Ein palästinensischer Wissenschaftler konnte seinen Vortrag nicht wie geplant im Jüdischen Museum halten
Kritische Kommentare in erheblichem Ausmaß
Sein Vortrag wurde augelagert: Sa’ed Atshan. (Paul & Daisy Soros Fellows Assoc)
VON NIKOLAUS BERNAU
Im Berliner Jüdischen Museum herrschte gestern helle Aufregung. Nur die Pressestelle ist per Telefon direkt erreichbar, es dauert Stunden, bevor selbst eine schlichte Pressemitteilung hergestellt war.
In der Süddeutschen Zeitung erschien am Montag ein Artikel, in dem nahelegt wird, dass die Absage eines Vortrags des palästinensischen Friedensforschers Sa’ed Atshan keineswegs technische Gründe hatte, sondern politisch motiviert war. Er sollte am 4. Juli über die Lage von Schwulen und Lesben in Ost-Jerusalem sprechen, also jenem Teil der Heiligen Stadt, der entgegen allem Völkerrecht nach dem Sechstagekrieg 1967 von Israel annektiert worden war.
Der Vortrag wurde, wie das Jüdische Museum nun auf Nachfrage der Berliner Zeitung bestätigte, tatsächlich nicht wegen Bauarbeiten, aber „in Absprache“ mit Atshan ins Institute for Cultural Inquiry (ICI) in Prenzlauer Berg verlagert. Peter Schäfer, seit 2014 amtierender Direktor des Jüdischen Museums, ließ über seine Pressestelle mitteilen, dass „einige Tage vor dem Vortrag“ sich „in einem erheblichen Ausmaß kritische Kommentare und Vorwürfe“ gehäuft hätten. Es habe sich „abgezeichnet“, dass „eine höchst emotionalisierte Debatte um das Thema BDS die Veranstaltung prägen würde.“ Deswegen habe er entschieden, das Museum nicht mehr als Mitveranstalter aufzutreten zu lassen: Dennoch fördere das Jüdische Museum „als unabhängige Institution“ auch zukünftig „eine offene und vielstimmige Debatte über seine Kernthemen“. Also doch eine genuin politische Entscheidung. Selbst auf der Internetpräsenz des Jüdischen Museums fehlt jeder Hinweis auf den Vortrag.
Unklar ist aber auch nach der Mitteilung des Jüdischen Museums, von wem die „kritischen Kommentare“ kamen und worin die „Vorwürfe“ gegen Atshan bestehen. Hat der Botschafter Israels schriftlich interveniert? Laut Süddeutscher Zeitung wirft Jeremy Issacharoff dem mit vielen Auszeichnungen versehenen Friedensforscher Atshan vor, er sei „kein Mensch, der Brücken der Verständigung mit Israel bauen möchte“. Atshan habe behauptet, dass Israels Besatzungspolitik verantwortlich sei für eine palästinensische Gesellschaft, in der „Ehrenmorde“ etwa an Homosexuellen akzeptiert würden. Auch sei er „sehr eng verquickt“ mit der umstrittenen antiisraelischen Boykottbewegung BDS.
Diese behauptet mit Verweis auf die Besatzungspolitik, die Selbstbezeichnung als „jüdischer Staat“ oder arabische Israelis diskriminierende Gesetze und Politik, dass Israel ein Apartheidstaat wie einst Südafrika sei. Deswegen wird sie von konservativen und rechtsnationalistischen Kreisen Israels auf das Schärfste bekämpft, unter anderem dadurch, dass jeder, der in irgendeiner Form mit BDS in Verbindung gebracht werden kann, selbst mit Diffamierung zu rechnen hat.
Atshan aber tritt als Quäker ausschließlich für gewaltfreien Widerstand gegen die Besatzungspolitik ein und hat am Swarthmore College der Quäker in Pennsylvania eine Professur für Friedensforschung inne. Er hat in diesem Rahmen – kaum vermeidbar bei seinem Forschungsgebiet – auch bei Veranstaltungen gesprochen, bei denen für den Israel-Boykott geworben wurde. Ashtan scheint der Organisation aber keineswegs „sehr eng verbunden“. Vielmehr hat er immer wieder für einen Ausgleich mit den Israelis geworben. Das macht ihn für radikale BDS-Vertreter eher suspekt, mehr aber noch seine Bereitschaft, überhaupt in einer „jüdischen“ Institution zu sprechen.
Hat also die Angst vor Streit mit BDSlern oder der Einspruch des Botschafters die Absage bewirkt? Wie es aussieht, findet man im Jüdischen Museum derzeit noch nicht in die verdiente Sommerpause.
Siehe auch: Bericht in der SZ zu dem abgesagten Vortrag eines palästinensischen Wissenschaftlers im Jüdischen Museum Berlin
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