«Krieg führen ja, aber mit Mass.» So etwa lautete die Leitlinie für die bewaffnete syrische Opposition, nachdem sich der Aufstand gegen Bashar al-Asad und seine Baath-Partei im Frühling 2011 zum bewaffneten Kampf ausgeweitet hatte. Zu dieser Zeit des arabischen Aufbruchs insistierten viele syrische Oppositionelle auf der Notwendigkeit einer Bewaffnung – nicht zur direkten Konfrontation mit Asads Truppen, sondern zum Schutz der wehrlosen Demonstranten, die landauf und landab den Sturz des Regimes forderten. Den jugendlichen Rebellen war klar: Wehe dem, der schiesst. Die Regierung wartete nur darauf, ihre Opponenten in die Falle laufen zu lassen. Im Kampf gegen eine unbewaffnete Jugend waren Asads Schergen letztlich hilflos, nicht aber im Krieg gegen bewaffnete Aufständische, das ist ihr Metier.
Keine Endkontrolle über die Waffen
Die Rebellierenden taten dem Regime den Gefallen und überschritten die Grenzen der Selbstverteidigung. Unterstützt wurden sie dabei von desertierten Soldaten und Offizieren, die an einen militärischen Sieg über Asad glaubten und eine säkulare und demokratische Ordnung in Syrien versprachen. Exakt so, wie man es sich in den vom «arabischen Frühling» überraschten westlichen Hauptstädten wünschte, da die Bereitschaft zum Eingreifen mit eigenen Truppen fehlte. Die zur Freien Syrischen Armee gewachsene Kraft verdiene Support, hiess es unter den sich Freunde Syriens nennenden internationalen Asad-Gegnern. Ihre Arbeitsteilung bestand darin, die Waffenlieferung den Golfländern zu überlassen. Die Unterstützung mit nichttödlichen Kriegsmitteln und die humanitäre Hilfe übernahmen westliche Staaten. Die Türkei bot sich an für den Transit und als Hinterland für die Rebellen.
Bereits damals war klar, dass den Geberländern eine Endkontrolle über ihre Hilfe nicht möglich war. Wie in Bürgerkriegen üblich, bildete sich auch in Syrien ein unübersichtliches Kampffeld. Den Deserteuren, selbsternannten Emiren, simplen Kriminellen und kampferprobten Jihadisten aus aller Welt standen aufgerüstete Regierungstruppen gegenüber, ihrerseits unterstützt vom libanesischen Hizbullah und von Kämpfern aus dem Irak und Iran. Der blutige Konflikt habe sich zum regionalen Stellvertreterkrieg entwickelt, wird behauptet, zum Kräftemessen zwischen Schiiten und Sunniten. Die faktische Ausschaltung der Freien Syrischen Armee durch Islamisten an der Grenze zur Türkei markiert eine Wende im bisherigen Kriegsgeschehen. Schon bei Ausbruch der Kämpfe fiel auf, dass eben gerade nicht die rebellischen, mittelständischen syrischen Jungen zur Waffe gegriffen hatten, sondern die namenlosen sozialen Absteiger, die als Folge von Asads wirtschaftlichen Reformen ins Elend gestürzt waren. Der hartnäckigste Widerstand gegen das Regime wurde in den Aussenvierteln der städtischen Agglomerationen geleistet, wo jene ausgepowerte Landbevölkerung hauste, die nichts mehr zu verlieren hatte. Sie für den Jihad zu rekrutieren, brauchte nicht viel Überzeugungsarbeit. Die Aussichten auf Sold, Waffen und Seelenheil reichten.
Dass die Islamische Front mit ihren rund 45 000 Kämpfern nun die Freie Syrische Armee zu verdrängen vermag, stellt den Westen vor Probleme, nachdem die säkularen Rebellen ihre Teilnahme an den Verhandlungen Ende Januar in Genf angekündigt haben. Die von Saudiarabien massgeblich unterstützte Islamische Front wollte bisher von Verhandlungen nichts wissen. Warum sollte sie auch, solange sie von Sieg zu Sieg eilt? Am Verhandlungstisch unerwünscht sind die in Syrien kämpfenden Jihadisten aus dem Umfeld der Kaida. Auch sie gewannen in den letzten Monaten stets an Boden. Über die Herkunft ihrer Mittel weiss man nur so viel, dass neben andern Einnahmequellen auch viel privates Geld aus dem Golf in ihre Taschen fliesst. Eine Interessengemeinschaft der Islamischen Front und der syrischen Kaida-Adepten im syrischen Krieg sei nur eine Frage der Zeit, sagen wohlinformierte örtliche Beobachter.
Naive Hoffnungen
Das wird vor allem einen freuen: Bashar al-Asad. Wie vor ihm schon der libysche Herrscher Ghadhafi hatte auch er bei Beginn des Aufstands das Gespenst der Kaida an die Wand gemalt und darauf gezählt, dass man ihn speziell im Westen verstehen werde. Doch dort waren viele der Auffassung, die Demokratie bahne sich kraft ihrer ideellen Überlegenheit unweigerlich den Weg. Dabei hätte der Zerfall im Irak nach dem amerikanischen Einmarsch als Lehrbeispiel des Gegenteils dienen müssen und der Sturz von Ägyptens erster frei gewählter Regierung die Einsicht stärken sollen, dass der Samen der Demokratie fruchtbaren Boden und eine gut gesinnte Nachbarschaft erfordert. Für Syrien ist nur die erste dieser Voraussetzungen gegeben, solange die arabischen «Brudernationen» am Golf ihre vom arabischen Aufbruch bedrohten Feudalsysteme mit viel Geld verteidigen, ohne darob von reifen westlichen Demokratien gerügt zu werden.
Quelle: nzz.ch
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