Ahdaf Soueif hat zahlreiche Kurzgeschichten und Romane veröffentlicht, darunter den Bestseller "The Map of Love", der auf der Shortliste des Booker Prize stand: Mit ihren Analysen zur Revolution in Ägypten erlangte die 1950 in Kairo geborene und aus einer prominenten Aktivistenfamilie stammende Autorin internationale Bekanntheit. Wo immer sie nach der Revolution 2011 Vorträge hielt, es spielten sich immer die gleichen Szenen ab: Alte Damen hielten sie auf der Straße an, Taxifahrer schüttelten ihre Hand, und das nur, so beschreibt Soueif im Vorwort ihres neuen Buches "Cairo: My City. Our Revolution" (Bloomsbury), weil sie als Ägypterin den Glanz des Tahrir-Platzes verströmte. Drei Jahre und drei Machtwechsel später lädt die Schriftstellerin in ihre Kairoer Wohnung.
Die Welt:
Frau Soueif, die Ägypter haben gerade einer Verfassung zugestimmt, die dem Militär soviel Macht zusichert, wie nie zuvor. Kritiker wurden verhaftet, die Staatsmedien betitelten alle Nichtwähler als "Landesverräter". Viele sprechen von der Wiederkehr der düstersten Tage unter Mubarak.
Die Wahrheit ist: Das Regime war nie weg. Es hatte sich zurückgezogen und andere Formen angenommen. Aber das Geld und die Macht blieben dort, wo sie immer waren: bei der Elite, der Armee. Jetzt kehren die alten Strukturen zurück, in einer noch radikaleren Weise.
Inwiefern?
Die Herrscher feiern das Referendum als Beweis ihrer Demokratiefähigkeit. Sie haben es auch perfekt inszeniert. Überall hingen riesige Banner mit einem "Ja zur Verfassung", auf den Straßen hörte man Marschmusik. Gleichzeitig wurde jeder weggesperrt, der nur einen Zettel mit einem durchgestrichenen Kreuz in der Hand hielt. Das Mubarak-Regime war erfahren genug, um zu wissen, dass man Kritik zulassen kann, ohne gleich vom Thron zu stürzen. Das ist jetzt anders.
Sie haben viel über die Euphorie im Januar 2011 geschrieben, die Sprechchöre, den Jubel, das Tanzen auf den Straßen. Das muss Ihnen jetzt wie aus einem anderen Leben erscheinen.
Die 18 Tage auf dem Tahrir-Platz waren magisch. Wir alle spürten das immense Potential, die Verbundenheit, die Kreativität. Es gibt Leute, die sagen, die Revolution war nur eine Illusion, pure Einbildung. Ich sage: Das war sie nicht. Wir haben den Aufbruch gelebt. Wir tragen dieses Gefühl heute wie ein Ideal vor uns her. Wir müssen an die Werte von damals glauben. Auch, wenn in unserem Land gerade Semifaschismus herrscht.
Die Säkularen haben es in den drei Jahren nicht geschafft, eine Alternative zu schaffen.
Sie konnten keine Strukturen aufbauen, weil die Machthaber nach Mubarak, erst der Militärrat, dann Mursi, jede Form von Selbstorganisation unterdrückten. Nach der Revolution lebten viele von uns von einem Tag auf den anderen. Wir organisierten Essen für die Verhafteten, Medikamente für die Verletzten der Straßenkämpfe. Es gab keinen Raum für Zukunftsvisionen. Auch lehnten die Jungen jedwede Führerschaft ab, was den Prozess der Neuformierung lähmte.
Viele Ägypter sehnen sich nach einer starken Führung. Sie wünschen sich Armeechef Abdel Fattah al-Sisi als neuen Präsidenten. Für viele ist er der Messias.
Man muss sich klarmachen: Die Ägypter haben drei sehr schwere Jahre hinter sich. Sie mussten eine Enttäuschung nach der anderen einstecken. Immer, wenn sie etwas Hoffnung schöpften, kam der nächste Diktator. Jetzt haben sie al-Sisi als ihren Erretter auserkoren. Sie glauben einfach, dass er alle ihre Probleme lösen wird. Das ist hässlich anzusehen. Aber es hat seine Gründe.
Nämlich?
Seit Mubarak hat jeder Herrscher die Gesellschaft tiefer gespalten. Heute stehen die Kopten den Christen gegenüber, die Armen den Reichen, die Sunniten den Schiiten. Die Muslimbrüder, die gerade noch regierten, gelten jetzt als Terrororganisation. Klar ist: Die Säkularen werden den Islamisten nicht mehr vertrauen. Klar ist aber auch, dass die nächste Regierung sie in den politischen Prozess einbeziehen muss. Man kann eine Bewegung, die seit 80 Jahren existiert, nicht einfach auslöschen.
Viele Kulturschaffende haben Mursis Sturz im Juli begrüßt.
Natürlich. Kaum jemand widersprach dem Selbstverständnis der Künstler derart wie Mursi und seine Leute. Die Lieder der Islamisten klingen einfältig, ihre Scherze sind nicht lustig, ihr Referenzrahmen ist begrenzt. Schon Mursis Sprache und Bewegungen waren ein Witz, im Internet gibt es dutzende Parodien.
Auch viele Künstler haben anfangs große Hoffnungen in die Islamisten gesetzt.
So wie ich. Die Muslimbrüder haben sich in den letzten 30 Jahren als Alternative zur herrschenden Politik präsentiert. Viele dachten, sie hätten eine Vision für die Bildung und Wirtschaft, eine Agenda, die mehr auf soziale Gerechtigkeit setzt. Etliche Maler, Tänzer und Schriftsteller waren bereit, dafür Fragen nach der künstlerischen Freiheit erst mal zurückstellen. Doch dann folgte ein Desaster aufs andere: Mit Alaa Abdel-Aziz kam ein Kulturminister ins Amt, der Ballett und Oper am liebsten abgeschafft hätte. Dann ernannte Mursi den radikalen Islamisten Adel Asaad al-Chajat zum Gouverneur. Da wussten wir: Wir haben uns getäuscht. Und doch: Ich hätte mir gewünscht, die Muslimbrüder wären länger an der Macht geblieben.
Warum das?
Sie hatten sich schon selbst demaskiert. Die Stimmung war an einem Tiefpunkt. Zugleich gab es erstmals offene Diskussionen über Dinge wie Meinungsfreiheit und Ethik. Die Menschen hätten die Muslimbrüder vertrieben, durch vorgezogene Präsidentschaftswahlen etwa. Stattdessen hat das Militär die Macht an sich gerissen. Damit wurde die Chance auf Selbstbestimmung vertan.
Seither prangen al-Sisi-Poster in den Schaufenstern, es gibt Torten mit seinem Konterfei, Ägypterinnen heiraten im Militärlook.
Man muss hier unterscheiden: Es gibt etablierte Künstler, die jetzt die Armee glorifizieren. Es gibt andere, die dem Lager der Revolutionäre angehören. Kein Graffiti-Künstler unterstützt diesen Kult um die Armee.
Dabei haben auch Künstler aus dem Establishment gegen Mubarak gekämpft.
Schon. Aber scheinbar ist ihr Hass gegen die Islamisten so groß, dass sie bereit sind, für deren Beseitigung platte Propaganda und erneute Unterdrückung hinzunehmen. Viele sehnen sich nach klaren Hierarchien. Sie wollen nicht ständig offene Systeme, in denen das Volk alles aushandelt. Ich sehe diese Leute nicht mehr.
Weshalb nicht?
Weil ich glaube, dass ein wahrer Künstler nur in Opposition zu einem Regime sein kann, dass seine Macht derart missbraucht. Wir Intellektuelle müssen die Gesellschaft, wie auch uns selbst, mit den eigenen Versäumnissen konfrontieren. Für mich liegt im Erzählen mehr denn je eine große Freiheit.
Quelle: www.welt.de
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