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17.08.2013

 

Der Westen ist schuldig

 

Wie hoch darf der Preis für eine demokratische Revolution sein? In Syrien sind Europa und die Vereinigten Staaten die Brandstifter einer Katastrophe. Es gibt keine Rechtfertigung für diesen Bürgerkrieg.

 

Der Westen, wenn diese etwas voluminöse Bezeichnung gestattet ist, hat in Syrien schwere Schuld auf sich geladen - nicht, wie oft gesagt wird, weil er mit seiner Unterstützung des Widerstands gegen eine tyrannische Herrschaft zu zögerlich gewesen wäre, sondern im Gegenteil: weil er die illegitime Wandlung dieses Widerstands zu einem mörderischen Bürgerkrieg ermöglicht, gefördert, betrieben hat. Mehr als hunderttausend Menschen, darunter Zehntausende Zivilisten, haben diese vermeintlich moralische Parteinahme mit dem Leben bezahlt. Und es werden viel mehr sein, wenn dieser Totentanz irgendwann ein Ende findet. Diese Strategie ist eine Variante dessen, was seit der Invasion des Irak vor zehn Jahren „demokratischer Interventionismus“ heißt: das Betreiben eines Regimewechsels mit militärischen Mitteln zum Zweck der Etablierung einer demokratischen Herrschaft. Im Irak besorgten die Invasoren das eigenhändig. Der Kriegsgrund wurde, wie wir wissen, zwischendurch umstandslos ausgewechselt: Waffen hin oder her - jedenfalls befreie man ein unterdrücktes Volk. Auch dieses Ziel rechtfertige den Angriff.

 

Die verwerflichste Spielart

Was in Syrien geschieht, ist eine dem Anschein nach mildere Form des Eingriffs, da sie den Sturz des Regimes dessen innerer Opposition überlässt, die von außen nur aufgerüstet - und freilich auch angestiftet - wird. In Wahrheit ist sie die verwerflichste Spielart: nicht so sehr, weil sie neben dem Geschäft des Tötens auch das Risiko des Getötetwerdens anderen zuschiebt. Eher schon, weil sie die hässlichste, in jedem Belang verheerendste Form des Krieges entfesseln hilft: den Bürgerkrieg. Jedenfalls übernehmen die Intervenierenden die vermeintliche und absurde Rolle von Unschuldigen. Es ist ein suggestives Herabsetzen der Legitimationsschwelle für das eigene Handeln vor den Augen der Welt: Wir sind es nicht, die in Syrien töten; wir helfen nur einem unterdrückten Volk. So lässt sich offenbar eine Aura des Moralischen erschleichen. Rätselhaft ist, dass dies ohne nennenswerten Widerspruch gelingt. Soweit ich sehe, ist schon die Grundfrage kaum gestellt, geschweige denn beantwortet worden: die nach der Legitimität der bewaffneten Rebellion in Syrien. Bei welchem Grad der Unterdrückung darf der berechtigte Widerstand gegen dessen Herrschaft zum offenen Bürgerkrieg übergehen? Und war diese Schwelle in Syrien erreicht, als die Unruhen begannen?

 

Die Lebens- und Leidenskosten

Denn war sie es nicht, dann war das Anheizen des Aufstands von außen verwerflicher noch als dieser selbst. Wie selbstverständlich scheint man vorauszusetzen, der legitime innere Widerstand gegen einen Diktator wie Assad schließe stets die Erlaubnis zur Gewalt ein. Aber das ist falsch. Diskutabel wäre es allenfalls, wenn dabei nur das Verhältnis der Rebellierenden zu ihrem Unterdrücker und dessen Machtapparat im Spiel wäre. Dann ginge es allein um eine Art kollektiver Notwehr, und deren Rechtfertigung mag, je nach Art der attackierten Diktatur, ohne weiteres begründbar sein. Seit Aristoteles erörtert die Rechtsphilosophie das Problem des Tyrannenmordes unter diesem Titel. Aber die Annahme, in einem Bürgerkrieg stelle sich die Frage von Recht und Unrecht nur mit Blick auf die Konfliktparteien, verfehlt das eigentliche
Legitimationsproblem. Die Entfesselung flächendeckender Gewalt bedarf auch und vor allem einer Rechtfertigung gegenüber den unbeteiligten Mitbürgern. Sie mögen den Aufstand mit guten Gründen ablehnen, ohne deshalb Parteigänger des Despoten zu sein. Vielleicht haben sie Frauen und Kinder, um deren Leben sie im Bürgerkrieg fürchten müssen. Dann hätten sie nicht nur ein Recht, sondern die moralische Pflicht, eine Rebellion, die ihre Schutzbefohlenen mit dem Tod bedroht, unbedingt zu verwerfen. Zehntausende Frauen und Kinder sind im syrischen Bürgerkrieg umgekommen. Was legitimiert dessen Protagonisten, den Getöteten und deren Angehörigen ein solches Opfer
zuzumuten? Die Lebens- und Leidenskosten des syrischen Aufstands werden zu großen Teilen auf Dritte abgewälzt. Ist so etwas zu rechtfertigen? Wir kennen durchaus ein rechtsethisches Prinzip, das die Zumutung zwangssolidarischer Opfer für die Zwecke Dritter zu rechtfertigen vermag: das des „aggressiven“ Notstands, der ebendeshalb so heißt, weil er die Kosten einer Behebung eigener Not auf andere auch gegen deren Willen abzuschieben erlaubt. Das kann natürlich nur in engen Grenzen zulässig sein. Wohl kann man das Leben
unter dem syrischen Diktator als eine Art Dauernotstand bezeichnen. Aber wie immer man dann das Maß des solidarischen Mitleidens bestimmt, das unbeteiligten Dritten allenfalls aufgezwungen werden darf, und wie weit immer es in Krieg und Bürgerkrieg über das in einer friedlichen Gesellschaft zulässige hinausgehen mag, eines kann es ganz gewiss nicht gebieten: die Opferung des eigenen Lebens.

 

Man darf die Frage nicht ignorieren, weil einem die Antwort missfällt

„His life is the only one he has“, schreibt in anderem Zusammenhang der amerikanische Philosoph Robert Nozick. Das ist der Grund, warum niemand verpflichtet sein kann, es zwangssolidarisch herzugeben für fremde Ziele. Schließt das nicht für jeden gewaltsamen Aufstand die Möglichkeit einer Rechtfertigung aus? Kant verwarf jedes Recht zur Rebellion radikal, wenn auch primär aus anderen und schwerlich überzeugenden Gründen. Die Antwort hängt davon ab, welchen Begriff von Rechtfertigung man gelten lässt. Der amerikanische Philosoph John Rawls hat 1971 in seiner „Theorie der Gerechtigkeit“ die Idee einer „unreinen“, einer „nicht-idealen“ Legitimation skizziert und sie in seinem Spätwerk „Das Recht der Völker“ (1999) weiterentwickelt. Ohne eine solche Konzession der „reinen“ Vernunft an die normativ in höchstem Maße unreine Sphäre des Bürgerkriegs wird wohl für kaum eines seiner historischen Beispiele eine Rechtfertigung zu haben sein. Außer Zweifel steht jedenfalls, dass die Schwelle dafür sehr hoch liegen muss. Nur in den seltensten Fällen extremer, etwa genozidaler Terrorherrschaft dürfte sie fraglos überschritten sein. Und ebenfalls außer Zweifel steht, dass man die Legitimationsfrage nicht deshalb ignorieren darf, weil einem die Antwort missfällt. Entweder rechtfertigt das Ziel des syrischen Aufstands auch das Zwangsopfer des Lebens Unbeteiligter, die von der erhofften besseren Zukunft nichts haben werden, oder er ist selbst illegitim und verwerflich.

 

Das Völkerrecht hilft uns hier nicht

Seine Unterstützung und Ermöglichung von außen wären dies dann freilich in noch weit höherem Maß. Das ist das vorrangige Problem. Ihm hätte sich die Syrien- Diskussion des Westens zu stellen, statt es hinter einer Wirrnis sekundärer politischer Kalküle und ungewaschener Sympathien für ferne „Freiheitskämpfer“ verschwinden zu lassen. Das Völkerrecht hilft uns hier nicht. Es ist für die Frage einer Erlaubnis zum Bürgerkrieg unzuständig. Deshalb enthält es auch keine einschlägigen Normen, wiewohl es aus guten anderen Gründen jede militärische Unterstützung bewaffneter Aufstände in fremden Staaten prinzipiell verbietet. Ein Vorwurf zu machen ist aber der politischen Philosophie. Seit Kant hat sie das Problem der Rechtfertigung des Bürgerkriegs auf befremdliche Weise vernachlässigt. Deshalb fehlen heute, von tastenden Versuchen abgesehen, überzeugende Vorschläge einer begründeten Lösung. Dieses Defizit ist derzeit in dem konturlosen öffentlichen Gerede über die syrische Katastrophe fühlbar. Nur die Trompeter (Trompethiker) der „Realpolitik“ wissen wie stets Bescheid. Alle diese Überlegungen seien naiv und lebensblind; schon Bismarck habe gewusst und so weiter. Aber naiv ist nur dieser Einwand. Naiv ist die Vorstellung, die Stabilität eines so komplexen Systems wie der heutigen Staatenwelt lasse sich dauerhaft über Macht, Drohung und Gewalt sichern, statt nach den Maßgaben einer internationalen Normenordnung, die in weltweit konsensfähigen Prinzipien gründet.

 

Schwere Kriegs- und Menschlichkeitsverbrechen auf beiden Seiten

Im Übrigen ist es deren genuiner Sinn, dass sie sich nicht nach einer tatsächlich geübten Praxis zu richten haben, sondern diese sich nach ihnen. Ja, es gibt keinen Krieg und erst recht keinen Bürgerkrieg, in dem nicht massenhaft Unschuldige getötet würden. Aber das ändert daran nichts: Wir brauchen bessere Gründe für eine Aufhebung unserer Normen als den Hinweis darauf, dass sie in einer bestimmten Sphäre stets gebrochen werden. Was heißt das alles für den syrischen Aufstand? Assads Regime war und ist eine düstere Tyrannei. Weniger finster zwar als die mancher Golfstaaten, die plötzlich ihr Herz für den „demokratischen Wandel“, nämlich den in Syrien, entdeckt und ihn mit der Lieferung von Waffen an die Aufständischen zu einem Albtraum gemacht haben. Doch finster genug, um jederlei zivilen Widerstand zu rechtfertigen. Aber die Entfesselung eines Bürgerkriegs mit hunderttausend Toten? Ganz gewiss nicht. Ich sehe nicht, dass auf dieses Verdikt ein vernünftiger Zweifel fallen könnte. Schwere Kriegs- und Menschlichkeitsverbrechen haben beide Seiten des Konflikts in großem Ausmaß begangen. Aber dessen Beginn war auch und vor allem die Ausgeburt einer in hohem Grade verwerflichen Entscheidung der Rebellen: ihres Griffs zu den Waffen. Ja, ich kenne sämtliche Einwände. Erstens habe sich der zunächst friedliche Protest erst radikalisiert, als ihn die Staatsmacht mit exzessiver Gewalt niederzuschlagen versuchte. Das ist wahr. Aber es wirft nicht den Schatten einer Rechtfertigung ab für das anschließende Auslösen eines jahrelangen Gemetzels. Ebendieses, so heißt es zweitens, sei aber am Anfang nicht einmal absehbar geschweige denn gewollt gewesen; es sei nichts als das Ergebnis der schieren Eskalation eines Konflikts zwischen brutaler Staatsmacht und legitimer Opposition. Das ist nicht wahr. Nach allen Kriterien sind sämtliche verheerenden Folgen der Gewaltaufnahme, ist jedes einzelne ihrer Opfer jedenfalls auch (und selbstverständlich nicht nur) den Rebellen anzulasten. Und an der Absehbarkeit dieser Folgen von Anfang an gibt es schon deshalb keinen Zweifel, weil sie von zahlreichen Warnern vorhergesehen wurden. Aber ob man denn, so der empörte dritte Einwand, im Ernst behaupten wolle, nach Assads brutalem Zuschlagen gegen friedliche Demonstranten seien diese noch immer verpflichtet gewesen, friedlich zu bleiben, militärische Gegengewalt zu unterlassen und damit die Fortdauer der Tyrannei hinzunehmen? Ja, ebendies. Regime wie das Assads sind eine Geißel ihrer Völker. Aber Bürgerkriege sind eine schlimmere. Die Vorstellung, es gebe ein fragloses Recht, mit diesen jene zu beseitigen, ist eine merkwürdige moralische Verirrung. Von hier aus fällt ein kaltes Licht auf das Verhalten des Westens - oder genauer, der drei westlichen Vormächte Vereinigte Staaten, Großbritannien und Frankreich, die als
ständige Mitglieder des Weltsicherheitsrats eine besondere Verpflichtung gegenüber dem internationalen Frieden und der Normenordnung haben, die ihn sichern soll. Ich sehe ab von der maßlos schäbigen Politik Saudi-Arabiens, Qatars und der Türkei.

 

Weltöffentliches Augenwischen

Sie haben aus strategischen Gründen, die mit Iran, und nicht aus moralischen, die mit der syrischen Bevölkerung zu tun haben, sehenden Auges eine Bedingung der Katastrophe gesetzt: die Waffen, mit denen sie möglich wurde. Das alles ist offenkundig. Einer Beglaubigung bedarf es nicht mehr. Zu reden ist aber von der sinistren, maskierten und dennoch offensichtlichen Unterstützung der drei westlichen Mächte für die völkerrechtswidrige Politik der unmittelbaren Einmischer. Schwerlich wäre deren externes Anheizen des Bürgerkriegs ohne ein wenigstens stillschweigendes Placet aus Washington möglich gewesen. Ganz so stillschweigend war es übrigens gar nicht. Im März 2012 sagte der „Legal Adviser“ des amerikanischen Außenministeriums Harold Koh auf der Jahrestagung der amerikanischen Völkerrechtler, man „helfe und applaudiere“ der Arabischen Liga bei ihren „konstruktiven Schritten“ im Syrien-Konflikt. Diese bestanden schon damals in nichts anderem als in dessen militärischer Eskalation. Auch deshalb ist die Behauptung der amerikanischen Regierung, man habe die Rebellen stets nur mit „nichttödlichen“ Hilfsmitteln unterstützt, ein so offenkundig untauglicher Versuch des weltöffentlichen Augenwischens, dass man sich fragt, ob er selbst als Irreführung ernst gemeint sein kann.

 

Nicht weniger zynisch

Am 24.März 2013 erschien in der „New York Times“ unter der Überschrift „Waffenlieferungen an syrische Rebellen ausgedehnt - mit Hilfe der CIA“ ein detailreicher Bericht. Er weist mehr als 160 Frachtflüge mit Kriegswaffen nach, die seit Anfang 2012 aus Saudi-Arabien, Qatar und Jordanien regelmäßig am türkischen Flughafen Esenboga entladen und von dort über die Grenze nach Syrien geschafft wurden - alle mit logistischer und vielfacher sonstiger Hilfe der CIA. Das zeige, konstatiert die Zeitung nüchtern, dass die Vereinigten Staaten entgegen regierungsamtlichen Bekundungen ihren arabischen Verbündeten sehr wohl „auch bei der Förderung der tödlichen Seite des Bürgerkriegs“ zur Hand gingen. Anfang Juli kam, mitsamt probatem Vorwand, Obamas öffentliche Ankündigung, man werde den Rebellen nun direkt Waffen liefern. Das ist gewiss konsequent. Weniger zynisch ist es nicht. Das Ausmaß der französischen und der britischen Hilfe für die „tödliche Seite“ des Konflikts werden Historiker klären. Dass es unter dem der amerikanischen Unterstützung bleibt, ist unwahrscheinlich. Dies alles ist trostlos. Und es wird noch trostloser, wenn man nur die tatsächlichen Erfolgsaussichten eines demokratischen Interventionismus bedenkt, der wie in Syrien sein Ziel im Modus von Anstiftung und Förderung eines fremdstaatlichen Bürgerkriegs verfolgt. Sie liegen, das weiß man seit langem, bei nahezu null. Die Gründe dafür sind wenig geheimnisvoll. In Studien über die Chancen militärisch erzwungener Regierungswechsel sind sie dargelegt worden. Rund hundert externe Umsturzversuche hat es seit den Napoleonischen Kriegen weltweit gegeben, darunter viele mit demokratischem Ziel. Die wichtigsten Erfolgsindikatoren sind weder die Macht des Intervenienten noch das Maß seines Aufwands, sondern bestimmte Voraussetzungen im Zielstaat selbst: relative Homogenität seiner Bevölkerung, keine tiefen ethnischen oder religiösen Konflikte, Grad der Urbanisierung, hinreichend funktionierende Verwaltung, historische Erfahrung mit demokratischen Institutionen, ökonomischer Wohlstand der Mehrheit der Gesellschaft - kurz: so ziemlich alles, woran es in Syrien fehlt. Das Land ist ein Musterfall dafür, dass jede Form des demokratischen Interventionismus scheitern muss.

 

Hunderttausend Tote sind ein zu hoher Preis für eine erfolgreiche Revolution

Nimmt man hinzu, dass der Regimewechsel im Bürgerkrieg erzwungen werden soll, so verschärft sich diese Diagnose bis zum Aussichtslosen. Die jahrelangen Grausamkeiten, der davon entfesselte wechselseitige Hass, die unzähligen Opfer - all das wird eine tiefe Wunde hinterlassen, die sich in Generationen nicht schließen wird. Nichts von all den romantischen Erwartungen einer demokratischen, rechtsstaatlichen Zukunft, mit denen eine gutgläubige öffentliche Meinung hierzulande die Ambitionen der syrischen Rebellen verklärt hat, wird sich in absehbarer Zeit erfüllen. Vom Ausgang des Mordens hängt das nicht mehr und hing es wohl niemals ab. Das ist das letzte Element im Verdikt über den bewaffneten syrischen Aufstand. Die halbwegs vernünftige Erfolgsaussicht eines solchen Unternehmens ist mehr als ein bloß pragmatischer Gesichtspunkt. Sie ist eine genuine Bedingung seiner Legitimität. Nach allem, was sich derzeit sagen lässt, gibt und gab es sie für Syrien niemals. Hunderttausend Tote sind ein viel zu hoher Preis für eine erfolgreiche demokratische Revolution. Für eine erfolglose sind sie eine politische, ethische, menschliche Katastrophe. Ich glaube nicht, dass die künftige Geschichtsschreibung den Westen vom Vorwurf der Mitschuld daran freisprechen wird.
 

Den Artikel der FAZ, vom 02.08.2013, finden Sie hier.

 

   

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