Am vergangenen Freitag fand in der Urania das Podiumsgespräch „Wie ist Syrien noch zu retten?“ mit einer anschließenden Diskussion, in die sich auch das Publikum sehr lebhaft einbrachte, statt. Die Veranstaltung war ein Teil der Reihe „Frieden und Sicherheit in Zeiten globaler Umbrüche“ und wurde in Zusammenarbeit mit dem rbb-Inforadio und der Friedrich-Ebert-Stiftung organisiert. Neben unserem Präsidenten Dr. Michael Lüders saßen unser Mitglied Prof. Dr. Mamoun Fansa, Prähistoriker und Archäologe, Friederike Stolleis aus der Friedrich-Ebert-Stiftung und Dr. Sadiqu Al-Moussli, Mitglied des Syrischen Nationalrates, in der Runde. Die Moderation lag bei Dietmar Ringel vom rbb-Inforadio. Die kriegerischen Auseinandersetzungen in Syrien waren das bestimmende Thema. Während Dr. Michael Lüders geopolitische Akteure als die Drahtzieher entlarvte, setzte Dr. Sadiqu Moussli auf die Bevölkerung als ausschlaggebende Kraft.
Lüders sieht Syrien als Spielball geopolitischer Interessen. Die Bevölkerung habe mittlerweile keinen Einfluss mehr auf das Geschehen. Seiner Meinung nach wird Baschar-al-Assad an der Macht bleiben. Als grundlegendes Problem einer Absetzung nennt er u.a. das Fehlen einer starken sozialen Trägerschaft, die sich an die Spitze einer Oppositionsbewegung setzen könnte. Der Politik- und Islamwissenschaftler sprach sich für eine Lösung mit Baschar Al-Assad aus. Dementgegen stand Dr. Sadiqu Al-Moussli. Seiner Meinung sei der Wille der Bevölkerung nach Wandel nicht zu brechen, er sehe eine realistische Chance auf einen Machtwechsel. In der Zukunft kann er sich die Zusammenarbeit mit Assad nicht vorstellen, sondern plädiert für die syrische nationale Koalition. Friederike Stolleis beklagte die Untätigkeit der westlichen Staaten, die Opposition von Beginn an angemessen zu unterstützen. Eine Zusammenarbeit mit Baschar Al-Assad komme für sie ebenfalls nicht infrage. Sie setzt auf die Zivilgesellschaft und die nationale Koalition, „mit der man zusammenarbeiten müsse, weil sie das einzige sei, das die syrische Opposition zu bieten habe“. Eine etwas andere Perspektive brachte Prof. Dr. Mamoun Fansa in die Diskussion ein. Als Altertumswissenschaftler wies er auf die Bedeutung des Schutzes der Altertümer hin. Er begründet dies damit, dass Syrien seine historische Identität nicht verlieren dürfe. Bezüglich des Schutzes seines Fachbereichs setzt Prof. Dr. Fansa auf keine Partei, sondern auf die UNESCO und andere Kulturvertreter auch im Ausland.
Im genauen Verlauf gab Dr. Michael Lüders zunächst einen allgemeinen Überblick der derzeitigen Lage in Syrien. Dabei stellte er klar, dass es sich hierbei nicht nur um einen Bürgerkrieg, sondern auch um einen Stellvertreterkrieg handele. Als Akteure zählt er auf der einen Seite die westliche Staatengemeinschaft, die Türkei und die Golfstaaten. Diesen gegenüber ständen Russland und der Iran, die das alawitische Regime Assads unterstützten. Daher sei der Konflikt ein geopolitischer. Der derzeitige Machthaber sei aus verschiedenen Gründen derzeit nicht zu stürzen. Zum einen unterstützten etliche Teile der Bevölkerung, besonders aus den religiösen Minderheiten und der sunnitischen Mittelschicht, den Diktator nach dem Motto „Die Pest, die man kennt, ist besser als die Cholera, die danach kommt.“ Zum anderen fehle in Syrien eine starke soziale Trägerschaft bürgerlicher Kräfte und einer Mittelschicht, die bisher zu klein sei und sich nicht an die Spitze eines Aufstandes stellen könne mit der Folge, dass keine militärische Fraktion bestehe, die Assad Parole bieten könne. Die gemäßigte syrische Opposition, zu der auch der Nationalrat zählt, sei nicht von Bedeutung. Er vergleicht deren Einfluss dort mit dem der „Partei Bibeltreuer Christen“ in Deutschland. Der Politikwissenschaftler gesteht Russland zu, die Lage in Syrien wohl am besten durchschaut zu haben. Das vormalige Zarenreich würde es für seine Interessen nutzen. Die USA dagegen seien seit eh und je für einen Sturz Baschar Al-Assads und die Installation einer sunnitischen, prowestlichen Regierung. Dabei verweist er auf Dokumente von Wikileaks und die Daten der CIA. Demnach wurde bereits 2012 der Vormarsch des IS vorhergesagt und bewusst in Kauf genommen, um das Regime zu schwächen.
Dr. Sadiqu Al-Moussli stimmte Lüders insoweit zu, erwiderte aber eine Opposition sei existent und nicht bedeutungslos, sie sei aber seit langem bewusst demontiert worden, zum einen durch Russland, das Baschar Al-Assad nicht erst seit September 2015 mit Bombardements unterstütze, sondern bereits seit 2011 die Verabschiedung bestimmter UN-Resolutionen verhindere. Gleichermaßen beschuldigte er die Weltgemeinschaft, welche fünf Jahre lang nicht eingegriffen habe. Dass seit Beginn der Revolte bis heute vier Armeen (Syrisches Regime, Hisbollah, Schiitische Milizen, Russland) gegen die Opposition kämpfen und diese noch nicht zerschlagen wurde, sieht er als ein klares Indiz dafür, dass „die Rechnung mit der syrischen Bevölkerung gemacht werden muss“. Er bekräftigt, dass das syrische Volk stark sei und nicht aufgeben werde, und verweist auf die Dauer des Nahost-Konflikts, in dem sich Palästina ebenfalls nicht unterwerfe. Die Frage, ob sich der arabische Frühling gelohnt hat, bejahte er für manche Staaten und erwähnte als positiv für Syrien, dass nun die Bevölkerung wieder das Zepter in der Hand habe.
Zudem wurde die stellvertretende Unterstützung von Terrorgruppen wie der Hisbollah durch den Iran und der Al-Nusra-Front durch die Türkei, Saudi-Arabien und die USA diskutiert. Die Vermutung Lüders, nach der bei der derzeitigen Lage in Syrien auch jede andere Partei – die „gemäßigte Opposition“ nicht ausgenommen, wie er an Beispielen verdeutlichte - die andere nur vernichten werde, sobald sie selbst an die Macht komme, blieb ebenfalls ein strittiges Thema. Allgemein stellten Lüders und Fansa fest, dass hier nicht mehr nach „Gut“ und „Böse“ unterschieden werden könne. Einig waren sich die Gesprächspartner darin, dass Religion schon immer zu Machtzwecken instrumentalisiert wurde und heute gleichermaßen missbraucht werde. Die Akteure, die die „ethnisch-religiöse Karte spielten, wenn es eng wurde“, wie Prof. Dr. Fansa anmerkte, reichen demnach von Khomeini über Hafiz und Baschar Al-Assad bis hin zur CIA.
Nach Lüders müssten die westlichen Staaten zuallererst wissen, welches Ziel sie konkret verfolgen: den Kampf gegen Assad oder den Kampf gegen den sogenannten Islamischen Staat. Lüders zitiert die Bundesregierung mit einem derzeitigen klaren entschiedenen „Jein“. Seiner Meinung nach ist Syrien in nächster Zeit nicht zu befrieden, weshalb er die Syrer als „die Betrogenen der Geschichte“ bezeichnet. Konkret fordert er weitere Treffen und Verhandlungseinheiten, die Kommunikation der Oppositionsgruppen untereinander und 2017 freie Wahlen unter Kontrolle der UN, wie in einer im Dezember verabschiedeten UN-Resolution festgelegt. Außerdem müsste dabei eine Machtminimierung der Alawiten von 90 % auf 70 % erreicht werden. Das Regime würde auf diese Weise aber vorerst bleiben, wonach das Leiden der Syrer weitergehen dürfte. Prof. Dr. Fansa fragt sich, wie ein Mann mit so viel Schuld auf den Schultern denn noch weiterregieren könnte und plädiert für eine Zukunft ohne Assad. Friederike Stolleis spricht sich ebenfalls für die Variante ohne den bisherigen Machthaber aus. Auch Dr. Moussli betont, dass es für ihn keine Lösung mit Assad und „allen denen, an deren Händen Blut klebe“ geben wird. Er glaubt an die Stärke der Bevölkerung und hält einen Machtwechsel für realistisch.
Text und Foto: Lisa Obermeier, Deutsch-Arabische Gesellschaft
Weitere Details der Diskussion finden Sie im Mitschnitt des rbb-Inforadio unter folgendem Link.
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