In diesem Jahr feiern Deutschland und der Staat Israel 50 Jahre diplomatische Beziehungen. Die feierlichen Würdigungen haben sich in beiden Ländern überschlagen. Denn natürlich ist der Jahrestag sowohl aus der Sicht der Israelis als auch aus der der Bundesregierung ein Grund zum Feiern. Nach der menschlichen und zivilisatorischen Katastrophe des Holocaust ist die Sehnsucht der Deutschen nach „normalen“ Beziehungen zum Staat der Juden ethisch-moralisch verständlich – auch wenn das Prädikat „normal“ in der Beschreibung der Beziehungen stets bewusst ausgespart wird.
Doch es ist bedauerlich, dass all die Feierstunden das Unrecht außer Acht lassen, das einem anderen Volk widerfahren ist und immer noch widerfährt. Denn es ist eine nicht zu leugnende Tatsache, dass die palästinensische Tragödie eine Folge der jüdischen Tragödie in Europa ist. Nachom Goldmann, der frühere Präsident des jüdischen Weltkongresses, sagte einmal mit Recht: „Ohne Auschwitz kein Israel“.
Die palästinensische Autonomiebehörde ging im September 2012 vor die Vereinten Nationen, um einen palästinensischen Staat völkerrechtlich anerkennen zu lassen. Bekanntlich stimmten Israel und die USA dagegen, Deutschland enthielt sich. Die Gegner der Anerkennung waren und sind der Meinung, der Staat Palästina könne, wenn überhaupt, nur durch Verhandlungen mit Israel entstehen. Dass der Staat Israel selbst durch einen UN-Beschluss und gegen den Willen der mehrheitlich arabischen Bevölkerung Palästinas entstanden ist, wird dabei außer Acht gelassen.
Der exzessive Bau jüdischer Siedlungen hat den Weg zu einer Zwei-Staaten-Lösung im wahrsten Sinne des Wortes verbaut.
Heute – nach Jahren des erfolglosen Oslo-Friedensprozesses – ist die Gründung eines eigenen Staates für die Palästinenser und eine Teilung des Landes unmöglich geworden. Denn linke wie rechte israelische Regierungen haben seit 1967 durch die Ansiedlung von über 500.000 jüdischen Siedlern im Westjordanland und in Ost-Jerusalem de facto eine binationale Realität geschaffen. Dieser exzessive Bau jüdischer Siedlungen hat den Weg zu einer Zwei-Staaten-Lösung im wahrsten Sinne des Wortes verbaut. Auch die neue rechts-religiöse Regierung von Premierminister Netanjahu provoziert mit ihrem offenherzigen „Nein“ zu zwei Staaten dazu, die Alternative der Koexistenz zu denken. Es ist deshalb überfällig, sich von dieser Chimäre zu verabschieden.
Unter Anerkennung dieser „facts on the ground“ schrieb der frühere stellvertretende Bürgermeister von Jerusalem Meron Benvenisti bereits 2003, dass es nicht mehr darum gehe, „ob“ es einen gemeinsamen binationalen Staat geben werde, sondern „wie“ dieser aussehen solle. Was wir bislang sehen, ist alles andere als schön. Zwischen Mittelmeer und Jordan existiert ein Staat, der von unterschiedlichen Rechtssystemen für Juden und Palästinenser geprägt ist.
Heute leben zwischen Mittelmeer und Jordan etwa elf Millionen Menschen. 50 Prozent davon sind israelische Juden, 50 Prozent sind Palästinenser. Während der UN-Teilungsplan von 1947 noch einen zusammenhängenden palästinensischen Staat auf 44 Prozent des gesamten historischen Palästina etablieren wollte, kontrolliert die Palästinensische Autonomiebehörde in Ramallah heute nur etwa 13 Prozent des Landes, ohne wirkliche Souveränität über Luftraum, Wasser und Grenzen – und ohne zusammenhängendes Staatsgebiet. Sicher, auch interne Streitigkeiten etwa zwischen den palästinensischen Fraktionen Fatah und Hamas (die nach wie vor auf den bewaffneten Kampf setzt) spielen eine Rolle. Doch klar ist, dass die Realität schon seit Jahren nicht an die Vorstufe zu einem Staat Palästina erinnert, sondern an die unselige Homeland-Politik Südafrikas.
F.W. de Klerk, der letzte weiße Präsident Südafrikas, der 1994 die Macht an Nelson Mandela übergab, meinte dazu: „Was Apartheid ursprünglich erreichen wollte, ist, was jeder heute als die Lösung für Israel und Palästina hält, nämlich trennen, separate Nationalstaaten auf der Grundlage von Ethnien, verschiedenen Kulturen, unterschiedlichen Sprachen.“ Die heutige Zwei-Staaten-Roadmap zwischen Israel und den Palästinensern beruhe „auf exakt denselben Prinzipien“ wie die Schaffung unabhängiger Homelands in Südafrika. Dort sollte damals der Status Quo der weißen Dominanz als schwarze Unabhängigkeit getarnt werden. Deswegen verweigerte Nelson Mandela der Transkei und den anderen Bantustans die Anerkennung und kämpfte stattdessen für gleiche Rechte in einem gemeinsamen Staat.
Der israelische Historiker Ilan Pape schreibt: „Der Wunsch, den Status quo als permanente Realität erhalten zu wollen, wurde zu einer ausgewachsenen israelischen Strategie. Diese Strategie basiert auf der Annahme, dass die internationale Gemeinschaft Israels Kontrolle des Westjordanlands auf lange Sicht wenn schon nicht legitimieren, so doch dulden würde. Das war von Beginn an das Dilemma des Zionismus: Wie ein Land bekommen, aber ohne sein einheimisches Volk – in einer Welt, die noch mehr Kolonialisierung und ethnische Säuberung nicht länger akzeptierte.“
Nur ein gemeinsamer jüdisch-palästinensischer Staat kann zu einem gerechten und dauerhaften Frieden in der Region führen.
Da die Zwei-Staaten-Lösung nicht mehr realisierbar ist und die als „Transfer-Lösung“ bezeichnete gewaltsame Vertreibung der Palästinenser aus den besetzten Gebieten international nicht hinnehmbar wäre, bleibt nur die Proklamation eines einheitlichen demokratischen Staates Israel/Palästina mit gleichen Rechten für alle seine Bürger. Sicher, die israelischen Regierungen haben sich im Status Quo eingerichtet. Für sie ist das für den Moment der bequemste Weg. Langfristig führt dieser Weg jedoch in die Katastrophe. Nur ein gemeinsamer jüdisch-palästinensischer Staat zwischen Mittelmeer und Jordan kann die wesentlichen Konfliktpunkte der Siedlungen, der Flüchtlinge, der Grenzen, Jerusalems, der natürlichen Ressourcen, die Frage der Sicherheit und die politischen Gefangenen für beide Seiten maximal zufriedenstellend lösen. Nur ein gemeinsamer jüdisch-palästinensischer Staat kann zu einem gerechten und dauerhaften Frieden in der Region führen. Ein solcher einheitlicher Staat respektiert dabei die historische Verbundenheit der Juden mit dem Land ebenso wie das Rückkehrrecht der palästinensischen Flüchtlinge in ihre angestammte Heimat gemäß UN-Resolution 194.
Als Theodor Herzl Ende des neunzehnten Jahrhunderts mit seinem Werk „Der Judenstaat“ den modernen Zionismus aus der Taufe hob, erklärte er „Wenn Ihr wollt, ist es kein Märchen“. Er hat Recht behalten. Aus der Utopie wurde Realität. Heute, nach zwanzig Jahren Warten auf einen Palästinenserstaat ist aber längst klar, dass das Märchen der Zwei-Staaten-Lösung sich nicht erfüllen wird. Es ist Zeit für einen einheitlichen demokratischen Staat Israel-Palästina.
Von Fuad Hamdan & Sabine Matthes
Fuad Hamdan
München
Fuad Hamdan ist gebürtiger Palästinenser.
Er leitet das Dritte Welt Zentrum im Eine-Welt-Haus in München.
Sabine Matthes
München
Sabine Matthes schreibt seit fünfzehn Jahren zum Israel/Palästina-Konflikt.
Zwischen 1986 und 1996 arbeitete sie als Fotografin und Journalistin in der Kunstszene von New York.
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