Im israelischen Parlament wird zurzeit eine Gesetzesänderung beraten, die eine Zwangsernährung hungerstreikender Gefangener erlauben soll, falls deren Leben in Gefahr gerät. Ergänzt wurde im Gesetzgebungsverfahren zudem die Erlaubnis zur Betäubung der Patienten. Damit sollen "Schmerzen vermieden werden". Politischer Auslöser dieser Gesetzesinitiative ist ein seit bald zwei Monaten anhaltender Hungerstreik palästinensischer Häftlinge, der bereits zur Verlegung von 80 Gefangenen in Krankenhäuser geführt hat.
Die hungerstreikenden Häftlinge protestieren gegen die sogenannte "Administrativhaft", eine aus dem Kolonialrecht der britischen Mandatszeit in Palästina (1920-1948) übernommene Praxis, die es israelischen Behörden ermöglicht, Verdächtige ohne Anklage aufgrund geheimer Ermittlungsergebnisse für jeweils verlängerbare Zeiträume von sechs Monaten festzuhalten. Zurzeit befinden sich knapp 200 von rund 5.000 Palästinensern in israelischen Gefängnissen in Administrativhaft, zum Teil bereits seit mehreren Jahren.
Zwangsernährung bei Langzeithungerstreikenden kann zu irreparablen Gesundheitsschäden führen, die lebensbedrohlich werden könnten. Bei einer Zwangsernährung eines Menschen handelt es sich um eine Flüssigkeits- und Nahrungszufuhr über einen Venenkatheter oder über einen Magenschlauch. Beide Techniken bergen große gesundheitliche Gefahren, besonders wenn sie gegen den Willen des Menschen eingesetzt werden. So kann es bei der Venentechnik zu Entzündungen kommen, die im schwerwiegendsten Falle mit einer tödlichen Sepsis enden können. Bei der Magenschlauchtechnik drohen Verletzungen der Speiseröhre oder der Magenwand, Komplikationen, die zum Teil mit erheblicher Lebensgefahr verbunden sein können. Die Behandlung solcher Komplikationen ist bei einer Zwangsernährung mit einem deutlichen höheren Risiko verbunden als bei behandlungswilligen Patienten.
Auch die Betäubung der Gefangenen zum Zweck der Zwangsernährung ist medizinisch hochproblematisch. „Sedierung bedeutet mit Sicherheit eine Gefährdung für jemanden, der seit Langem gefastet hat, weil der Natriumspiegel im Blut stark herabgesetzt ist. Die Prozedur würde eine Überwachung zahlreicher Parameter rund um die Uhr erfordern und wahrscheinlich dennoch Nebenwirkungen hervorrufen", zitierte die Zeitung Haaretz Bettina Birmans von der israelischen Sektion der internationalen Organisation Ärzte für Menschenrechte.
Abgesehen von den medizinischen Problemen einer Zwangsernährung bestehen schwerwiegende ethische Bedenken. Der Weltärztebund hat die Praxis der Zwangsernährung für unethisch erklär und die Legalisierung der Zwangsernährung in Israel als »gefährlichen Schritt hin zur Institutionalisierung der Folter an palästinensischen Hungerstreikenden« bezeichnet. Wie unsere israelische Schwesterorganisation teilt auch die deutsche Sektion der ärztlichen Friedensorganisation IPPNW diese Einschätzung. Eine Zwangsernährung ist mit unserem eigenen Berufsverständnis nicht vereinbar. Daher begrüßen wir die Weigerung der israelischen Ärztekammer, die palästinensischen Administrativhäftlinge zwangszuernähren.
Wir haben Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier in einem Brief aufgefordert, aktiv zu werden und seine Verbindungen zu den israelischen Regierungsstellen zu nutzen, um die sich anbahnende medizinische und politische Katastrophe zu verhindern. Nur durch Gespräche über die Abschaffung der israelischen Administrativhaft kann die aktuelle Krise entschärft werden.
Seit dem Verschwinden der drei israelischen Jugendlichen in der Westbank hat sich die Situation im besetzten Westjordanland erheblich zugespitzt. Die israelische Regierung geht mit massiver Gewalt gegen die palästinensische Bevölkerung vor. Es gab bereits mehrere Tote und Verletzte. Israelische Soldaten haben über 300 Menschen festgenommen, darunter über 50 ehemalige Gefangene, die 2011 im Rahmen des Gefangenenaustausches mit dem israelischen Soldaten Gilad Shalit freigelassen wurden. Auch in Ramallah und in Birzeit gab es Verhaftungen. Große palästinensische Städte wie Hebron und Nablus sind abgeriegelt.
Die israelische Regierung beschuldigt die Hamas, die Jungen entführt zu haben. Die weisen die Anschuldigung zurück. Der Sprecher von UN-Generalsekretär Ban Ki Moon Farhan Hak erklärte, der UN lägen keine »konkreten Beweise« dafür vor, dass die Jugendlichen »tatsächlich« von der Hamas entführt worden seien. Unabhängig von der Täterfrage wäre es zu wünschen, dass die internationale Gemeinschaft die schwerwiegenden Menschenrechtsverletzungen an Palästinensern mit der gleichen Vehemenz verurteilt, wie die Entführung der drei israelischen Jugendlichen.
Den vollständigen Artikel von Frau Dr. Sabine Farrouh Vorstandsmitglied der IPPNW, Ärztin im Ruhestand, Koordinationskreis Palästina/Israel finden Sie hier bei der Huffingtonpost.
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