Podiumsdiskussion in der Friedrich-Ebert-Stiftung am 20.11.2015
„Frieden durch Dialog: Tunesien als Vorbild?“
Unter diesem Titel luden die Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) und die Deutsche-Afrika-Stiftung am 20.11.2015, nach den verheerenden terroristischen Anschlägen in Paris und kurz vor einem erneuten, bereits drittem dramatischen terroristischen Anschlag in Tunesien, in die Räumlichkeiten der FES ein. Eingeladen war der designierte tunesischen Friedensnobelpreisträger, Houcine Abassi, um über die Vorkommnisse in Tunesien seit 2011 und deren Bedeutung für die restlichen arabischen Staaten, die ebenfalls Veränderungen unterlagen, zu sprechen. Herr Abassi, führend in der Gewerkschaft Union Générale Tunisienne du Travail (UGTT) tätig, ist Mitglied des Nationalen Quartetts, welches 2013 als Dialoggruppe von der tunesischen Rechtsanwaltskammer, der Liga für Menschenrechte, dem tunesischen Verband für Industrie und Handwerk und der UGTT gegründet wurde, um den gefährdeten Demokratisierungsprozess zu stützen. Neben Houcine Abassi nehmen auch der FES-Vizepräsident und ehemalige DGB-Vorsitzende Michael Sommer, die Juniorprofessorin und Politikwissenschaftlerin Dr. Bettina Engels, der Politik- und Islamwissenschaftler Loay Mudhoon sowie der Moderator Mazen Hassen, Korrespondent für die arabische Redaktion der Deutschen Welle, teil.
Abassi erhielt zu Beginn die Gelegenheit, auszuführen, wie und warum das Quartett sich gründete; nämlich um ins Machtvakuum zu stoßen, welches der Sturz des Machthabers Ben Alis hinterließ, bevor es wie in anderen Ländern, bspw. dem Nachbarland Libyen, zu einem Bürgerkrieg kommen konnte. Die verschiedenen zivilgesellschaftlichen Akteure wollten den Weg für eine neue Verfassung und baldige Wahlen ebnen. Während der Diskussion wird deutlich, dass die relative Stabilität und der Erfolg in Tunesien der starken Zivilgesellschaft geschuldet seien, wie sie es im Vergleichsland Ägypten nicht gäbe, wo das starke Militär einen ganz anderen Stellenwert und Einfluss in der Politik und Gesellschaft habe. Die breite Allianz des Quartetts sowie aber auch die moderateren Muslimbrüder und anderen Akteur hätten es verstanden, dass es bestimmte Regeln gibt, an die sich alle, trotz religiöser und ideologischer Probleme, zu halten haben, solle der Übergang zu einer liberalen Demokratie gelingen.
Einig waren sich auch alle, dass die wirtschaftliche Lage schwierig ist und unter anderem die Jugend von Arbeitslosigkeit betroffen ist, obwohl die tunesischen Exporte ansteigen. Dagegen solle „der Westen“ unterstützend vorgehen, auch weil der Terrorismus und die Angst davor das Land zurückgeworfen haben, gerade im besonders wichtigen Tourismussektor.
Genau so müsse auch die Zivilgesellschaft gefördert werden und eine breite Mittelschicht entstehen, auf der die Demokratie aufbauen könnte. Die sehr junge Bevölkerung Tunesiens möchte Partizipation und Perspektiven, so der Islamwissenschaftler Loay Mudhoon. Es dürfe deshalb nicht um Stabilität um jeden Preis gehen, was zur Unterstützung von autokratischen Systemen führen könnte.
Abschließend debattierten die Teilnehmenden doch noch über eine mögliche Vorbildfunktion Tunesiens, welche verneint wurde. Die verschiedenen inneren und äußeren Begebenheiten der einzelnen (arabischen) Staaten seien zu unterschiedlich. Die Rolle einzelner Akteure, der Zivilgesellschaft, des Militärs, der Anrainerstaaten und die wirtschaftliche Situation ließen nicht zu, ein Modell auf alle anderen zu übertragen. Vielmehr seien diese als parallel verlaufende Prozesse mit unterschiedlichen Gründen und Abläufen zu betrachten.
Die Podiumsdiskussion erwies sich als sehr ergiebig und ambitioniert. Interessante und konstruktive Redebeiträge haben den Zuhörenden einen guten Eindruck von den Herausforderungen und Erfolgen Tunesiens vermittelt und die Rolle des Landes im Kontext der verschiedenen arabischen Revolten erhellt.
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