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02.07.2013

 

Vorsicht, Staatsräson!

 

Wenn es um Israels Sicherheit geht, hantieren Medien und Politiker gerne mit einem Begriff der Rechtsgeschichte, der in Demokratien nichts zu suchen hat, meint Botschafter a.D. Gerhard Fulda.

 

Niccolò Machiavelli wirkte zu Beginn des 16. Jahrhunderts in Florenz nicht nur als Politiker, sondern begründete im Jahr 1531 mit seinem Buch »Il Principe – der Fürst« auch die Staatsphilosophie der Aufklärung. Sein Name steht seither für ein Konzept der Beziehung zwischen Macht und Moral, in dem die ethischen Werte notfalls einem höheren Staatsziel weichen. Mit ihm wird immer wieder auch die »Staatsräson« in Verbindung gebracht, obwohl der eigentliche Begriff »Raggion di Stato« erst fast 60 Jahre später durch seinen Landsmann Giovanni Botero in Umlauf kam. Tatsächlich war es aber das Gedankengebäude Machiavellis, das die Legitimität des Herrschens auf eine nicht mehr transzendente, sondern nunmehr weltliche Grundlage stellte. Bis dahin hatten sich die Fürsten als Repräsentanten einer gottgewollten Herrschaft legitimiert

Nicht mehr die Religion sollte Sinn und Zweck (und die moralischen Grenzen) der Machtausübung bestimmen, sondern – ganz irdisch – das Ziel, das Fortbestehen des Staates als souveräner Staat zu sichern. Wenn der Herrscher dieses Ziel nur unter Verletzung ethischer Normen erreichen konnte, dann durfte und sollte er entsprechend handeln. Ein Staat besteht, um bestehen zu bleiben.

Inzwischen ist die Staatsräson als Rechtfertigungsgrund für ein Primat der Machterhaltung im politischen Sprachgebrauch weit ausgedehnt worden – als Bestandteil einer so genannten Realpolitik. Nicht nur zur Bewahrung der Existenz eines Staates können Moral und Ethik zurückgestellt werden, sondern schon zum Machterhalt einer Regierung und zur Befriedigung selbstdefinierter staatlicher Grundbedürfnisse. In einem demokratischen Rechtsstaat kann dieser Begriff eigentlich schon deshalb keinen Platz haben, weil er die Diskussion unterschiedlicher Staatsziele abschneidet. »Die absolute Norm staatlicher Selbsterhaltung ist jeglicher Diskussion entzogen«, schreibt der Berliner Politologe Herfried Münkler über Machiavelli.

Im Verhältnis zwischen Staaten hat sich die Terminologie noch weiter verschoben, zugunsten der so genannten Interessenpolitik. Dort wird der Ausbau der Handelsbeziehungen wichtiger als die Wahrung der Menschenrechte; die Achtung des völkerrechtlichen Gewaltverbots tritt zurück hinter die Bereitschaft, den Krieg als Mittel der Außenpolitik einzusetzen.

Am 17. April 2005 sprach der damalige Außenminister Joschka Fischer vor der Sondervollversammlung der Vereinten Nationen anlässlich des 60. Jahrestags der Befreiung des Konzentrationslagers Sachsenhausen und erklärte: »Das Existenzrecht des Staates Israel und die Sicherheit seiner Bürgerinnen und Bürger wird immer unverhandelbare Grundposition deutscher Außenpolitik bleiben. Darauf wird sich Israel stets verlassen können.«

Bundeskanzlerin Angela Merkel ging in ihrer Rede am 18. März 2008 vor dem israelischen Parlament, der Knesset, bekanntlich noch deutlich weiter: »Jede Bundesregierung und jeder Bundeskanzler vor mir waren der besonderen historischen Verantwortung Deutschlands für die Sicherheit Israels verpflichtet. Diese historische Verantwortung Deutschlands ist Teil der Staatsräson meines Landes. Das heißt, die Sicherheit Israels ist für mich als deutsche Bundeskanzlerin niemals verhandelbar.«

Bei Fischer konnte man bereits kritisch anmerken, die Worte »Existenzrecht«, »Sicherheit« und »unverhandelbar« seien zu vieldeutig, als dass sich daraus eine konkrete Handlungsmaxime für praktische Außenpolitik herleiten ließe. Es blieb eine wohlfeile Aussage schon insoweit, als ein Forum, in dem man über das Existenzrecht Israels hätte verhandeln können oder müssen, realistischerweise gar nicht vorstellbar war.

Auch Fischers Aussage, »wir würden keine Abstriche an der Sicherheit Israels hinnehmen«, ließ in New York viele Fragen offen. Hieß das, dass Deutschland damit ungeprüft alle Definitionen zur israelischen Sicherheit von allen künftigen israelischen Regierungen übernehmen würde? In Merkels Knesset-Rede wurde die historische Verantwortung für Israel mit der Verwendung des Begriffs »Staatsräson« noch weniger greifbar.

Wenn etwas Staatsräson ist, dann gibt es keine Diskussion

Während Fischers Rede in Deutschland damals vergleichsweise wenig Beachtung fand, hat Merkels Staatsräson die deutsche Öffentlichkeit 2008 intensiv beschäftigt. Der Begriff ist seither kaum aus dem Diskurs um Deutschlands Beziehungen zu Israel wegzudenken. Politiker, Journalisten, Experten berufen sich gern auf dieses Zitat – aber niemand weiß anscheinend wirklich, was er damit sagt. In seiner Kritik des »Israelgedichts« von Günter Grass, das im April dieses Jahres erschien, erklärte Frank Schirrmacher, Mitherausgeber der Frankfurter Allgemeinen, Merkels Diktum der Staatsräson sei sogar »staatsrechtlich relevant«.

In meinem Jurastudium tauchte dieses Schlagwort allerdings nur in der Rechtsgeschichte auf; im Grundgesetz kommt es nicht vor. Vielleicht liegt der Charme dieses Begriffes gerade darin, dass jeder sich ausdenken kann, was damit gemeint sein könnte. Eines haben aber alle Deutungen gemeinsam: Wenn etwas Staatsräson ist, dann gibt es keine Diskussion.

Folgt man dieser Logik, so hieße dass, dass es sich aus Gründen der Staatsräson verbietet, Merkels Diktum eben von dieser Staatsräson zu hinterfragen. Andererseits gibt es Menschen in Deutschland, welche die Artikel 25 und 26 des Grundgesetzes gelesen haben, denen zufolge das Völkerrecht Teil des Bundesrechtes ist und »Handlungen, die geeignet sind und in der Absicht vorgenommen werden, das friedliche Zusammenleben der Völker zu stören, insbesondere die Führung eines Angriffskrieges vorzubereiten« verfassungswidrig und strafbar sind. Bundespräsident Joachim Gauck distanzierte sich vor einigen Monaten vorsichtig von Merkels Aussage – er meine dasselbe wie die Kanzlerin, aber man könne das auch mit anderen Worten ausdrücken. Er sagte auch, er wolle sich »nicht jedes Szenario ausdenken, welches die Bundeskanzlerin in enorme Schwierigkeiten bringt, ihren Satz, dass die Sicherheit Israels deutsche Staatsräson ist, politisch umzusetzen.«Da der Bundespräsident fast im gleichen Atemzug hinzufügte, er sehe keinen unmittelbar bevorstehenden israelischen Angriff auf Iran, müssen wir annehmen: Er hatte durchaus ein Szenario im Kopf, in dem die Bundeskanzlerin von ihrer Staatsräson abrücken könnte – oder in »Schwierigkeiten« käme.

Die Bundeskanzlerin nähert sich gefährlichen Denkkategorien

Grund genug, einige Schritte zurückzutreten und sich zu fragen: Was hat es eigentlich auf sich mit der Staatsräson? Die Versuche, Herrschaft außerirdisch zu legitimieren, reichen weit in die Geschichte der Menschheit zurück. Die Pharaonen waren selbst Götter, die jüdischen Könige konnten nur von Propheten kritisiert werden, Augustinus sah in der Spätantike jegliche Herrschaft als von Gott eingesetzt, die ältesten islamischen Traditionen mochten keinen Unterschied sehen zwischen weltlichem und religiösem Denken. Die Gegenpositionen, gegründet auf rationalem Denken und bürgerlicher Teilhabe, entstanden in urbanen Zentren: etwa in Athen und in Florenz.

Deren diesseitiges Staatsverständnis entledigte sich der religiös begründeten moralischen Einschränkungen der Herrscher. Die Effizienz des Herrschens wurde geradezu verherrlicht, hatte aber mit der überwundenen Theokratie eines gemeinsam: Die Staatsräson war der kritischen Diskussion ebenso entzogen wie der göttliche Herrschaftsauftrag.

Es stellt sich die Frage, ob es nicht im Wesen jeder autokratischen Herrschaftsstruktur liegt, nachfragefreie Räume zu schaffen, in denen der Nukleus der Macht unangefochten bleibt. In diesem Sinne sprach Adolf Hitler am 3. Juli 1932 von der Vorsehung: »Wir hoffen, dass wir vom Schicksal dazu ausersehen sind, und dass der Allmächtige so entscheidet, denn bei uns ist der Wille, der Glaube.« Hitlers »Machiavellismus«, seine brutale Zielstrebigkeit, fand Rechtfertigung in der Überzeugung, auserwählt zu sein. Der Marxismus sah in der Geschichte einen zwangsläufigen Übergang zum Kommunismus, einem Naturgesetz folgend unvermeidbar, alternativlos. Opposition wurde auf diese Weise aus dem Rahmen vernunftbestimmten Denkens verbannt.

Diese insoweit ebenfalls transzendent begründete Unantastbarkeit der Machtverhältnisse wirkt auch in China fort. Dort spricht man von »besonderen chinesischen Bedingungen«, die grundsätzlich zu respektieren seien, wenn etwa der Westen die Menschenrechtslage in China kritisiert. Diese Konditionalität des »Chinesischseins« wird nie definiert und bleibt deshalb unangreifbar. Ihre wichtigste Funktion ist das Fortbestehen der Einparteienherrschaft.

In allen autokratischen Systemen wird der Nährboden tabuisiert, aus dem die Macht gewachsen ist. Und mit dem Begriff der Staatsräson hat sich die Bundeskanzlerin gefährlich in die Nähe solcher Denkkategorien begeben.

Die außenpolitische Arbeitsweise verführt zu einer Überbeanspruchung der Geheimhaltung

Die mangelhafte Kommunikation über Beweggründe und Folgen des Regierungshandelns, die Bundespräsident Gauck rügte, gehört in diese graue Zone des Nicht-Diskutierbaren. Ich möchte dabei keinesfalls Frau Merkel eine demokratiefeindliche Haltung unterstellen! Die Begeisterung, mit der sich deutsche Medien die Staatsräson zu eigen gemacht haben, zeigt vielmehr, dass die Außenpolitik bei uns noch immer nicht ganz in der Demokratie angekommen ist – oder umgekehrt. Transparenz und Bürgerbeteiligung lassen dort zu wünschen übrig: Einerseits ist die Aufmerksamkeit weiter Kreise der Bevölkerung auf unmittelbar spürbare innenpolitische Entscheidungen begrenzt.

Andererseits verführt die außenpolitische Arbeitsweise zu einer Überbeanspruchung der Geheimhaltung. Wer bei internationalen Verhandlungsprozessen seine Karten zu früh auf den Tisch legt, hat schon verloren. Demokratische Beteiligung wird also in der Außenpolitik weder hinreichend angeboten noch nachgefragt. Deshalb ist hier nicht nur von einer deutschen Befindlichkeit, sondern von einem weltweiten Problem zu sprechen. Tatsächlich hat sich ein ganz zentraler Begriff des internationalen Staatensystems zu einer der Staatsräson vergleichbaren nebulösen Vielschichtigkeit entwickelt: Souveränität.

Die Charta der Vereinten Nationen spricht in Artikel 2 von der »souveränen Gleichheit aller ihrer Mitglieder« und vom Verbot der Einmischung »in Angelegenheiten, die ihrem Wesen nach zur inneren Zuständigkeit eines Staates gehören«. Auch der Begriff der Souveränität reicht in vordemokratische Zeiten zurück und sein absolutistischer Ursprung wird nur mühsam mit der Behauptung verdeckt, die Völker seien inzwischen selbst die Souveräne. In Wirklichkeit nehmen dadurch die Regierungen in Anspruch, selbstherrlich ihre jeweiligen Interessen verfolgen zu können – Syrien ist nur das jüngste Beispiel. Die so genannte Schutzverantwortung, mit der der Sicherheitsrat eine Intervention in Libyen ermöglicht hat, ist in Wirklichkeit ein unausgereiftes Instrument, weil es grundsätzlich die Fiktion der Souveränität selbst der menschenverachtendsten Regierungen nicht antastet.

Beide Begriffe müssen in Frage gestellt werden und benötigen eine neue, zeitgemäße Definition. Nicht nur die Außenpolitik, sondern jede Politik braucht Transparenz und mehr Moral. Individuelle und gruppenspezifische Egoismen sollten sichtbar gemacht und nach Diskussion eingegrenzt werden. Für das Überleben eines Staates und das friedliche Zusammenleben aller Staaten brauchen wir dann womöglich weder Souveränität noch Staatsräson, sondern verbindliche Regeln zur Begrenzung der Machtausübung und zur fairen Verteilung der knapp gewordenen Ressourcen.

Dieser Artikel unseres Vorstandsmitgliedes Herrn Dr. Gerhard Fulda erschien in der aktuellen zenith-Ausgabe (September/Oktober 2012), die alle DAG-Mitglieder erhalten.

 

   

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