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05.05.2015

 

Warum Krieg gegen den Jemen jetzt?

 

Georg Meggle 09.04.2015 in telepolis

 

Die saudische Intervention begann exakt fünf Minuten vor dem Abschluss der Iran-Verhandlungen

Jemen = Arabia felix? Derzeit sicher nicht. Seit Ende März führen 10 sunnitisch-muslimische Länder unter Führung von Saudi Arabien Krieg gegen das ärmste Land der arabischen Welt. Warum? Warum jetzt?

 

Zur Erinnerung: Im Gefolge des sogenannten Arabischen Frühlings kam es nach den Aufständen in Tunesien und Ägypten 2011 auch im Jemen zu Unruhen. Diese führten zum Rücktritt des Präsidenten Ali Abdullah Saleh, der über 30 Jahre hinweg die Geschicke des Landes bestimmt hatte. Er war der starke Mann, der 1990 die Vereinigung des Nord-Jemen mit dem Süd-Jemen durchgesetzt und 1994 den Bürgerkrieg zwischen diesen beiden Landesteilen durch den militärischen Sieg des Nordens über die separatistischen Bestrebungen des Südens entschieden hatte. Der zurückgetretene Präsident übergab dann 2012, nachdem ihm und seiner Familie vom auch schon damals Saudi-dominierten Golf-Kooperationsrat Straffreiheit zugesichert worden war, als "Ehrenpräsident" im Rahmen eines Wahlverfahrens mit einem einzigen Kandidaten die Macht an seinen langjährigen Stellvertreter Abed Rabou Mansur Hadi. Einige der wichtigsten Teile der Armee, wie etwa die Republikanische Garde und die wichtigsten Einheiten der Luftwaffe, sind Saleh freilich bis heute treu ergeben. Das liegt daran, dass die Führungspositionen der Armee von Saleh primär mit Angehörigen seines eigenen um die Hauptstadt Sanaa herum gruppierten Sanhan-Stammes besetzt worden waren.

Was man hier unbedingt wissen muss: Der Jemen ist kein Staat im üblichen Sinne. Die wirkliche Macht liegt nicht bei Parteien, sondern bei den Stämmen, die ihre Interessen im Rahmen häufig wechselnder Allianzen durchsetzen. Notfalls mit Gewalt; in der Regel aber extrem konsensorientiert.

Die Präsidentschaft Hadis war rundum enttäuschend. Dem Aufstand der zaiditisch-schiitischen Ansar-Allah-Bewegung (der "Huthis") aus dem Norden des Jemen konnte Hadi nichts entgegensetzen. Saleh hatte, obgleich selbst ein Zaidit, diese Bewegung seit 2004 in sechs Feldzügen bekämpft und erfolgreich eingedämmt. Eine vernichtende Niederlage der Huthis war allerdings nicht Salehs Ziel. Er brauchte sie, um mit ihrer Hilfe den durch die Arabischen Frühlings-Unruhen stark gewordenen Generalmajor Ali Mohsen Al-Ahmar als seinen potentiellen Nachfolger zu verhindern. Ebenso wenig konnte sein Nachfolger Hadi dem zunehmenden Terror von Seiten der sunnitischen Al Qaida und deren aus dem Chaos im Irak und Syrien auftauchenden Konkurrenten Islamischer Staat (IS, ISIS) Einhalt gebieten, einem Terror, gegen den die für Salehs Regierungsweise typische Doppelstrategie aus Duldung einerseits und Vernichtung mit Hilfe US-amerikanischer Drohneneinsätze andererseits nachträglich geradezu als Erfolg erscheint.

Das Ende der Präsidentschaft Hadis war besiegelt, als sich die Armeeeinheiten Salehs mit den nordjemenitischen Huthis in deren Kampf gegen die primär im Süden verankerten Al Qaida/ISIS verbündeten und im September 2014 die Macht in der Hauptstadt Sanaa übernahmen. Im Januar 2015 tritt Hadi als Präsident zurück, flieht zunächst in seine Heimatstadt Aden, widerruft seinen Rücktritt und erklärt Aden zur Hauptstadt des Landes, wohin die Saudis inzwischen ihre Botschaft verlegt hatten. Ende März flieht Hadi vor den gegen Aden vorrückenden Huthis nach Riad, die Hauptstadt Saudi-Arabiens. Nahezu zeitgleich beginnen unter dem Namen "The Storm of Firmness" die Luftangriffe der von Saudi-Arabien geführten Koalition gegen Stellungen und Depots der Huthis sowie der Saleh-Einheiten im Jemen.

Warum reagiert Saudi Arabien auf diese Ausgangslage am 25. März 2015 mit einem Krieg?

Das primäre Kriegsziel, so heißt es von Seiten der Saudis offiziell, sei die Wiedereinsetzung des rechtmäßigen Präsidenten Hadi. Wirklich? Nicht nur, dass sich dieses Ziel gewiss nicht mit der selektiven Bombardierung von Hadis Gegnern erreichen lassen wird; schon allein der Kern dieser Kriegsbegründung, wonach es um die Restitution von Legitimität gehe, ist absolut unglaubwürdig.

Auch für die Saudis ist offensichtlich nicht jeder Putsch ein Putsch – bzw. genauer: nicht jeder Putsch etwas Illegitimes. Der von ihnen massiv unterstützte (und weitgehend bezahlte) Putsch des ägyptischen Militärs gegen den rechtmäßig gewählten Muslim-Bruder-Präsidenten Morsi vom 3. Juli 2013 war für sie legitim; der Putsch der Huthis gegen den jemenitischen Präsidenten Hadi Ende 2014 hingegen illegitim. Aber Legitimität hin oder her: Selbst wenn es den Saudis wirklich einmal, wie in diesem Jemen-Fall behauptet, um die Restitution von Legitimität ginge, so lieferte dies allein keine akzeptable Rechtfertigung dafür, in einen Bürgerkrieg eines dritten Landes mittels Hunderten von Luftangriffen militärisch einzugreifen.

Es ist evident, dass es – wie hier schon an anderer Stelle hervorgehoben (Einkreisungsängste in Riad) – bei diesem Krieg um Größeres geht. Um die von den Saudis (und nicht nur von diesen) mit allen Mitteln geschürte abgrundtiefe Angst vor dem Iran.

Diese Angst hat auf Seiten der Saudis eine verständliche interne Wurzel: Die östlichen Küstengebiete Saudi-Arabiens, deren Öl sich der ganze sagenhafte Reichtum des Landes verdankt, haben eine mehrheitlich schiitische Bevölkerung, die sich von der sunnitischen Zentralregierung in Riad stark benachteiligt sieht. Käme es in dieser Region zu einer Rebellion, bräche Saudi-Arabien in Kürze zusammen. Genau auf eine solche Rebellion zielt nun aber, so die Grundprämisse der saudischen Weltsicht, die Politik der schiitischen Zentralmacht Iran langfristig ab. Kurz: Die Existenz Saudi-Arabiens steht und fällt mit der Eindämmung des iranischen Einflusses auf die schiitischen Gruppen in der gesamten Region. Deshalb hatte Saudi-Arabien auf die Aufstände der schiitischen Mehrheit in dem von der sunnitischen Minderheit regierten Bahrein 2012 mit einer sofortigen militärischen Intervention reagiert.

In dieser Hinsicht war jedoch der von den Saudis massiv unterstützte Krieg der USA und Großbritanniens gegen den Irak (ab 2003) extrem kontraproduktiv. Das durch die Auflösung der im wesentlichen sunnitisch dominierten Armee Saddam Husseins bewirkte Chaos wird seitdem einerseits durch die von den iranischen Revolutionsgarden unterstützten schiitischen irakischen Regierungstruppen und andererseits durch die sunnitischen Al-Qaida-Gruppen und deren radikalisierte Nachfolgerorganisation Islamischer Staat (bzw. ISIS) gefüllt, wobei sich letzterer offenkundig massiv auf das militärische Know-how der alten Saddam-Führungsriege stützen kann. Durch diese Entwicklung wurde zudem der ebenfalls von den Saudis geforderte und von der Obama-Administration noch bis 2014 betriebene Sturz des syrischen, alawitisch-schiitischen Präsidenten und Iran- und Russland-Verbündeten Bashar Assad zunehmend konterkariert.

Die langfristige US-Strategie einer radikalen Destabilisierung der muslimischen Länder des Mittleren Ostens führte zum derzeitigen Patt zwischen Teufel (Maximierung des Einflusses des Iran) und Beelzebub (Maximierung des Einflusses der Al-Qaida und der ISIS). Nichts demonstriert dieses grundsätzliche Dilemma deutlicher als die Unentschlossenheit, mit der die USA und ihre Verbündeten das (durch ihre Destabilisierungspolitik erst ermöglichte) neue Kalifat des Islamischen Staates bisher bekämpfen. Die von den US-Neokonservativen von langer Hand geplante Politik einer Destabilisierung des Mittleren Ostens manifestiert sich zunehmend in Widersprüchen: In Syrien spielen die USA im Krieg gegen den Iran-Verbündeten Assad die Rolle eines Unterstützers der Dschihadisten von Al-Qaida und IS (wobei die ursprüngliche Unterscheidung zwischen moderaten und radikalen Dschihadisten inzwischen von niemandem mehr wirklich ernst genommen werden kann), im Irak im Krieg gegen den IS hingegen die eines Unterstützers der schiitischen Zentralregierung. Dass das IS-Kalifat diese Syrien- vs. Irak-Grenzziehung seinerseits obsolet gemacht hat, lässt diesen Widerspruch nur umso sichtbarer werden.

Wer sich um ein rationales Verstehen dieser Entwicklungen im Mittleren Osten bemüht, den bringen diese (eventuell gar kühl kalkulierten) Widersprüchlichkeiten schnell an seine Grenzen. Umso verführerischer erscheint es dann, zur Erklärung des Geschehens auf angeblich wohl etablierte Unterscheidungen zurückzugreifen. In diesem Fall vor allem auf die zwischen Schia einerseits und Sunniten andererseits – womit sich dann alles recht schnell als erneute Zuspitzung eines uralten Religionskrieges zwischen diesen beiden Hauptströmungen des Islam sogleich auch historisch erklären lässt. Mir fällt auf: Von dieser groben Schematisierungsschablone macht die saudische Seite (quasi als der Exponent des Sunnitismus) sehr viel mehr Gebrauch als die iranische (als ein Exponent der Schia). Und die westliche Rezeption folgt diesem saudischen (wie auch neo-zionistischen) Narrativ nahezu blind.

Blickt man mit dieser Sunni/Schia-Schablone auf die neuesten Entwicklungen im Mittleren Osten, so verwundert es nicht, dass die derzeitigen Herrscher des saudischen Königreichs angesichts des unerwartet raschen Vorstoßes der Huthi-Schiiten bis in den Golf von Aden geradezu in Panik verfallen mussten. Zu der permanenten schiitischen (und damit iranischen) Bedrohung im Inneren kommt nun nach der Stärkung der schiitischen (aus Saudi-Sicht also auch iranischen) Position in Syrien und Irak und der weiterhin starken Stellung der schiitischen ("iranischen") Hisbullah im Libanon nun auch noch die schiitische ("iranische") Bedrohung aus dem jemenitischen Süden hinzu.

Und so verwundert es ebenso wenig, dass der neue saudische König Salman bzw. dessen Hintermänner in ihrer Panik genau den Schritt taten, den in ähnlichen Lagen die meisten Politiker reflexartig tun. Stichwort: Stärke und Entschlossenheit zeigen. Genau das drückt der Name ihrer Reaktion aus: "Decisive Storm".

Und dabei war bisher von einem Faktor noch gar nicht die Rede, der, wenn man auch ihn in Rechnung stellt, der Angst der Saudis noch eine ganze Tiefendimension hinzugefügt haben dürfte: Das Ende März 2015 in Lausanne kurz vor einem (wie die Saudis über die israelischen Spione gewusst haben müssen) positiven Abschluss stehende Rahmenabkommen der USA und der anderen UN-Vetomächte einschließlich Deutschlands mit dem Iran über dessen zukünftige Nutzungsrechte der Nukleartechnologie. Was für ein "Zufall": Die saudische Intervention gegen den Jemen beginnt exakt fünf Minuten vor dem Abschluss dieser Verhandlungen.

Über die Bedeutsamkeit dieser Koinzidenz kann man bisher nur spekulieren: Deutet sich mit der Bildung dieser Kriegsallianz der Beginn einer neuen Ära an, in der sich die bislang eher durch starke Worte denn durch Taten hervorgetretene Arabische Liga endlich zu einem ernstzunehmenden Gremium gemeinsamer Verantwortlichkeiten mausert? Wird diese Allianz, wie bereits geplant, die Vorstufe für den Aufbau einer gemeinsamen sunnitischen Streitmacht sein? Und für den Einsatz in welchen Fällen sollten dann diese Streitkräfte konzipiert werden? Für die Eindämmung einer jeden weiteren Expansion des Schiitentums, sprich, wie im Fall (der saudischen Lesart) des Jemen-Krieges, des Iran? Auch gegen den Islamischen Staat? Auch gegen jedwede destabilisierenden Unruhen im Inneren? Insbesondere also auch gegen mögliche schiitische Aufstände in Saudi-Arabien oder erneut in Bahrein?

Was der Rahmenvertrag von Lausanne, wenn denn die noch offenen technischen Probleme bis Ende Juni geregelt sein sollten, für die Zukunft des gesamten Mittleren Ostens bedeutet, das ist eine der spannendsten geopolitischen Fragen der Gegenwart. Der Jemen-Krieg ist in dieser Geschichte nur ein Faktor von vielen. Aber schon jetzt dürfte klar sein, dass sein Gefahrenpotential nicht geringer ist als das aller bisherigen Kriege in dieser Region.

 

Hier finden Sie den vollständigen Artikel von Prof. Dr. Georg Meggle (Universität Leipzig) erschien am 09.04.2015 in telepolis.

 

   

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