Angela Merkel kennt das schon. Immer wenn sie sich mit Israels Premierminister Benjamin Netanyahu trifft, kann sie wenige Tage später den vertraulichen Inhalt der Gespräche in einer israelischen Tageszeitung nachlesen. Doch die Geschichte, die das Netanyahufreundliche Gratisblatt ,,Israel Hayom" am 16. Februar brachte, überraschte auch die Kanzlerin. ,,Merkel: Das ist nicht die Zeit für zwei Staaten", titelte das Blatt. Dies habe die Kanzlerin Netanyahu soeben bei den deutsch-israelischen Regierungskonsultationen in Berlin gesagt. Merkels Leute waren sauer. Offensichtlich hatte der israelische Premier ihre Worte
so verdreht, dass es wie eine Unterstützung seiner Politik wirkte. Tatsächlich hat Merkel Netanyahu mehrfach klargemacht,
dass sie die Auswirkungen des israelischen Siediungsbaus in den besetzten Gebieten für verheerend hält. Denn er macht es unwahrscheinlich, dass dort wie geplant ein lebensfähiger Palästinenserstaat entstehen kann. Alles andere aber, davon ist Merkel ebenso wie Außenminister Frank-Walter Steinmeier überzeugt, würde aus Israel langfristig ein Apartheidregime machen. Netanyahu hat diese Argumentation nicht im Mindesten beeindruckt. Der Premierminister konnte sich immer darauf verlassen, dass Berlin am Ende auf der Seite Israels stehen und sich nicht an die Spitze der Kritiker setzen würde. Doch
vor allem im Auswärtigen Amt fragen mittlerweile viele, ob man in der Vergangenheit nicht die falschen Signale gesetzt habe. Genannt wird dabei auch die Rede der Kanzlerin, in der sie 2008 vor der nesset gesagt hatte, die Sicherheit Israels
sei Teil der deutschen Staatsräson. ,,Es setzt sich in der Bundesregierung die Erkenntnis durch, dass Netanvahu unsere Freundschaft instrumentalisiert", sagt der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der SPD, Rolf Mützenich. Es sei zu begrüßen,
wenn jetzt im Auswärtigen Amt und im Kanzleramt ein Umdenken stattfinde. ,,Die gegenwärtige Politik Israels leistet
keinen Beitrag dazu, dass das Landjüdisch und demokratisch bleibt", findet auch der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses
Norbert Röttgen (CDU). ,,Diese Sorge müssen wir gegenüber Israel
noch klarer ausdrücken." Es gibt Anzeichen dafür, dass
sich die Haltung der Bundesregierung ändert. Vor wichtigen Abstimmungen in der EU oder in den Vereinten Nationen ruft Netanyahu in der Regel den deutschen Außenminister an, um dessen
Unterstützung einzufordern. So geschah es auch Anfang des
Jahres, als sich die EU-Außenminister anschickten, eine Resolution zum Nahostkonflikt zu schreiben. Der Text war von den
Botschaftern der 28 Mitgliedstaaten vorbereitet worden, er las sich ziemlich ausgewogen. Bevor sich die EU-Außenminister in Brüssel trafen, gelangte der Text in die Hände der Israelis. Netanyahu, der nicht nur Premier-, sondern auch Außenminister ist, griff wie gewohnt zum Telefon und meldete sich beim Amtskollegen Steinmeier. Dem Vernehmen nach gefiel ihm vor allem
jener Aösafz nicht, der den Bau jüdischer Siedlungen im Westjordanland kritisiere. ,,Ich verlass mich auf euch", sagte Netanyahu und legte auf. Bislang konnte sich Netanyahu ziemlich
sicher sein, dass sich die Unterstützer Israels im Amt durchsetzen, doch an diesem Montag im Januar war es anders. Netanyahus Bitte wurde verworfen, Steinmeier stellte sich in Brüssel hinter den Text. ,,Siedlungen", heißt es darin, ,,stellen ein Friedenshindernis dar und könnten eine Zweistaatenlösung
unmöglich machen." Es ist ein Zeichen dafür, dass sich die
Gewichte im Amt verschieben. Selbst bekennende Israelfreunde wie der frühere deutsche Botschafter in Tel Aviv und jetzige Politische Direktor Andreas Michaelis sprachen sich in den internen Beratungen dagegen aus, dem israelischen Premier entgegenzukommen. Auch im Kanzleramt hat man die Hoffnung aufgegeben, mit Netanyahu könne der Friedensprozess wiederbelebt
werden. Merkel stellte sich beim Berlinbesuch von Palästinenserpräsident Mahmoud Abbas vor zwei Wochen demonstrativ
an dessen Seite. ,,Ich verstehe Präsident Abbas, dass er immer wieder den Weg in den Sicherheitsrat sucht", sagte sie. Selbst Vorwürfe Netanyahus, die EU betreibe mit einer Kennnzeichnungspflicht für Siedlungsprodukte einen antijüdischen
Boykott, beeindrucken das Kanzleramt nicht mehr. Merkels außenpolitischer Berater Christoph Heusgen unterstützt das
Vorgehen der EU. Die Verantwortung dafür, dass die Israelkritiker
stärker geworden sind, trägt Netanyahu selbst. Mittlerweile leben im Westjordanland unter knapp drei Millionen Palästinensern rund 350000 Juden in 125 Siedlungen. Die Kolonien zerstückeln das Land; ein zusammenhängendes Territorium für einen palästinensischen Staat ließe sich nur dann bilden, wenn eine
große Zahl Siedlungen geräumt würde. ,,Eine Zweistaatenregelung wird immer unwahrscheinlicher", schreibt die Stiftung Wissenschaft und Politik in einer aktuellen Analyse. ,,Die finanziellen und politischen Kosten steigen mit jeder Siedlungseinheit, die wieder abgebaut, und mit jedem Siedler,
der evakuiert werden müsste." Ein Großteil des israelischen Kabinetts lehnt mittlerweile einen palästinensischen Staat offen ab. ,,Israel kann keine weiteren Territorien räumen", sagt zum Beispiel Naftali Bennett, Bildungsminister und Chef der Siedlerpartei. Im Auswärtigen Amt hat man all diese Zitate sorgsam gesammelt. Mittlerweile werden auch alternative Szenarien durchgespielt, düstere zumeist. Es geht um die Frage, welche Alternative es zur Gründung eines Palästinenserstaats geben kann.
Würde Israel die entsprechenden Gebiete annektieren? Und würde es bereit sein, den Palästinensern in einem solchen Staat gleiche Rechte zu geben mit dem Risiko, dass Juden darin schon bald in der Minderheit wären? Oder wird es ein Apartheidregime errichten, wie es früher in Südafrika geherrscht hat? Genau diese Fragen hat der amerikanische Außenminister John Kerry im Dezember bei einem Forum in Washington gestellt. Die,,Zweistaatenlösung" drohe zu einem Slogan, einer Wegwerfphrase zu verkommen, warnte Kerry und sprach sich dafür aus, die Israelis mit diesen harten Fragen zu konfrontieren. ,,Wir können nicht die Regeln der Diplomatie aufrechterhalten und so tun, als ob." Könnte Steinmeier nicht eine ähnliche Rede halten? Im Januar ließen die Befürworter einen Versuchsballon steigen. Sie schrieben einen Entwurf, der für einen Auftritt des Ministers Anfang Februar an der Akademie der Wissenschaften in Mainz gedacht war. Die Rede gab Israel nicht einseitig die Schuld am Scheitern des Friedensprozesses. Aber sie stellte Fragen, die ein deutscher Außenminister bislang in der Öffentlichkeit nicht zu stellen wagte. Viele in Steinmeiers Umfeld fanden das Manuskript gut. Doch am Ende setzten sich noch
einmal die Israelfreunde durch. Steinmeiers Büroleiter Jens Plötner strich die entscheidenden Passagen.Die Israelkritiker geben sich jedoch nicht geschlagen. Bei der nächsten Steinmeier-Rede wollen sie es erneut versuchen.
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