Richard C. Schneider
Ein palästinensisches Baby ist bei lebendigem Leibe verbrannt. Verbrannt, weil jüdische Extremisten das Haus der Familie angezündet haben. Aus Hass, aus Rassismus, aus religiösem Eifer. Alle israelischen Politiker verurteilten die Tat als blanken Terror. Netanyahu sprach von Terror und auch der Führer der Siedlerpartei Naftali Bennet. In Israel wurde das als großes Ereignis bejubelt. Was sind wir doch für eine tolle Demokratie, alle Politiker sprechen von «Terror», wir sind ein großartiges Volk! Unsinn. Das ist der kleinste gemeinsame Nenner, den demokratische Politiker haben sollten: Terror schlicht Terror zu nennen. Und es ist auch Unsinn, sofort den palästinensischen Terror als Vergleich heranzuziehen, der ja viel schlimmer sei. Oder zu erklären, dass palästinensische Politiker Terroristen oftmals bejubeln, sie als Freiheitskämpfer bewundern, sie mit Ehrungen überschütten. Na und? Will «die einzige Demokratie des Nahen Ostens» sich vergleichen lassen mit der islamistischen Hamas oder mit Teilen der Fatah? Man ist doch sonst immer darauf erpicht, der Welt klarzumachen, dass man nicht so sei wie «die Palästinenser».
Also, Netanyahu und seine Koalitionspartner haben die Tat verurteilt und versprochen, die Täter zu verfolgen und hart zu bestrafen. Was denn sonst? Aber worüber nicht geredet wird, worüber Bibi und Benett und Ayelet Shaked und Miri Regev und Danny Danon und wie sie alle heißen nicht reden: Seit Jahrzehnten hat die Rechte das Terrain für solche Taten nicht nur vorbereitet, sondern immer wieder weggesehen und, wenn überhaupt, nur milde Strafen für jüdische Terroristen verhängt. Die Ideologie der Rechten ist verantwortlich für die Ermordung dieses Babys, wie sie verantwortlich ist für Baruch Goldstein und Yigal Amir und viele weitere unbekannte größere und kleinere Täter, verantwortlich für Rabbiner, die offen Araberhass predigen, verantwortlich für Politiker, die sich rassistisch äußern können, ohne sofort ihr Amt aufgeben zu müssen. Verantwortlich für – ja, sagen wir es doch – «geistige Brandstiftung». Diese Ideologen sind verantwortlich für den unerträglichen Rassismus in Israel, den Juden, wenn dies ein nichtjüdisches Land wäre, als Bedrohung empfinden und deswegen wegziehen würden. Und was macht die jüdische Gemeinschaft außerhalb Israels? Wie reagieren die Funktionäre jüdischer Gemeinden in Europa? Mit Abscheu. Natürlich. Aber zugleich auch wieder mit Apologetik, um den Antisemiten angeblich nicht in die Hände zu spielen. Und mit einer gewissen Blindheit, weil viele immer noch nicht wahrhaben wollen, dass das liberale, pluralistische, offene Israel allmählich zu verschwinden droht, dass Fanatiker und Extremisten ziemlich erfolgreich nach der Macht greifen, dass Tel Aviv leider nicht Israel ist. Und dass es lebensgefährlich geworden ist, als linksliberaler Israeli offen seine Meinung zu äußern – ein Zeev Sternhell und andere können davon berichten.
Es wird Zeit, dass die jüdische Gemeinschaft außerhalb Israels Netanyahu und seinen Mannen (und Frauen) sagt: Es reicht! Wir sind nicht mehr bereit, eurer Ideologie gegenüber loyal zu sein. Wir verstehen unter Judentum etwas Anderes als ihr. Es reicht! Wenn nicht jetzt, wann dann?
Richard C. Schneider, geboren 1957 als Kind ungarischer Holocaustüberlebender, ist seit 2006 Studioleiter und Chefkorrespondent der ARD in Tel Aviv, verantwortlich für Israel, die palästinensischen Autonomiegebiete und Zypern.
Nachzulesen auf: http://www.tachles.ch/es-reicht
< KAUSA Servicestelle Köln - Regionale Koordinierungsstelle für "Ausbildung und Integration".