Journalisten und Oppositionelle demonstrieren in Kairo gegen die Beschränkung der Pressefreiheit und für die Freilassung inhaftierter Journalisten und Aktivisten.
Am 16. Mai erfuhr ich voller Unglauben, dass ich in Ägypten in Abwesenheit zum Tode verurteilt worden bin, gemeinsam mit dem früheren Präsidenten Mohammed Mursi und einer Reihe seiner Mitarbeiter und Unterstützer sowie anderen Oppositionellen und öffentlichen Figuren. Dieses absurde Urteil basiert auf falschen, rein politischen Anschuldigungen, und der Prozess verstieß gegen alle Grundregeln eines fairen Verfahrens, die sowohl im ägyptischen als auch im internationalen Recht verankert sind.
Ein anderes Gericht hat die Todesurteile inzwischen bestätigt. Das macht deutlich, dass das ägyptische Regime nicht nur auf die Anhänger einer bestimmten Ideologie zielt, sondern dass es alle unterdrückt, die friedlich opponieren, quer durch das politische Spektrum. Wie Tausende junge Ägypter, die wegen ihrer politischen Aktivitäten inhaftiert sind, hätte ich mir niemals vorgestellt, dass ich nach der Revolution in meinem Land verfolgt würde, nur weil ich als Koordinatorin für ausländische Medien im Büro eines demokratisch gewählten Präsidenten gearbeitet habe. Aber die Welt weiß jetzt, welche Rolle diese korrupten Gerichte in einem Rechtssystem spielen, das jede Unabhängigkeit und Unparteilichkeit verloren hat. Stattdessen sind sie zu einem politischen Werkzeug in den Händen eines blutigen Militärregimes geworden.
General Abdel Fattah al-Sissi wurde vor Kurzem in Berlin mit allen Ehren empfangen, obwohl er verantwortlich ist für das, was die Menschenrechtsorganisation Human Right Watch als die schlimmste Verletzung von Menschenrechten in der modernen ägyptischen Geschichte bezeichnet. Al-Sissi führte den brutalen Militärputsch an gegen den ersten frei gewählten Präsidenten meines Landes. Er zerstörte die Hoffnungen und die Sehnsucht von Millionen Ägyptern nach einer demokratischen Gesellschaft. Mehr als 40.000 Menschen, darunter Liberale, Islamisten, Christen, Linke und Atheisten, sind unter unmenschlichen Bedingungen inhaftiert, weil sie gegen das autoritäre Regime opponiert haben. Allein im Mai wurden 122 Oppositionelle, mich mit eingeschlossen, zum Tode verurteilt.
war unter dem früheren ägyptischen Präsidenten Mohamned Mursi zuständig für die Kontakte zur ausländischen Presse. Sie forscht und studiert jetzt an Universität Oxford an der Blavatnik School of Government.
Auch wenn ich die erste Frau bin, die in der modernen Geschichte meines Landes mit der Todesstrafe belegt wurde, bin ich nicht die einzige Frau, die verfolgt wird. Seit dem Militärputsch 2013 werden Frauen in schlimmster Weise angegriffen, wie es das in der ägyptischen Kultur bislang nicht gab. Mindestens 20 Fälle von Vergewaltigungen und 524 Fälle von sexuellen Übergriffen durch Sicherheitskräfte haben Menschenrechtsorganisationen dokumentiert. Mehr als 80 Frauen sind inhaftiert, die meisten wegen Verstößen gegen das neue Antidemonstrationsgesetz. Manche wurden auch einfach zu Hause verhaftet. Sexuelle Gewalt ist nun staatliche Politik.
General al-Sissi und sein Regime wollen meinen Tod nicht, weil ich ein Verbrechen begangen hätte – es gibt keinen einzigen glaubhaften Beweis gegen mich –, sondern weil ich wie andere all das repräsentiere, was sie als Bedrohung für ihre Diktatur betrachten.
Ich stamme aus einer jüngeren Generation, die zumeist keinen anderen Präsidenten kannte als Hosni Mubarak. Ich wurde zu einer unabhängigen Frau in einer konservativen Gesellschaft, und wie die meisten Ägypter vertrete ich moderate islamische Vorstellungen, die keinen Widerspruch sehen zwischen Islam und Demokratie. Tatsächlich lobt die islamische Lehre diejenigen, die einem ungerechten Herrscher entgegentreten. Mein Eintreten für Demokratie und der Wunsch, meinem Land zu dienen, veranlassten mich nach der Revolution vom 25. Januar 2011, mich in der Kampagne für die Wahl von Mohammed Mursi zum Präsidenten zu engagieren. Später arbeitete ich in seinem Pressestab und nutzte dabei meine internationalen Kontakte.
Für mich und Millionen andere, die 2011 friedlich gegen Mubarak revoltiert haben unter den Augen der Weltöffentlichkeit und die nun gegen das Regime von al-Sissi opponieren, ist der Kampf für unsere Rechte längst nicht vorbei. Wir werden weiter für Gerechtigkeit und Demokratie eintreten, wie groß die Opfer auch sein mögen. Die mutigen Frauen und Männer, die seit nun fast zwei Jahren jeden Tag auf den Straßen protestieren und sich dabei weder von Kugeln noch der drohenden Todesstrafe abschrecken lassen, werden ein neues Kapitel der ägyptischen Revolution schreiben – gegen die Tyrannei von al-Sissi.
All das sind die Gründe, weshalb ich und Tausende andere Ägypter vor Gericht gebracht werden. Aber ich habe keine Angst und ich werde nicht aufhören, von einem Ägypten zu träumen und dafür zu arbeiten, in dem die Menschen in Frieden leben, Freiheit und Wohlstand genießen, unter dem Schutz von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit.
Aus dem Englischen übersetzt von Ludwig Greven
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