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13.01.2016

 

„Zweistaatenlösung ist keine Option“ Historikerin zur aktuellen Gewaltwelle in Israel

 

Seit Anfang Oktober gehen militante Palästinenser fast täglich mit Messern und Scheren auf Israelis los. Die israelisch-deutsche Historikerin Tamar Amar-Dahl erklärt, wie es zu der neuen Gewaltwelle kommen konnte. Von Melanie Maier

 

Berlin/Stuttgart - Frau Amar-Dahl, wie schätzen Sie die aktuelle Lage in Israel ein?

Seit zwei Monaten findet ein neuer Aufstand der Palästinenser statt – und der richtet sich dieses Mal nicht nur gegen die israelische Besatzung, sondern letztlich auch gegen die eigenen Führer der Palästinenser.

 

Gegen die eigenen Führer? Wieso das denn?

Die palästinensische Führung hat sich als machtlos herausgestellt, gegenüber Israel palästinensische Interessen durchzusetzen. Sie hat im Zuge der Friedensverträge von Oslo 1993 und 1995 keine Basis für einen eigenständigen palästinensischen Staat in den besetzten Gebieten geschaffen. Im Gegenteil: Die militärische Besatzung dort hat sich noch stärker etabliert. Das wird von vielen als Scheitern wahrgenommen.

 

In erster Linie richtet sich die Gewalt aber doch gegen die Israelis.

Ganz klar: Israel ist die Besatzungsmacht seit knapp fünf Jahrzehnten. Gegen diese Macht richtet sich nun die neue Gewalt der palästinensischen Jugendlichen. Bei ihnen handelt es sich um die dritte Generation, die in die Konstellation der Besatzung hineingeboren ist. Diese Generation weiß, dass sie nichts zu verlieren hat. Ihre Verzweiflung ist so groß, die Perspektivlosigkeit so ausgeprägt, dass viele bereit sind, für den Protest mit dem Leben zu bezahlen.

 

Eine neue Intifada?

Je nachdem, wie sich die Lage entwickelt. Die israelischen Medien vermeiden das Wort. „Intifada“ bedeutet auf Arabisch Aufstand und ist für die Palästinenser positiv besetzt. Die Israelis sprechen von Terrorismus und mörderischen Attacken. Die Anschläge bezeichnen sie als „Gal Terror“, als Terrorwelle. Und sie hoffen sehr, dass diese Welle bald vorüber ist. Eine dritte Intifada wird Israel kaum verkraften können.

 

Was macht der anhaltende Terror mit der israelischen Bevölkerung?

Angst, Wut und Ratlosigkeit machen sich breit. Sie wachsen von Tag zu Tag. Ein richtiges Konzept gegen die Anschläge hat die israelische Gesellschaft nicht. Genauso wenig wie die politische Führung oder das Militär.

 

Die politische Führung hat kein Konzept?

Die israelische Regierung hat ihr herkömmliches Vorgehen intensiviert. Vor allem mit Häuserzerstörungen will man potenzielle Attentäter abschrecken, was aber bekanntlich nicht aufgeht. Deshalb herrscht eine Art Ratlosigkeit: Die Regierung Netanjahu will eine dritte Intifada verhindern, zugleich sieht sie sich gezwungen, die Maßnahmen gegen die Palästinenser zu intensivieren. Dass dies zur Eskalation führen kann, wissen Militär und Regierung sehr wohl.

 

Und ändern doch nichts an ihrem Vorgehen?

Das Land hält nach wie vor zu seiner zionistischen Staatsdoktrin: Israel gilt es weiter zu besiedeln, die Sicherheitskräfte sollen das zionistische Projekt sichern. Die Besatzung des Westjordanlands versteht das zionistische Israel als einen üblen Preis, den es hinnehmen muss – egal, wie hoch er ausfällt.

 

Was die Bürger unterstützen?

Die Israelis akzeptieren diese Staatslogik, auch wenn sie selbst die Konsequenzen eines andauernden Konflikts tragen müssen. Und je klarer sich die Palästinenser als Achillesferse des zionistischen Israels erweisen, desto mehr richtet sich die Wut der Israelis gegen die „widerspenstigen“ Palästinenser – nicht gegen die eigene Führung.

 

Die „widerspenstigen“ Palästinenser?

Die Israelis wissen nicht oder wollen nicht wahrhaben, was sie den Palästinensern angetan haben und noch immer antun. Sich dies ins Bewusstsein zu rufen hieße, die Büchse der Pandora aufzumachen. Doch die lässt man lieber geschlossen. Spontane Lynchmorde an palästinensischen Attentätern sind dabei die krasseste Erscheinungsform dieses Sich-nicht-befassen-Wollens mit der eigenen Geschichte.

 

Was müsste Israel denn tun, um den Frieden wiederherzustellen?

Israel müsste die Territorialfrage auf den Verhandlungstisch bringen. Das Problem bei den Wurzeln packen, statt die Symptome zu bekämpfen. Dazu würde allerdings auch gehören, auf Teile des Landes zu verzichten und sich aus dem Westjordanland zurückzuziehen. Doch die Bereitschaft dazu fehlt.

 

Weswegen?

Das zionistische Israel versteht das Territorium Eretz Israel – sprich, das historische Heimatland der Juden inklusive des Westjordanlands – als ein verheißenes Land. Und damit als Besitz des jüdischen Volks. Daher versteht Israel den Konflikt mit den Palästinensern auch nicht als Streit um Ressourcen.

 

Sondern?

Als Ausdruck des Antisemitismus beziehungsweise des Antizionismus. Nach seiner Lesart wenden sich die Palästinenser direkt gegen den jüdischen Staat. Vor diesem Hintergrund kann sich das zionistische Israel nicht auf einen Kompromiss mit den Palästinensern einlassen. Das ist die Dramatik des Nahostkonflikts: Zwei Völker interpretieren ihre Uneinigkeiten völlig unterschiedlich.

 

Was treibt die Palästinenser an?

Eines ihrer strategischen Ziel wäre, die israelische Besatzung zu beenden und damit die israelischen Truppen und Siedler aus dem Westjordanland zum Rückzug zu zwingen. Da sie damit aber keinen Erfolg erzielen können, gehen einzelne Attentäter blind gegen Israelis vor – scheinbar glauben sie, mit dieser Art des Aufstandes längerfristig etwas Positives bewirken zu können.

 

Und die viel beschworene Zweistaatenlösung?

Ein palästinensischer Staat neben Israel ist längst nicht mehr realistisch. Dafür ist das Siedlungsprojekt zu weit fortgeschritten. Nichtsdestotrotz ist das Gespräch über eine Zweistaatenlösung wichtig – als rhetorische Alternative zu dem, was faktisch auf dem Boden passiert: Besatzung und Gewalt.

 

Die Zweistaatenlösung als Friedensrhetorik.

Um die politische Ordnung aufrechtzuerhalten, braucht es die Illusion einer politischen Lösung. Weil die Zweistaatenlösung die gängigste ist, klammert man sich an sie.

 

Ohne dass sie je zur Realität wird.

Die Israelis dachten über Jahre hinweg, sie könnten die Palästinenser militärisch im Griff haben – und das Westjordanland dabei nach und nach besiedeln. Seit seiner Staatsgründung 1948 kämpft Israel gegen einen palästinensischen Staat an. Damit folgt es auch einem sicherheitspolitischen Interesse. Mit der Illusion einer politischen Regelung ist das zionistische Projekt in Palästina bis zum Jahr 2000 recht gut gefahren. Seitdem wird allerdings immer deutlicher: Das wird nicht funktionieren. Die Folge: Der Konflikt erscheint immer bedrohlicher für Israel.

 

Was bedeutet das für die Bevölkerung?

Die meisten Israelis entpolitisieren sich. Das heißt, sie ziehen sich zurück ins Private, versuchen, ihr Leben so normal wie möglich weiterzuführen. Den Konflikt verdrängen sie nach Möglichkeit. Was aber nicht heißt, dass das auch gelingt. Die Angst ist da. Es kann ja jeden treffen.

 

Was wäre die Alternative?

Den Konflikt zu politisieren, also politische Konzepte zu entwickeln. Doch dazu sind die Israelis anscheinend noch nicht bereit. Sie geben zunehmend auf, sie resignieren.

 

Woran liegt das?

An der historisch gewachsenen Entpolitisierung der Gesellschaft. Wie in früheren Eskalationsmomenten warten viele nur darauf, dass der Terror vorbeigeht, und beschränken sich darauf, im Alltag vorsichtiger zu sein als sonst. Dass sie damit der Regierung einen Freibrief in der Palästinafrage geben, ist den meisten wahrscheinlich noch nicht einmal bewusst. Man kann der Politik aber nicht ewig entrinnen. Das ist kurzfristig vielleicht die bequemere Lösung. Langfristig kann man die Situation damit nicht ändern.

 

Wie lange wird die Gewalt noch anhalten?

Das weiß niemand. Die Situation bleibt in jedem Fall längerfristig explosiv, denn die politische Ordnung ist sehr konfliktträchtig. Israel hat ein Besatzungssystem etabliert – Mauern, Checkpoints, Repressionen. Die Lage wird wohl noch häufig eskalieren – mit immer neuen Formen der Gewalt, von beiden Seiten. Das ist die Rechnung für Israels Weigerungshaltung, sich mit der Palästinafrage auseinanderzusetzen. In dieser Geschichte verlieren alle.

 

Hier finden Sie das vollständige Interview der Stuttgarter Nachrichten erschien am 31.12.2015.

 

   

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