Hoffnungen auf einen baldigen Sieg über den „Islamischen Staat“ (IS) wären verfrüht. Zwar haben die irakische Armee und schiitische Milizen die Dschihadisten aus der Stadt Tikrit vertrieben. In seinem Kerngebiet Syrien und Irak gerät der IS unter Druck, außerhalb baut er seine Stellung als Terrororganisation aber aus. So hat sich die Organisation am Wochenende in dem südlich von Damaskus gelegenen Palästinenserlager Yarmuk festgesetzt. Zudem fasste der IS im Jemen Fuß, wo die Terrorgruppe Ansar al Scharia einen Treueeid gegenüber IS-Führer Abu Bakr al Bagdadi ablegte und am 20. März ihren ersten Terroranschlag im Namen des IS verübte.
Nach seiner raschen Expansion ist der IS im vergangenen Oktober an seine Grenzen gestoßen; seither verliert er mehr Territorium, als er erobert. Doch die Anziehungskraft der IS-Ideologie ist weiter groß. Den Geländeverlusten im Kernland steht die Ausbreitung der dschihadistischen „Marke“ entgegen. In anderen Teilen der islamischen Welt haben islamistische Extremisten einen Treueeid (arabisch: baia) gegenüber Bagdadi abgelegt und sich dem „Kalifen“ unterstellt. Etwa Boko Haram in Nigeria, das „Emirat Kaukasus“ und auf den Philippinen die Terrorgruppe Abu Sayyaf, kleinere Gruppen im Libanon und in Jordanien sowie Ableger in Libyen und auf dem Sinai sowie Dschihadistengruppen in Tunesien und Algerien. Der IS beansprucht 24 Provinzen, von denen sich 13 auf dem Gebiet Syriens und des Iraks befinden.
In Syrien und im Irak sind alle „Gouverneure“ ehemalige Kader der früheren irakischen Baath-Partei. Abu Bakr al Bagdadi hatte im Jahr 2010 sein Führungspersonal durch Baathisten ersetzt, die unter Saddam Hussein in der Armee oder der Verwaltung tätig waren. Tikrit war und ist als Heimat von Saddam Hussein eine Hochburg der Baath-Partei; der Verlust der Stadt ist daher für den IS schmerzhaft.
Der IS verfügt zwar über quasistaatliche Institutionen, er ist aber kein Staat im herkömmlichen Sinn. So erkennt er keine Grenzen an; die einzige Art der Außenpolitik ist der internationale Dschihad. Sein Herrschaftsgebiet hat er weitgehend konsolidiert. Bagdadis Organisation kontrolliert jeweils ein Drittel Syriens und des Iraks. Auf diesem Gebiet leben mehr als zehn Millionen Menschen. Die IS-Terroristen haben die größten Teile davon im zweiten und dritten Quartal des Jahres 2014 erobert. Danach erlitten sie eine Reihe von Niederlagen. Die Wende kam durch die schiitischen Milizen, die sich vom Juni 2014 an im Irak bildeten, und durch die von Washington geführte Anti-IS-Koalition, der sich mehr als 60 Staaten anschlossen.
In Syrien wurde der IS im Januar aus der kurdischen Enklave Kobane vertrieben; dafür waren indes mehr als 200 Luftangriffe notwendig, die Kämpfe dauerten fünf Monate. Der IS-Niederlage in Kobane standen Eroberungen westlich von Hassakeh entlang des Flusses Khabur gegenüber. Alle Versuche des IS scheiterten, in die vom Assad-Regime gehaltene Stadt Deir al Zor einzudringen oder in das Hinterland von Aleppo, das islamistische Rebellen halten.
Hier finden Sie den vollständigen Artikel von Rainer Hermann in der FAZ vom 09.04.2015.
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