von ihrer Verantwortung für den Abbruch der "Friedensverhandlungen" ablenken.

·         Appellieren wir an die Regierungen der westlichen Staaten: Die Einigungsbemühungen der Palästinenser sollten nicht torpedieren oder gar bestraft werden. Wenn sich Hamas und Fatah versöhnen und eine gemeinsame Linie verständigen, können wir dies nur als einen Schritt zur Entspannung begrüßen. Die Hamas sollte in diesem Fall von der Liste der „terroristischen Organisationen“ gestrichen werden. Diese Bemühungen müssten ferner mit wirtschaftlicher und politischer Unterstützung honoriert werden.

·         Aktuell fordern wir die Kirchen in Deutschland und unsere Bundesregierung auf, deutlich zu protestieren gegen die erneuten massiven Zerstörungen auf dem Gelände des Tent of Nations (Zelt der Völker), südlich von Bethlehem, durch israelische Bulldozer.

 

KAIROS Europa

Mai 2014

 

   

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