Vergangene Woche war der libanesische Schriftsteller und Intellektuelle Elias Khoury im Berliner Wissenschaftskolleg zu Gast . Dort sprach er zum Thema „Der Frühling und das Blut in Syrien“. Khoury, 1948 in Beirut geboren, kämpfte im palästinensischen Widerstand, er studierte Geschichte und Soziologie in Beirut und Paris. Seit den 70er Jahren veröffentlicht er Romane und Essays. Berühmt ist sein Roman Das Tor zur Sonne (1998), der von Entwurzelung und Emigration der Palästinenser handelt. Zuletzt erschienen von ihm die Romane „Yalo“ und „Als schliefe sie“ (Suhrkamp).
Khoury unterrichtete an New Yorker Universitäten, er hat sich im Libanon auch als Festivalleiter und als Kulturredakteur der Tageszeitung An-Nahar einen Namen gemacht.
Herr Khoury, die Situation in Syrien stellt sich als äußerst verworren dar. Niemand durchschaut mehr, was wirklich vor sich geht, welche Ziele die verschiedenen oppositionellen Gruppen und welche Taktik das Regime von Bashar al Assad verfolgt. Wie schätzen Sie die Lage ein?
Wir sollten nicht vergessen, dass wir es ursprünglich mit einer Revolution zu tun haben. Sie begann 2011 als friedlicher Volksaufstand, der etwa zehn Monate dauerte. Die Antwort des Assad-Regimes auf diesen Aufstand durchlief verschiedene Phasen. Die erste Phase könnte man als die ‚iranische' bezeichnen. Man orientierte sich an der Unterdrückung der Demonstrationen im Iran 2009. Während das iranische Regime damit jedoch erfolgreich war, scheiterten die Machthaber in Syrien, weil sich der dortige Aufstand anders als im Iran von den Städten ausgehend schnell auch auf ländliche Gebiete ausbreitete. Trotz des unvorstellbar brutalen Vorgehens gelang es dem syrischen Regime daher nicht, den Aufstand niederzuschlagen und das ganze Land unter seine Kontrolle zu bringen.
Und die zweite Phase?
Sie fällt in die Zeit, als immer mehr Offiziere der syrischen Armee desertierten, um als ‚Freie Syrische Armee’ die Demonstranten zu beschützen. So konnte der Volksaufstand zunächst weitergehen. Diese Phase wurde durch eine nochmals gesteigerte Brutalität seitens des Regimes beendet. In der dritten Phase setzte es ganz auf die militärische Option und wandte die Taktik des russischen Militärs in Tschetschenien an, eine Taktik der totalen Zerstörung. Homs ist heute zu 60 Prozent zerstört, Hama, Deir ez-Zor und einige Vorstädte von Damaskus wurden dem Erdboden gleichgemacht. Damit begann die vierte Phase. In den Gebieten, die nicht mehr von der syrischen Armee kontrolliert wurden, hatten sich mittlerweile lokale Machthaber etabliert und regionale Streitkräfte gebildet. Gleichzeitig unterstützten Saudi-Arabien und Qatar kleinere islamistische Gruppen im ganzen Land. Das syrische Regime änderte abermals seine Taktik und setzte auf einen konfessionellen Bürgerkrieg.
Warum ist diese Entwicklung so gefährlich?
Weil nun die gesamte Region in blutige Auseinandersetzungen zu stürzen droht. Das ist die aktuelle Situation, die ohne die iranische und die russische Unterstützung des Assad-Regimes nicht möglich gewesen wäre. Gleichzeitig sind die syrischen Aufständischen von den Europäern und den Amerikanern allein gelassen worden.
Sehen Sie überhaupt noch einen Ausweg aus der aktuellen Situation?
Ich bin nicht pessimistisch. Revolutionen sind langwierige Angelegenheiten und komplizierte Prozesse. Ich setze noch immer großes Vertrauen in das Volk, das sich so sehr aufgeopfert hat, und ich glaube daran, dass es ihm gelingen wird, eine gemeinsame Führung zu etablieren und das Regime zu stürzen. Das Regime wird nicht siegreich aus diesem Krieg hervorgehen können, so dass es letztlich nur zwei Möglichkeiten gibt. Entweder wird es Assad und seinen Leuten gelingen, den Krieg immer weiter fortzuführen, oder sie werden untergehen.
Glauben Sie, dass die von Ihnen beschriebene Eskalation von einem friedlichen Volksaufstand hin zu einem entlang konfessioneller Linien verlaufenden Bürgerkrieg umkehrbar ist?
Ich glaube nicht, dass wir es innerhalb Syriens mit einem konfessionellen Bürgerkrieg zu tun haben. Dafür bedarf es etwa gleichgroßer konfessioneller Gruppen. In Syrien haben wir aber eine klare sunnitische Mehrheit. Ein konfessioneller Krieg droht allerdings dann, wenn sich der Konflikt tatsächlich auf die ganze Region ausbreitet. Genau das scheint das Assad-Regime anzustreben. Ich bin mir aber sicher, dass es noch möglich ist, dieser Falle zu entgehen. Voraussetzung ist allerdings, dass sich die syrische Opposition einigen kann.
Nicht wenige der früheren Kritiker des Assad-Regimes scheinen sich heute vor dem, was nach dem Fall des Regimes kommen könnte, zu fürchten. Sie neigen dazu, das Regime als das vermeintlich kleinere Übel zu unterstützen. Können Sie diese Argumentation nachvollziehen?
Ich glaube nicht, dass es etwas Übleres als eine Diktatur und eine faschistische Partei wie die Baath-Partei gibt, die das Land regiert. Es gibt kein Übel, das den Faschismus übertrifft und dieses Regime ist ein faschistisches Regime. Ich kann der Argumentation also nichts abgewinnen. Aber ich verstehe und respektiere durchaus die persönlichen Ängste derer, die dieser Sichtweise anhängen. Unabhängig davon möchte ich ungern darüber belehrt werden, wer oder was das kleinere oder größere Übel ist. Es ist einzig die Sache der syrischen Bevölkerung, darüber zu entscheiden. Und ich bin sicher, die Syrer wissen nur zu genau, wo das wahre Übel liegt.
Das Argument, nach dem Fall des Assad-Regimes würden irakische Verhältnisse drohen und es könne ein Machtvakuum entstehen, in dem die Gewalt weiter eskaliert, ist aber doch nicht ganz von der Hand zu weisen.
Sicher ist das ein mögliches Szenario. Aber die Entwicklungen im Irak waren das Ergebnis einer Invasion von außen. Es war letztlich das Resultat einer dummen Politik: Die Amerikaner haben dort Strukturen zerstört, ohne eine Vorstellung davon zu haben, wie die Machtbalance zwischen Kurden, Schiiten und Sunniten gewährleistet werden könnte. Aber auch im Irak halte ich die Lage nicht für hoffnungslos, bei der letzten Wahl zeigten sich Ansätze zur Überwindung des konfessionellen Lagerdenkens. Die Dinge sind also längst nicht entschieden, weder im Irak noch in Syrien. Aber sie brauchen viel Zeit.
Welche Rolle spielen denn die Intellektuellen in der aktuellen Situation? Können die arabischen Intellektuellen einen Beitrag zur Lösung des Konflikts leisten?
Zunächst glaube ich, dass wir es weltweit mit einer Krise der Intellektuellen zu tun haben. Die Krise der arabischen Intellektuellen ist Teil dieser internationalen Krise. Es interessiert mich eigentlich nicht, ob die Intellektuellen etwas zur Lösung des Konflikts beitragen können oder nicht. Wir müssen Teil der Revolution sein, wir müssen versuchen, uns einzubringen. Das ist unsere moralische Verpflichtung. Ob das von Erfolg gekrönt sein wird? Wissen Sie, ich bin mir nicht einmal sicher, was in einer Situation wie dieser Erfolg bedeutet und was Versagen.
Was geschieht, wenn sich der Prozess der Revolution noch lange hinziehen wird, wie Sie es sagen?
Er wird sicher noch oft seine Richtung ändern. Wir Intellektuellen müssen dabei sein, müssen die Entwicklungen permanent kritisch begleiten und Perspektiven eröffnen. Und wir müssen für Hoffnung sorgen in einer Situation, in der Hoffnung rar ist. Das ist besser als in Angst zu erstarren beim Gedanken daran, was nach dem Fall des Regimes eventuell passieren könnte. Lassen wir das Regime zusammenbrechen und packen wir es an! Es kann schmerzhaft werden, nein: Es ist schmerzhaft. Ich glaube, wir haben keine andere Wahl.
Das Gespräch führte Andreas Pflitsch. Sie finden das vollständige Interview des Tagesspiegels vom 01.07.2013 hier.
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