Wenn Terroristen mitten unter der Bevölkerung zuschlagen und ihre Sprengsätze noch mit Metallsplittern anreichern, um die tödliche Wirkung ihrer Waffen zu steigern, so stösst dies rund um die Welt auf Entsetzen und Abscheu. Wenn gar ein Staatschef seine eigenen Untertanen mit solchen Höllenmaschinen bombardiert, müsste der Aufschrei eigentlich noch viel lauter sein. Doch im Fall Syrien trifft das Gegenteil zu. Seit Mitte Dezember lässt der Diktator Bashar Asad sogenannte Fassbomben auf die von Rebellen kontrollierten Teile der Stadt Aleppo abwerfen. Dabei handelt es sich um primitive Sprengkörper, wie sie auch aus einer Untergrundwerkstätte von Terroristen stammen könnten – Metallbehälter, gefüllt mit Sprengstoff und zersägten Armierungseisen, die von Helikoptern aus grosser Höhe auf Wohngebiete fallengelassen werden. Zielgenaue Angriffe lassen sich damit nicht ausführen, aber als Waffen in einem gnadenlosen Zermürbungskampf, der keinerlei Rücksicht auf die Zivilbevölkerung nimmt, eignen sie sich gleichwohl. Mindestens 600 Todesopfer sollen diese Attacken bereits gefordert haben, und nur erahnen lässt sich das Klima des Terrors, das Asads Streitkräfte mit dieser Taktik in Syriens grösster Stadt erzeugen.
Selbst ein derart eklatantes Verbrechen vermag jedoch auf internationaler Ebene keine energische Reaktion auszulösen. Der Versuch, das Regime in Damaskus wenigstens symbolisch an den Pranger zu stellen, scheiterte im Uno-Sicherheitsrat wie gewohnt an der Blockade Russlands. Der Kremlchef Putin, der sich mit der Amnestierung politischer Gefangener gerade noch in der Pose des grossmütigen Staatsführers gefallen hat, zeigt wieder sein altes Gesicht. Wer wie Putin in Tschetschenien ganze Ortschaften dem Erdboden gleichgemacht hat, sieht keinen Grund, die Methoden seines Verbündeten Asad zu kritisieren. Wenn sich die Grossmächte aber bereits wegen einer zahnlosen Erklärung in die Haare geraten, so ist in den wirklich schwierigen Fragen erst recht keine Einigkeit zu erwarten. Das gilt auch für die in der nächsten Woche am Genfersee geplante Syrien-Friedenskonferenz.
Unter günstigeren Voraussetzungen hätte das Treffen zu einer Krönung langer und zäher diplomatischer Bemühungen werden können. Nach mehr als 100 000 Kriegstoten und der Vertreibung von 40 Prozent der Bevölkerung sollen Vertreter der Konfliktparteien erstmals seit Beginn des Aufstands vor knapp drei Jahren miteinander verhandeln. Das deklarierte Ziel lautet ambitiös, eine breit abgestützte Übergangsregierung zu bilden, die endlich die Waffen zum Schweigen bringen kann. Aber die Konferenz, so sie denn überhaupt stattfindet, dürfte eine Farce werden: Die Organisatoren Russland und Amerika ziehen nicht am selben Strick, einer der Hauptdrahtzieher des Konflikts, Iran, ist von der Teilnahme ausgeschlossen, Asads Regime steht dank jüngsten militärischen Erfolgen nicht unter Druck, die Macht mit jemandem zu teilen, und die anwesenden Oppositionellen können nicht ernsthaft beanspruchen, die gesamte Rebellenbewegung zu repräsentieren. Ein Misserfolg ist damit programmiert.
Dass man in Montreux trotzdem das Trugbild eines Friedensprozesses inszeniert, liegt vor allem an den Amerikanern. Deren Syrien-Politik hat in den vergangenen Monaten so gründlich Schiffbruch erlitten, dass die USA ihren Einfluss auf das Geschehen im Land weitgehend eingebüßt haben. Eine Konferenz unter Washingtoner Schirmherrschaft kann da helfen, den Schein einer amerikanischen Führungsrolle zu wahren. In Wirklichkeit sitzen die bedeutenderen Akteure in Moskau und Teheran, Riad und Katar – dort, von wo die Kriegsparteien ihre Waffen und finanzielle Unterstützung beziehen. Dass sich der Westen mit seinem Abseitsstehen im syrischen Kräftemessen auch Einflussmöglichkeiten vergibt, ist den Amerikanern durchaus bewusst. Gewichtige Stimmen in der Administration Obama sprachen sich im Sommer 2012 dafür aus, gemässigte Rebellen wie die Freie Syrische Armee aufzurüsten. Aber der Präsident lehnte dies ab. Als er im folgenden Jahr doch noch grünes Licht für begrenzte Waffenlieferungen gab, blieb diese Operation monatelang im Räderwerk der Washingtoner Bürokratie stecken.
Amerikas Hilfe an die Aufständischen beschränkt sich daher weitgehend auf harmloses Material wie Kommunikationsgeräte, was die Unterlegenheit dieser Gruppen gegenüber Asads Streitmacht nicht wettmachen kann. Aber auch im Vergleich zu den besser versorgten islamistischen Milizen gerieten die prowestlichen Einheiten ins Hintertreffen. Der Tiefpunkt kam im Dezember, als die Freie Syrische Armee von Jihadisten aus ihrem wichtigsten Stützpunkt im Norden vertrieben wurde. So steht den Amerikanern heute in Syrien kein glaubwürdiger Bündnispartner mehr zur Verfügung. Tonangebend im Anti-Asad-Lager ist nun eine unappetitliche Palette von Islamisten, die von halbwegs pragmatischen Muslimbrüdern bis zu fanatischen Mörderbanden aus dem Kaida-Netzwerk reicht. Als Alliierte kommen sie alle nicht infrage.
Präsident Obama hat wiederholt erklärt, dass sich Amerika nicht in «anderer Leute Bürgerkrieg» verwickeln lassen sollte. Dieses Ziel hat er erreicht, und nach den bitteren Erfahrungen im Irak-Krieg ist diese Haltung verständlich. Aber auch das Abseitsstehen hat einen hohen Preis. Indem die USA den Rücktritt Asads für unabdingbar erklärten, dann aber kaum etwas in diese Richtung taten, haben sie viel Glaubwürdigkeit verspielt. Und indem Obama nach dem Giftgas-Massaker vom August zuerst nach Vergeltung rief, den geplanten Militärschlag dann aber mit Rücksicht auf den Kongress abblies, signalisierte er Schwäche und Unentschlossenheit. Wenn Amerika sich aus der gewohnten Rolle der Ordnungsmacht verabschiedet, bleibt dies in der Region nicht unbeantwortet. Iran und Saudiarabien liefern einander auf dem syrischen Schlachtfeld einen erbitterten Stellvertreterkrieg, in dem es letztlich um die Vormacht in der Golfregion geht. Dieser Konflikt ist brandgefährlich und berührt westliche Interessen unmittelbar. Dagegen abschotten kann man sich schon deshalb nicht, weil derzeit Tausende von europäischen Islamisten in Syrien das Terrorhandwerk erlernen. Wenn sie dereinst zurückkehren und auch nur einige wenige ihren Jihad im Westen fortsetzen, wird man sich fragen müssen, wie zutreffend das Bild vom «anderer Leute Bürgerkrieg» war.
In den ersten beiden Kriegsjahren wäre es mit einer beherzten Unterstützung prodemokratischer Widerstandsgruppen wohl noch möglich gewesen, in Syrien Schlimmeres zu verhüten. Diese Option besteht nun kaum noch, da die heutige Ausgangslage auf eine Wahl zwischen Teufel und Beelzebub hinausläuft. Asad ist damit am Ziel – ihm war es immer darum gegangen, die syrische Frage als Kampf zwischen seinem Regime und Terroristen darzustellen. Die Weichen sind nun gestellt für einen jahrelangen Vernichtungskrieg. Eine pompöse Friedenskonferenz am Genfersee mit Delegationen aus zwei Dutzend Ländern kann solche Tatsachen höchstens bemänteln – ändern wird sie daran nichts.
Hier finden Sie den vollständigen Artikel der NZZ vom 18.01.2014.
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