Friedbert Meurer: Der neue Präsident Ägyptens heißt seit heute Mittag Adli Mansur. Der Mann ist ein Jurist, er war Vorsitzender des Obersten Gerichtshofs und er war schon Richter zurzeit Hosni Mubaraks. Mansur soll den Übergang leiten. Klar aber dürfte sein, hinter ihm hat jetzt das Sagen das ägyptische Militär. Der frühere Präsident Mohammed Mursi steht unter Hausarrest, nach zahlreichen Führungsmitgliedern der Muslimbruderschaft wird offenbar gefahndet. Ägypten ist gespalten in Gegner und Anhänger der Muslimbrüder.
Dramatische Zeiten wieder in Ägypten, und in der Hauptstadt dort, in Kairo begrüße ich jetzt Ronald Meinardus von der Friedrich-Naumann-Stiftung, guten Tag, Herr Meinardus!
Ronald Meinardus: Schönen guten Tag!
Meurer: Darf man als Demokrat diesen Putsch von gestern Abend gut finden?
Meinardus: Wenn man die ägyptischen Demokraten fragt, dann muss man ihn gut finden. Dann wird man nicht nur den Putsch gut gefunden haben, man wird auch das Wort Putsch meiden und wird von einer glorreichen Revolution sprechen, die das Land davor bewahrt hat, zu einem zweiten Afghanistan zu werden. Das ist die Wahrnehmung der hiesigen säkularen Kräfte, die nun gar nichts damit anfangen können, dass ihre Revolution im Ausland ein bisschen, um es mal drastisch auszudrücken, durch den Kakao gezogen wird und nicht richtig verstanden wird.
Meurer: Auf der anderen Seite war Mursi demokratisch gewählt, er hat ganz einfach vor zwei Jahren oder vor anderthalb Jahren die Wahlen gewonnen. Ist das nicht ausreichende Legitimation für ihn?
Meinardus: Das ist für uns natürlich eine ausreichende Legitimation, die wir die Perspektive, sagen wir mal, des auswärtigen Besuchers haben. Für die ägyptischen Menschen sieht das ganz anders aus, sie haben relativ früh gesagt, dass der Präsident nicht nur die Legalität, sondern die Legitimität verloren hat und sie nicht mit ihm sprechen wollten. Sie sehen das auch weniger jetzt als ein verfassungsmäßiges Problem - das ist höchst problematisch, muss ich eingestehen -, aber sie sehen ihre Aktion in Kontinuität der glorreichen Revolution vom 25. Januar 2011, die die Muslimbrüder und zuallererst Mohammed Mursi gekidnappt habe. Und insofern fühlen sie sich gerechtfertigt. Sie fühlen sich auch legitimiert. Das ist alles sehr problematisch, wenn man das formaljuristisch sieht, sie fühlen sie sich aber auch legitimiert durch wirklich die beispiellose Mobilisierung der ägyptischen Menschen. Die haben es ja, zig Millionen Menschen jetzt hier wiederholt gegen Mursi demonstriert und seinen Rücktritt gefordert, und das reicht ihnen aus.
Meurer: Wir erinnern uns ja daran, Herr Meinardus von der Naumann-Stiftung, dass in Kairo verschiedene Stiftungen durchsucht worden sind. Da wurden Computer beschlagnahmt und dergleichen, unter anderem bei den Kollegen der Konrad-Adenauer-Stiftung, bei Ihnen nicht. Sind Sie froh, dass Sie Mursi los sind?
Meinardus: Also, ich bin ihn in diesem Sinne ja nicht los und wir werden sicherlich jetzt nicht in die Innenpolitik hier eingreifen. Das dürfen wir nicht, das sollen wir nicht und das werden wir auch nicht tun. Ich muss aber sagen, dass die Menschen, mit denen wir politisch zusammenarbeiten, im Sinne der Kunden, die die Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit hier bedient, natürlich zum liberal-säkularen Kreis gehört. Und ich verrate jetzt auch kein Geheimnis, wenn ich sage, dass die große Mehrheit meiner Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gestern Abend natürlich auf dem Tahrir-Platz war und natürlich gefeiert hat und natürlich heute auch zu spät ins Büro gekommen ist und natürlich in jedem Zimmer hier auch eine ägyptische Fahne hängt. Das ist ein sehr, sehr wichtiger Vorgang, den die Menschen sehr persönlich nehmen, und die heute guter Laune sind, aber die Implikationen, über die wir hier gesprochen haben, die verfassungsrechtlichen Implikationen, die werden zunächst einmal hinten angestellt.
Meurer: Eine andere Frage, die diskutiert wird: Was werden die Muslimbrüder jetzt tun? Könnten die in den Untergrund gehen und sich noch mehr radikalisieren? Steuern wir auf mehr Gewalt zu in Ägypten?
Meinardus: Ja, Herr Meurer, das ist die Frage, die noch nicht beantwortet ist. Es sind viele Fragen beantwortet, erst mal müssen wir sagen, Gott sei Dank ist das gestern nicht viel blutiger hergegangen, als viele das befürchtet hatten. Man hat ja einen Bürgerkrieg sofort erwartet. Das ist gestern ausgeblieben, es hat Auseinandersetzungen mit Toten und Verletzten gegeben, aber das große Blutbad ist ausgeblieben, weil - und das ist die Frage, die hier sehr heftig diskutiert wird -, wie wird sich die Muslimbruderschaft positionieren? Und es gibt dort zwei Flügel, wie man jetzt hört, einerseits eine Gruppe, die mehr sagt, wir werden jetzt uns eingliedern, wir werden auch einen wie auch immer gearteten Modus Vivendi finden mit der Regierung und mit denjenigen, die uns verdrängt haben, es gibt aber auch Kreise in der Muslimbruderschaft, die sagen, nein, das können wir nicht machen, wir gehen dahin, wo wir herkommen, und das ist der Untergrund. Und das ist in der Tat, wenn man ins Nachbarland Algerien guckt, möglicherweise ein gefährliches Szenario. Und man kann nur hoffen - und das ist sicherlich die größte Herausforderung für die neue Führung -, dass eine Brücke gebaut wird zu den Muslimbrüdern, und dass man da die Kontakte nicht abbrechen lässt.
Meurer: In der Tat, man denkt da an Algerien. Da hatte die Islamische Heilsfront die Wahlen gewonnen und da gab es dann auch einen Militärputsch und anschließend einen unglaublich blutigen und verlustreichen Bürgerkrieg. Was spricht für Sie dafür, Herr Meinardus, dass in Ägypten das anders wird und doch ein Ausgleich im weitesten Sinne möglich wird?
Meinardus: Da spricht zum einen dafür, dass die Menschen aus ihrer Geschichte gelernt haben, da spricht zum anderen dafür, dass es im Kreise jetzt der Opposition, die jetzt ja nicht mehr die Opposition ist, kluge Menschen gibt. Es ist kein Zufall, dass eine Persönlichkeit wie Mohammed El-Baradei, immerhin der Friedensnobelpreisträger, jetzt eine führende Rolle spielt. Und ich sage mal, wenn jetzt der erste Enthusiasmus verflogen ist, dann bin ich eigentlich ganz zuversichtlich, dass dort ernsthafte Schritte gemacht werden auf diese Gruppe zu. Ich bin ganz zuversichtlich, das - und das ist ja auch die Botschaft des Militärs gewesen, das ist ein bisschen untergegangen -, dass die Versöhnung ein wichtiges Ziel ist. Es gibt dort ein Versöhnungskomitee, und ich bin ganz zuversichtlich, dass, wenn die ersten Emotionen verflogen sind, dass es dort konkrete Schritte geben wird.
Meurer: Es wird ja irgendwann Neuwahlen geben. Was ist, wenn die Muslimbrüder wieder die Wahl gewinnen?
Meinardus: Ja, das Erste, was wir noch nicht wissen, ist, wann es diese Wahlen gibt. Es gibt einen relativ detaillierten Übergangsplan, die viel zitierte Roadmap, aber wann diese Wahlen stattfinden werden, weiß man nicht. Es heißt nur, dass die Präsidentschaftswahlen stattfinden sollen, und dann Parlamentswahlen, das ist die große Frage. Das ist die große Frage, was dann passieren wird. Aber es ist eine theoretische Frage, denn viele Menschen haben jetzt die Regierungsführung der Muslimbruderschaft kennengelernt. Damals, vor anderthalb Jahren waren sie die einzige echte Alternative zum Mubarak-Regime, jetzt haben die Menschen die Muslimbruderschaft kennengelernt, und in der gleichen Zeit - das ist die Hoffnung, aber dafür gibt es auch Indizien - haben sich die liberalen und säkularen Kräfte zusammengesetzt und haben sich formiert, und man kann nur annehmen, dass, wenn es jetzt Wahlen gibt, dass die Situation dann eine andere sein wird.
Meurer: Ronald Meinardus von der Friedrich-Naumann-Stiftung in Kairo zur Lage in Ägypten und zur Frage, wie es dort jetzt nach dem Militärputsch weitergehen könnte. Herr Meinardus, danke, Wiederhören nach Kairo!
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