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07.04.2014

 

ARD- Sendung "Zwischen Hoffnung und Verzweiflung. Der neue Nahe Osten“ (ARD 31. März 2013, 22.45 Uhr)

 

Stellungnahme zu der ARD-Sendung von Dr. Martin Breidert

 

Sehr geehrter Herr Chaim Schneider, sehr geehrter Herr Armbruster,

das Interessanteste an einem Dokumentarbericht ist das, was er nicht berichtet.

Sie erwähnen die Friedensverhandlungen unter Außenminister Kerry, erwähnen jedoch nicht, dass in der Zeit der Verhandlungen bereits 57 Palästinenser durch israelische Sicherheitskräfte getötet wurden. Sie erwähnen nicht, dass während dieser Friedensverhandlungen die  israelische Regierung einen Ministerausschuss eingesetzt hat, der eine Annektierung des Jordantals vorbereiten soll.

Sie behaupten, die Menschen könnten sich in der Westbank frei bewegen.  Sie erwähnen nicht, dass die von Israel besetzten Gebiete in A-, B- und C-Gebiete aufgeteilt sind mit.  Sie erwähnen nicht,  dass in den besetzten Gebieten  für Palästinenser  seit 47 Jahren  Militärrecht herrscht, während  die Siedler unter Zivilrecht fallen.  Selbst in Bir Zeit (A-Gebiet)  hat das israelische Militär unlängst ein Haus gesprengt, „um einen Palästinenser festzunehmen“. Dabei wurde der junge Mann nicht festgenommen, sondern getötet – eine spezielle israelische Variante der Festnahme.

Sie erwähnen zwar, dass die vielen Checkpoints „echte Schikane  [seien], völlig unnötig“.  Sie erwähnen nicht, was das Ziel dieser Schikanen ist, die systematisch betrieben werden (vgl. Inge Günthers Bericht in der Berliner Tageszeitung vom 2.4. 2014 www.berliner-zeitung.de/archiv/in-den-haag-entscheidet-der-internationale-gerichtshof--ob-der-zaun--der-israelis-und-palaestinenser-trennt--weitergebaut-werden-darf--in-jerusalem-wird-er-weitergebaut-bunte-mauern,10810590,10192634.html).

Stattdessen berichten Sie über  die moderne Trabantenstadt bei Ramallah mit wunderbarem Design. Zwar erwähnen Sie am Schluss, dass Israel für diese Stadt die Wasserversorgung verweigert. D.h. Sie klammern die  willkürliche Wasserversorgung durch den israelischen Konzern Mekorot aus, der durch Military  Order  in den besetzten  Gebieten herrscht.

Sie erwähnen zwar, dass gerade im letzten Jahr die Zahl der Siedler rapide zugenommen hat, Sie erwähnen jedoch nicht, dass diese Siedlungen völkerrechtlich illegal sind.

Sie erwähnen  die  Übergriffe der Siedler und lassen  diese vor der Kamera zum Besten geben, sich angeblich nur  zu verteidigen. Sie erwähnen  nicht die so genannten Price-Tag-Attacks, mit denen  sie gezielt Pogrome gegen Palästinenser anzetteln.  Sie erwähnen nicht die gewaltsamen Übergriffe in Hebron und im Jordantal.

Sie erwähnen, dass die Mehrheit der Israelis eine Zwei-Staaten-Lösung befürwortet. Sie erwähnen jedoch nicht, dass laut einer israelischen Umfrage mehr als 20 % der Israelis einen „Transfer“ aller Palästinenser in einen neu zu schaffenden palästinensischen Staat in der jordanischen Wüste fordert (Jüdische Zeitung, Oktober 2013), so als lebten wir noch im kolonialistischen 19. Jahrhundert.

Sie berichten zwar, wie umstritten der Tempelberg ist, Sie erwähnen  jedoch  nicht, dass gemäß dem israelisch-jordanischen Friedensvertrag, Art. 9, Jordanien für die Verwaltung der Tempelberg zuständig ist, so dass der Besuch von Ariel Sharon auf dem Tempelberg zusammen mit starken israelischen Polizeikräften, der zur zweiten Intifada geführt hatte, völkerrechtswidrig war.

Sie erwähnen zwar am Ende des Abschnitts über die Blockade  des Gazastreifens durch Israel („…und da ist da noch die israelische Blockade“).  Sie erwähnen jedoch nicht, welche verheerenden Folgen diese hat für die Stromversorgung,  für die die Wasserversorgung, für die Abwasserbehandlung,  für  die Einschränkung der Fischerei.  Sie erwähnen nicht  die entschädigungslose Konfiszierung von Land, um entlang der Grenze von Gaza einen Todesstreifen einzurichten. Sie erwähnen zwar die Raketenangriffe  auf israelisches Gebiet und die beiden israelischen Kriege gegen Gaza, Sie erwähnen jedoch nicht  die fortgesetzten täglichen  Drohnenangriffe Israels.

Nicht berichten Sie von den entschädigungslosen  Hauszerstörungen  in Ostjerusalem  und dem Landraub im Jordantal.

Nicht berichten Sie, dass durch den Bau der Sperranlage (Mauer/Zaun)  mehr als 10 Prozent palästinensischen Landes  der Westbank entschädigungslos konfisziert wurden und tausende Olivenbäume  vernichtet wurden (oder ausgegraben und in Israel verkauft - Hehlerei).

Sehr geehrter Herr Chaim Schneider,  Sie  behaupten, dass „die Flüchtlinge nach internationalem   Recht eigentlich nicht Flüchtlinge“ seien. Offenbar kennen Sie  die UN-Resolution 194, Art. 11 nicht, sonst hätten Sie  so etwas nicht  sagen können.

Sie berichten   zwar  ausführlich über eine atomare Bedrohung des Iran, der keine Atomwaffen hat, aber nichts über die real existierenden  israelischen Atomwaffen in Dimona.

Sie erwähnen nicht  die Boykottbewegung gegen die israelische Besatzungspolitik, die Staatspräsident Peres bei einer Konferenz aller israelischen Außenminister als das größte Sicherheitsrisiko bezeichnet hat (so im Newsletter der israelischen Botschaft).

Es fällt auf, das Sie in Ihrem Doku-Bericht keine  UN-Resolutionen erwähnen (außer dem UN-Teilungsplan, ohne den es  den Staat Israel nicht gäbe).  Sie erwähnen nicht  das Gutachten des Internationalen Gerichtshofs in Den Haag vom Juli 2004. Sie erwähnen nicht  die Berichte des UN-Menschenrechtsrats  vom Januar 2013, nicht die Berichte von Amnesty  International und UNICEF.  Sie erwähnen nicht die regelmäßigen erschreckenden Berichte  der UN-Organisation OCHA, Sie erwähnen nicht die Berichte israelischer Menschenrechtsorganisationen, Sie erwähnen nicht  den öffentlichen Appell des Präsidenten des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz, der  die   Verletzungen der Menschenrechte und des Völkerrechts durch Israel anprangert.  Sie erwähnen nicht, dass die EU-Leitlinien vom 19.7. 2013 festgestellt haben, dass weder das Westjordanland noch der Gazastreifen, weder Ostjerusalem noch die Golanhöhen völkerrechtlich zum israelischen Staatsgebiet gehören. Solche Rechtsvergessenheit teilen Sie leider mit vielen Journalisten.

Sehr geehrter Herr Armbruster, sehr geehrter Herr Schneider, damit Sie nicht meinen, ich  würde wie der Blinde von der Farbe reden, füge ich  den Bericht von meiner Studienreise durch das Westjordanland bei.

Mit freundlichen Grüßen

Martin Breidert





Sehr geehrter Herr Breidert,


haben Sie herzlichen Dank für Ihre mail. Am Beispiel Israel werfen Sie uns vor, was wir alles n i c h t erwähnt haben. Nun, ich könnte Ihnen diese Liste für alle weiteren "Akteure" in unserem Film beliebig verlängern, könnte Ihnen also aufzählen, was wir alles n i c h t gesagt haben - über die Hamas, z.B, über den Islamischen Jihad, über den Iran, die Gruppen in Syrien, im Libanon, in Ägypten. Eine ähnlich lange Liste, wie Sie sie für Israel aufgeführt haben, wäre ohne Problem - mit entsprechenden Greueltaten etc. - für alle anderen auch aufzuführen. Sie übersehen dabei nur eins: Dieser Film, der zwar 90 Minuten lang war, ist dennoch zu kurz, um alles, absolut a l l e s aufzuführen. Und: Das war auch nicht die Absicht des Films. Wir wollten nicht Details erzählen, sondern versuchen, die großen Linien des Nahostkonflikts aufzuzeigen: Also die Auseinandersetzungen zwischen Sunni und Schia, zwischen Liberalen und Konservativen, zwischen Säkularen und Fundamentalisten, zwischen Israel und der arabischen Welt, zwischen Israel und dem Iran. Da ist es klar, daß viele kleine und größere Ereignisse auf der Strecke bleiben müssen. Allein für die Beispiele, die Sie genannt haben, hätten wir zehn Minuten in einem Beitrag gebraucht - um dann allerdings in weiteren 10 Minuten zumindest die palästinensische Seite, z.B. mit ihren Übergriffen und Terrorattacken auf Israel, mit ihrer innenpolitischen Korruption, mit ihrm z.T. blutigem Machtkampf oder auch den per Dekret verordneten Todesstrafen in Gaza etc. zu erzählen. - Sie sehen, das ist in so einem Film nicht zu leisten. Dafür gibt es die aktuellen Sendungen, unsere Blogs, den Weltspiegel und eben auch Filme, die sich genau dieser Themen annehmen. Hier ging es uns um Orientierung. Der Zuschauer sollte die Möglichkeit bekommen zu verstehen, wie sozusagen "alles mit allem" zusammenhängt. Und dann - wenn er Lust hat - diese Informationen weiter vertiefen. Mit Hilfe der ARD und natürlich auch mit Hilfe anderer Medien und Organisationen.

mit freundlichen Grüßen

Richard C. Schneider





Sehr geehrter Herr Chaim Schneider,

auf Ihre Mail vom 7.4. 2014 möchte ich Folgendes antworten:
Der ärgste Feind  des Staates Israel ist das Internet. Viele Menschen wissen es inzwischen  besser, als Ihre  sogenannte ARD-"Doku" es glauben machen wollte. Auf Youtube  sind viele Dokumentarvideos  zu sehen,  dokumentiert von israelischen (!) Menschenrechtsorganisationen, wie  israelische Soldaten  entschädigungslos Häuser zerstören, nächtliche Terrorrazzien durchführen (s. Berichte  der israelischen (!) Soldatenorganisation  „Breaking the Silence“),   wie Palästinenser  entschädigungslos  ihres Landes und ihrer Ressourcen beraubt werden, wie die Palästinenser täglichen Schikanen ausgesetzt sind, und  das alles trotz  der IV. Genfer Konvention, trotz humanitärem Völkerrecht, trotz der EU-Leitlinien vom 19.7. 2013, wonach die besetzten und annektierten Gebiete völkerrechtlich nicht zum israelischen Staatsgebiet gehören.  Keine Regierung, nicht einmal die USA, unterhalten in Ostjerusalem ein Konsulat. Wie soll es Verständigung und  erfolgreiche Friedensverhandlungen geben, wenn  zur gleichen Zeit  die israelische Regierung einen Ministerausschuss einsetzt, der die offizielle Annektierung des Jordantals vorbereitet? In Ihrer  Sendung behaupteten Sie,  Israel wolle Frieden. Welchen Frieden? Mit dem Jordan als Ostgrenze und einigen palästinensischen Homelands dazwischen, eingesperrt ähnlich wie der Gazastreifen? Was soll mit mehr als 4 Millionen Palästinensern im Westjordanland und im Gazastreifen geschehen,  von den Menschen in den Flüchtlingslagern im Libanon  und anderswo gar nicht zu reden? Die Menschen  in  den besetzten und annektierten Gebieten haben  seit Jahrzehnten erlebt und erlitten, wie facts o the ground geschaffen wurden.  Für sie ist der Punkt gekommen, wo sie sagen: Enough is enough.

Die israelische Besatzungs- und Annexionspolitik ist das Primäre, der  Widerstand der Palästinenser, den Sie Terrorismus nennen, ist die Folge.
   
Was ist Terrorismus? War  Nelson Mandela  ein Friedenskämpfer oder ein Terrorist?  Der Friedensnobelpreisträger  hatte zeitweilig zum bewaffneten Kampf aufgerufen. Sind die Palästinenser, die im Westjordanland seit 47 Jahren als weithin Rechtlose und im Gazastreifen unter einer lebensbedrohlichen Blockade leiden, Widerstandskämpfer oder Terroristen, wenn sie gewaltsamen Widerstand gegen die Besatzung und Abriegelung leisten? War der israelische Ministerpräsident und Friedensnobelpreisträger Menachim Begin, der maßgeblich an dem Anschlag auf das Jerusalemer King- David-Hotel mit mehr als 90 Toten beteiligt war, ein zionistischer Held oder ein Terrorist? Waren die Menschen, die den Aufstand im Warschauer Ghetto organisierten, Terroristen oder Freiheitskämpfer?  War Willy Brandt, als er in Norwegen gegen die deutsche Wehrmacht kämpfte, ein Terrorist oder ein Widerstandskämpfer? War Charles de Gaulle ein Terrorist, als er gegen die deutsche Besatzung zum Widerstand aufrief? War Gerry Adams, der in  Nordirland die IRA  befehligte, später das Karfreitags-Friedensabkommen aushandelte und schließlich für einen Sitz im britischen Unterhaus gewählt worden war, ein Terrorist oder ein Freiheitskämpfer? Auch wenn ich als Christ für Gewaltfreiheit eintrete, nehme ich zur Kenntnis, dass das Völkerrecht gewaltsamen Widerstand gegen eine Besatzungsmacht erlaubt.

Jizchak Rabin  wurde nicht von einem palästinensischen Terroristen, sondern von einem Israeli  ermordet.  Nachdem der jüdische  Arzt Baruch Goldstein 1994 in der Moschee von Hebron während des Freitagsgebets 29 muslimische Palästinenser erschossen und 150  verletzt hatte, begannen die  palästinensischen Selbstmordattentate.  Für Baruch Goldstein   errichteten die Siedler von Hebron ein Denkmal mit der Inschrift: Er war ein gerechter und heiliger Mann,  ein Märtyrer.

Sie sollten als Journalist sorgsamer  mit dem Begriff Terrorismus umgehen, auch wenn ihn die israelischen Behörden   in Orwell’scher Weise verdrehen, z.B. wenn sie die  friedlichen Freitagsdemonstrationen in Bil’in gegen die völkerrechtswidrige Mauer (vgl. Gutachten des Internationalen Gerichtshofs vom 4. Juli 2004)  als  „gewaltlosen Terrorismus“  bezeichnen (zit. bei Stephane Hessel, Empört  Euch!, S. 19).

Ihr Filmbeitrag und noch mehr Ihre Mail verwechseln Ursache und Wirkung.  Folge der Besatzung und der Blockade  mit der ständigen Verletzung der Menschenrechte und des Völkerrechts  ist der Widerstand der Palästinenser und der internationalen Zivilgesellschaft, die  inzwischen  immer erfolgreicher  zum Boykott und zu Desinvestitionen aufruft.

Mit ingrimmigem Gruß

Martin Breidert

 

Dateien:
Reisebericht.pdf242 K

   

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