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03.04.2014

 

Scholl-Latour erklärt Afghanistan für verloren

 

Im Auswärtigen Ausschuss des Bundestags hat Peter Scholl-Latour den deutschen Afghanistan-Einsatz zerrissen. Der Bundeswehr warf der Reporter vor, ihre Lager am Hindukusch kaum noch zu verlassen.

 

Von Miriam Hollstein

Wenn der Auswärtige Ausschuss des Bundestags tagt, tut er dies hinter geschlossenen Türen. Am Mittwoch machte er eine Ausnahme. Der Grund: Bei einer Anhörung sollte es um die Lektionen gehen, die Deutschland aus dem Einsatz der Internationalen Schutztruppe für Afghanistan (Isaf) ziehen kann. Der Einsatz endet am 31. Dezember 2014.

Dass die Besuchertribüne dabei voll besetzt war, lag am Thema, aber auch am Stargast der Sitzung. Denn als Experte war Peter Scholl-Latour eingeladen. Der inzwischen 90-jährige Journalist verkörpert wie kein anderer den Typus des Kriegsreporters, der die ganze Welt bereist hat.

Er war mit französischen Fallschirmjägern in Indochina, erlebte den kongolesischen Bürgerkrieg und begleitete Ajatollah Khomeini, als dieser aus dem französischen Exil in den Iran zurückkehrte. Auch Afghanistan kennt Scholl-Latour schon lange, er ist mehrfach im Land unterwegs gewesen. In der Wissenschaft ist der Bestseller-Autor gleichwohl umstritten: Kritiker werfen ihm vor, in seinen Analysen eindimensional, oberflächlich und mitunter rassistisch zu sein.

Warnung vor "Stimmzettelfetischismus"


Scholl-Latour ficht das nicht an. Diplomatie hat er sich stets für die heiklen Begegnungen mit den Warlords aufgehoben; zum Beispiel dann, wenn es darum ging, eine Einladung zum Tee lebend zu überstehen. Dem Auswärtigen Ausschuss sagte er hingegen deutlich, was er vom Einsatz in Afghanistan hält. "Der Krieg in Afghanistan ist verloren – das sollten wir uns eingestehen", lautet die Bilanz von Scholl-Latour. "Und wir sollten uns überlegen, wie wir da rauskommen."

Die internationale Gemeinschaft habe in den vergangenen zwölf Jahren offenbar nichts dazugelernt. Die Vorstellung, man könne nach einem Abzug der Schutztruppe mit einem kleinen Restkontingent die afghanische Armee ausbilden, sei "völlig illusorisch". Zumal Letztere, das habe er selbst in Gesprächen mit Soldaten erfahren, aus gesinnungslosen "Tagelöhnern" bestehe. Dies sei auch der Grund, warum 2001 der Versuch, Al-Qaida-Führer Osama bin Laden bei der Schlacht um Tora Bora dingfest zu machen, gescheitert sei: weil man die Aktion den Afghanen überlassen habe.


Er selbst würde heute nicht mehr ohne Schutz außerhalb Kabuls reisen, sagte Scholl-Latour. Wer sich von der bevorstehenden Wahl eine Besserung der Lage verspreche, der betreibe "Stimmzettelfetischismus". Denn die Wahllisten würden von Warlords dominiert.

Scharfe Kritik an der Bundeswehr

Auch die Bundeswehr kam bei Scholl-Latour nicht gut weg: Diese verlasse ihre Lager kaum noch und sei für den "Partisanenkrieg", der Afghanistan beherrsche, nicht vorbereitet. Zumal jeder zwölfjährige afghanische Junge ein "geborener Partisan" sei.


Es sind Sätze wie diese, die bei den anderen geladenen Experten ein Wispern hervorriefen. Auch sie hatten auf die schlechte Lage vor Ort hingewiesen, dabei aber auch Möglichkeiten der Verbesserung skizziert. Der Westen müsse sich stärker auf die Entwicklungshilfe konzentrieren, sagte etwa Thomas Ruttig, langjähriger Mitarbeiter der UN-Mission in Kabul. Die Vertreterin des dortigen Büros der Friedrich-Ebert-Stiftung, Adrienne Woltersdorf, forderte eine stärkere Unterstützung für den Wirtschaftsaufbau.

65 Prozent der afghanischen Bevölkerung seien unter 25 Jahre; für die müsse es Beschäftigungsperspektiven geben, wenn man die Lage stabilisieren wolle, betonte Woltersdorf. Als Einzige in der Runde verwies sie mehrfach auf die positiven Entwicklungen im Land. Dass dort Ende der Woche tatsächlich die Präsidentschaftswahl stattfinden würde, sei "ein Erfolg". Von den Afghanen selbst werde kritisch gesehen, dass sich unter den Kandidaten viele Warlords tummeln würden.

Mehrheit der Bürger teilt Scholl-Latours Meinung


Es sei aber auch eine neue Form der "Kompromisskultur" erkennbar, meinte Woltersdorf: "Afghanische Politiker haben verstanden, dass es nicht nur um eine Ethnie gegen eine andere gehen kann." Deutschland genieße nicht zuletzt aufgrund der historischen Verbindungen beider Länder immer noch ein besonderes Vertrauen in der afghanischen Bevölkerung und könne bei der künftigen Entwicklung eine "besonders positive Rolle" spielen.


Scholl-Latour kann solchen Überlegungen nicht viel abgewinnen. Man müsse Afghanistan den Afghanen überlassen, sagte er. Diese Position vertritt er bereits seit Jahren. Die Mehrheit der Deutschen teilt Umfragen zufolge seine Meinung: Sie hält den Einsatz für einen Fehlschlag.

 

Quelle: welt.de

 

   

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