An manchen Tagen könnte man den Eindruck gewinnen, dass die meisten Einwohner des riesigen Landes hier wohnen: der Verkehrslärm ist unbeschreiblich, die Innenstadt quillt über mit offenen und überdachten Souks, Passanten, schreienden Händlern und Tee trinkenden Männern auf winzigen Hockern im Kreis um die ihren Job und ihren Platz behauptenden Teekocherinnen im Schatten der Arkaden der Häuserblocks mit Banken und Geschäften – in der Nähe der Faruk-Moschee: durch die Frauen in ihren bunten voiles und den schneeweiß gekleideten Männern mit ihren großen Turbanen ein attraktives afrikanisch/arabisches Ambiente. Das neue Einkaufszentrum ist supermodern, klimatisiert aber kaum besucht, wenn man von den beliebten Fast-Food-Ketten im obersten Stockwerk absieht. Während die neueren und viel ruhigeren Stadtteile gepflegter aussehen, fragt man sich, warum die Nebenstraßen im Zentrum immer noch nicht asphaltiert sind. Bei starkem Wind sind die Straßen dann voller Staub und Plastiktüten. Richtung Nil wird es ruhiger und sauberer. Entlang der Nile Street stehen in großen Parks mit alten Baumbeständen nach wie vor solide gebaute, britische Kolonialgebäude, in denen die zahlreichen Ministerien untergebracht sind. Der Segelclub mit dem auf dem Clubgelände vor sich hin rostenden Kitchener-Kanonenboot unter blühender Bougainville, Freizeiteinrichtungen und die ehrwürdige Khartoum University bieten unverbauten Nilblick – zwischen der alten, von den Engländern erbauten, stark befahrenden Eisenbrücke und der südlich gelegenen neueren Brücke über den Nil nach Omdurman, der früheren Hauptstadt des Landes. Einige der ehemaligen Attraktionen gibt es nicht mehr: weil eine Brücke gebaut wurde, war kein Bedarf mehr für die Fähre zum Naturparadies der geruhsamen Tuti-Insel, der „Insel der zwei Nile“. Auch der frühere Spaziergang unter schattigen Neembäumen, direkt am Nilufer ist nicht mehr möglich, da hier auf Kosten der prächtigen Bäume eine neue, breite Straße, die man nur unter Einsatz seines Lebens überqueren kann, gebaut wurde. Nach wie vor gibt es drei Museen in Khartoum: National Museum, Ethnographisches Museum und Palastmuseum – in sehr gepflegtem Zustand und vor allem Ziel von Schulklassen und Studierenden der zahlreichen Universitäten, denn Touristen sind derzeit eher selten.
Eman Sharaf Eldin Ali Malik gehört einer Mittelstandsfamilie in Khartoum an. Das Haus der Familie ist groß und wegen der dicken Wände angenehm kühl. Die älteste Schwester hat das Mittagessen gekocht und zu Ehren des Gastes aus Deutschland gibt es nach der Suppe Hühnchen, vielfältiges Gemüse und Salat. Zum Essen erscheinen Vater und Bruder. Vater Sharaf Eldin Ali Malik ist pensionierter Oberstleutnant, er war mehrfach in Deutschland und zeigt nicht ohne Stolz seine Urkunde über den erfolgreich absolvierten Lehrgang für Kompaniechefs im Jahr 1977 an der Kampftruppenschule 2 und Fachschule des Heeres für Erziehung in Munster – natürlich in Deutscher Sprache. Der Bruder bekleidet einen Ministeriumsjob.
Eman hat gerade ihr 4-jähriges Studium Business Management an der University of Sudan beendet und erzählt in sehr gutem Englisch: „Ich habe dieses Studienfach gewählt, weil in dessen Rahmen auch Marketing, Buchhaltung, Unternehmensrecht u.v.m gelehrt werden und das wird in der Wirtschaft gebraucht. Wir waren am Anfang etwa 300 Studierende - das Examen haben 80 geschafft, 65 % weibliche und 35 % männliche Studierende. Die Arbeitsbedingungen waren zeitweise schwierig, weil viel Forschung online betrieben werden musste. Bücher gab es nur wenige, ich nutzte also meinen Computer zu Hause; denn das Computer Lab in der Uni war stets überfüllt. Meine Abschlussarbeit, für die ich sechs Monate Zeit hatte, behandelte das Thema „Markenimage und Auswirkungen auf Kunden-Erfahrungen“. Auf die Frage, wie sie ihre Zukunft sieht, meint sie: „Ich würde gern an der Ahfad University for Women (renommierte Universität in Omdurman) meinen Master of Business Administration machen und gleichzeitig arbeiten. Meine wirkliche Liebe gehört jedoch der Malerei. Schon mit 6 Jahren habe ich Bleistiftzeichnungen angefertigt. Seit einiger Zeit male ich Aquarelle. Wenn zeitlich möglich, besuche ich Kunst-Veranstaltungen, von denen es in Khartoum viele gibt. Auch meine Kommilitonen interessieren sich für Kunst - ein stets spannendes Thema bei Treffen mit meinen Freunden. Am liebsten würde ich eine berühmte Künstlerin werden und als Künstlerin meinen Lebensunterhalt verdienen, aber das ist im Sudan sehr schwer. Ein schon seit längerem bestehender Wunsch ist eine Reise nach Paris, in die Stadt der Kunst und der Künstler. Am wichtigsten ist mir jedoch, dass meine Eltern stolz auf mich sind. Ich bin der Meinung, jeder sollte die Freiheit haben, seine Träume zu verwirklichen“. Als ihre jüngere Schwester Rana, Studentin im Anfangssemester, gegen 16 Uhr von der Uni nach Hause kommt, stellt sich heraus, dass auch ihre Liebe der Malerei gilt. „Unsere Mutter hat uns stets ermutigt zu malen und uns gleichzeitig unterrichtet. Bei den Bleistiftzeichnungen haben wir daher auch denselben Stil.“ - Beide Schwestern loben die vielen kulturellen Veranstaltungen, die in Khartoum angeboten werden. „Goethe-Institut, British Council und Institut Francais sind sehr rührig und wir haben die Wahl zwischen Filmvorführungen, Foto- und Gemäldeausstellungen. Modeschauen und Konzerten. Die Künstler dieser Veranstaltungen kommen aus den jeweiligen Ländern, aber auch viele Sudanesische Künstler werden zu Präsentationen eingeladen“. – Spontan wird ein gemeinsamer Ausstellungsbesuch beschlossen.
Die Ausstellung behandelt verschiedene Themen aus den Bereichen Pflanzen, Gartenanlage, Kunsthandwerk und Kunst im Botanischen Garten. Schon allein der Botanische Garten in Mugran, beim Zusammenfluss von weißem und blauem Nil, ist einen Besuch wert. Die Ausstellung ist gut besucht. Wegen der benachbarten Sudan University sind auch viele Studierende hier, auf der Jagd nach den besten Fotomotiven. Die Stände der Aussteller fügen sich harmonisch in die Anlage ein. Das Goethe-Institut ist mit der anspruchsvollen Fotoausstellung „River Tales“ vertreten (Dauer: 1. bis 10. Dezember 2013). In Kooperation mit der Sudanese Photographers Group und Africa City of Technology erzählt die Ausstellung in großformatigen Bildern professionell präsentiert, Geschichten, die mit dem Nil zusammenhängen. „Die Fotos gefallen uns sehr gut“ ist die übereinstimmende Meinung. Der Blick ins Internet lohnt sehr: http://www.goethe.de/ins/su/kha/kul/mag/riv/aus/deindex.htm Der junge Mann und die junge Frau am Stand des Goethe-Instituts sprechen kein Wort Deutsch, verteilen aber freundlich Werbebroschüren für Deutsch-Kurse und Ansteckbuttons mit kurzen, prägnanten Sprüchen wie „Hau drauf“. Wie gut, dass keiner fragt, was das auf Englisch heißt.
Eman strebt zielsicher zu dem Platz, an dem junge Sudanesische Künstler ihre Werke ausgestellt haben. „Mir gefallen Bilder, die abstrakt sind, die die Phantasie anregen, wenn noch einzelne Gegenstände, Figuren oder Symbole aus der Sudanesischen Kultur oder Mystik zu erkennen sind“. Das meiste sind realistische Gemälde, die Künstler müssen noch viel lernen. Ein abstraktes Gemälde des gehbehinderten Künstlers Nagi Adam gefällt ihr am besten. Gute Wahl!- finden auch die beiden Schwestern und der Bruder und posieren gern für ein Gruppenfoto mit dem Künstler, der eine viel versprechende künstlerische Zukunft hat.
Text und Fotos: Barbara Schumacher
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