Die Politik von Ministerpräsident Maliki habe wesentlich zum Erstarken der Terrorgruppe Isis im Irak beigetragen, sagte Volker Perthes von der Stiftung Wissenschaft und Politik im DLF. Dass angesichts der Eskalation offenbar Gespräche zwischen den USA und dem Iran geplant sind, mache Sinn.
Dirk-Oliver Heckmann: Zunächst aber blicken wir Richtung Irak. Hier hat die islamistische Isis ja in atemberaubendem Tempo Geländegewinne zu verzeichnen. Angeblich ist erneut eine irakische Stadt in ihre Hände gefallen. Die Armee holt aber offenbar mittlerweile zum Gegenschlag aus und hat unter anderem massenhaft Daten von den Islamisten erbeutet.
Islamisten überrennen also halb Irak, die Soldaten der irakischen Armee, die mit Milliarden ausgerüstet und ausgebildet wurde, laufen scharenweise davon. Darüber habe ich gesprochen mit Volker Perthes, Direktor der Stiftung Wissenschaft und Politik, und ihn habe ich zunächst gefragt, ob er sich ein solches Szenario hat vorstellen können.
Volker Perthes: Nein, ich habe mir das Szenario so nicht vorgestellt, wobei wir wissen müssen, dass in Mossul, also in der wichtigsten der Städte, die das Regime jetzt verloren hat, die Gruppen der sogenannten Isis oder des Islamischen Staates im Irak und Syrien schon seit einiger Zeit die de facto Kontrolle gehabt haben, also etwa Bürger besteuert haben oder richtiger gesagt Schutzgeld erpresst haben.
Heckmann: Sie sprechen die Organisation Isis an. Wie kann das sein, dass so wenige zehntausend Kämpfer sozusagen einen solchen Durchmarsch durch den Irak vonstatten bringen können?
Perthes: Ja, Sie stellen die Frage ganz richtig, und auch die, die Sie ja eben gestellt haben danach, wieso eigentlich irakische Soldaten in Divisionsstärke ihre Uniform ausziehen und ihre Waffen liegen lassen. Es hat offensichtlich damit zu tun, dass diese Soldaten kein Interesse haben, ihren Staat zu verteidigen, und da sieht man, es ist etwas ganz grundsätzlich falsch in diesem Staat, in der Art und Weise, wie hier regiert wird und wie über das Regieren wichtige Gruppen ausgeschlossen werden und wichtige Landesteile ausgeschlossen werden. Die Einwohner von Mossul sind sicherlich keine Freunde der Isis, aber sie fühlen sich durch die Regierung in Bagdad nicht mehr repräsentiert. Da gibt es keine Loyalität und deshalb war es so leicht für diese Kombination aus islamistisch-radikalen Gruppen und Anhängern des alten Saddam Hussein Regimes, die da ja auch kräftig beteiligt waren, die Stadt und auch andere Städte und Provinzen im Norden und Nordosten zu überrollen.
Heckmann: Für den Westen, auch für die USA ist Ministerpräsident Maliki mitverantwortlich für die Misere. Er habe versäumt, auch die Sunniten, die Sie gerade eben angesprochen haben, einzubinden in eine Regierung. Trägt er aus Ihrer Sicht also auch eine erhebliche Mitschuld?
Perthes: Ich würde sagen, er trägt die Hauptverantwortung. Er ist ja nicht erst seit gestern Ministerpräsident und nicht gerade erst wiedergewählt worden, sondern er hat zwei Legislaturperioden hinter sich, in denen er autoritärer und autoritärer wurde – das ist das eine -, aber auch immer mehr wichtige Teile der politischen Landschaft, insbesondere des sunnitischen Spektrums, aber auch des bürgerlich-liberalen Spektrums ausgeschlossen hat und sich allein auf seine eigene Klientel gestützt hat, Korruption hat grassieren lassen und sozusagen Teile des Landes nicht mehr als nützlich, als wichtig wahrgenommen hat.
Heckmann: Blicken wir in dem Zusammenhang mal auf den Iran. Da kommen Sie ja gerade her, haben Sie die letzten Tage verbracht. Präsident Rohani, der hat Unterstützung für den Schiiten Maliki angekündigt. Das "Wall Street Journal" berichtet, die USA planten direkte Gespräche mit dem Mullah-Regime, und zwar noch in dieser Woche möglicherweise. Das ist eine Kehrtwende um 180 Grat. Eine Kehrtwende, die Sinn macht?
Perthes: Eine Kehrtwende, die aus Sicht der USA und auch aus Sicht Irans sehr wohl Sinn macht, denn beide – das vergessen wir ja manchmal - unterstützen den gleichen Ministerpräsidenten. Maliki ist der Kandidat der USA und ist der Kandidat Irans gewesen und ist das in Abwesenheit dessen, was man als bessere Alternativen sieht, offensichtlich auch heute noch. Beide sagen, wir müssen ihn unterstützen, wenn vielleicht auch nicht langfristig - das denkt man sich eher in den USA, wo man erhebliche Kritik an Maliki hat -, aber zumindest kurzfristig, damit der Staat und die Hauptstadt Bagdad ihre Autorität wiederherstellen können. Und es wird relativ offen in Teheran darüber gesprochen, auch Rohani hat das in seiner Pressekonferenz vorgestern gesagt, relativ offen darüber gesprochen, dass man gegebenenfalls auch bereit ist, mit den USA zusammenzuarbeiten hier.
Heckmann: Was würde das bedeuten, wenn es wirklich zu einer solchen Zusammenarbeit kommen sollte zwischen den USA und dem Iran, für die Position Teherans? Könnte das dazu führen, dass der Westen dann im Atomstreit auch sich nachgiebiger gibt?
Perthes: Ich glaube nicht, dass eine der beiden Seiten, Iran oder der Westen, sich im Atomstreit nachgiebiger geben wird, weil man ein gemeinsames Interesse im Irak hat und da vielleicht direkt oder indirekt kooperiert. Aber natürlich ist es so, dass die Fortschritte, die es bisher im Atomstreit gegeben hat, ein gewisses Maß an Kenntnis voneinander - ich will noch nicht von Vertrauen sprechen – geschaffen haben. Die Außenminister der beiden Länder telefonieren regelmäßig miteinander oder schreiben sich E-Mails. Man geht miteinander um, etwas Angstfreier und etwas Ideologiefreier als in der Vergangenheit. Und Fortschritte auf der einen Seite, also bei den Atomverhandlungen, könnten es leichter machen, auch im Irak zusammenzuarbeiten. Die Notwendigkeit, im Irak über den ideologischen Schatten zu springen und zusammenzuarbeiten, macht es zumindest dann nicht schwieriger, beim Atomstreit auch den Weg des Kompromisses zu finden. Aber hier gibt es Sachfragen, die ja in dieser Woche in Wien verhandelt werden, die nicht einfach aus dem Weg gewischt werden, weil man im Irak einen gemeinsamen Gegner hat.
Heckmann: Volker Perthes, der Direktor der Stiftung Wissenschaft und Politik, hier im Deutschlandfunk.
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