Was die Terroristen nicht schaffen, darf jetzt nicht der Staat besorgen. Die Vorratsdatenspeicherung, die nun allseits gefordert wird, bringt gar nichts. Sie schadet nur, schreibt Wolfgang Kubicki.
Es war eine starke Reaktion: Menschen gingen in Paris, Berlin und anderswo auf die Straße, um für Weltoffenheit, Freiheit, Toleranz und menschliches Miteinander zu demonstrieren. Sie wollen sich ihre Freiheit und ihre Bürgerrechte nicht nehmen lassen. Und sie wollen die Terroristen und den Terror nicht gewinnen lassen. Die Debatte über den sogenannten CIA-Folterbericht Ende des letzten Jahres hat uns schmerzlich in Erinnerung gerufen, was Terrorismus mit einem Rechtsstaat machen kann. Und der Bericht sollte uns gerade in diesen Tagen Mahnung sein, dass aus Trauer und aus Wut nicht Unvernunft werden darf.
Doch es dauerte auch hierzulande nur wenige Tage, bis angesichts der Anschläge von Paris nach dem Gesetzgeber gerufen wurde: Verschärfung des Strafrechts, Ersatzpersonalausweis für Gefährder und Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung. Es ist der alte Reflex, der die Menschen glauben machen soll, viel helfe viel. Dem hat sich auch die Bundeskanzlerin in ihrer Regierungserklärung vor dem Deutschen Bundestags bereits angeschlossen. Sie appellierte an Brüssel, eine neue Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung zügig vorzulegen.
Die Behauptung, mit der anlasslosen Vorratsdatenspeicherung, das heißt der Erfassung sämtlicher Kommunikationsdaten von 82 Millionen Bundesbürgern über einen längeren Zeitraum, könne man terroristische Straftaten verhindern, ist eine intellektuelle Beleidigung.
Vorratsdatenspeicherung raubt Freiheit
Mit der Vorratsdatenspeicherung würden wir gerade die Freiheit und Unbefangenheit massiv einschränken und so einen der Grundpfeiler unseres demokratischen Gemeinwesens in Gefahr bringen, den es zu verteidigen gilt. Der Staat muss die Sicherheit seiner Bürger gewährleisten, garantieren kann er sie jedoch nicht.
Statt die Vorratsdatenspeicherung wieder einzuführen, sollte ein Vorschlag der ehemaligen Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger aus der letzten Legislaturperiode wieder aufgegriffen werden. Sie schlug ein milderes und damit besseres Mittel vor, das sogenannte Quick-Freeze-Verfahren. Dieses Verfahren würde das Einfrieren der Kommunikationsdaten nach einer schweren Straftat ermöglichen, was angemessen und völlig ausreichend wäre.
Dies alleine würde aber noch nicht für mehr Sicherheit sorgen. Verbunden werden müsste das Quick-Freeze-Verfahren mit deutlich mehr Personal und einer besseren Ausstattung bei den Sicherheitsbehörden. Was nützt die Erfassung von Daten, wenn es an Menschen mangelt, die diese Daten auswerten? Was nützen neue Gesetze, wenn sie nicht durchgesetzt werden? Die Behörden müssen in die Lage versetzt werden, die 260 akuten Gefährder in Deutschland im Blick zu behalten. Hier geht es um tatsächliche Sicherheit und nicht nur um gefühlte.
Absolute Sicherheit gibt es nicht
Der Blick nach Frankreich zeigt: Dort gibt es seit 2006 die anlasslose Vorratsdatenspeicherung aller Kommunikationsdaten für zwölf Monate. Die Anschläge von Paris konnten damit nicht verhindert werden. Dabei waren die Attentäter von Paris den Behörden bekannt. Es deutet vieles darauf hin, dass die Behörden bei der Observation versagt haben.
Was die Terroristen nicht geschafft haben, den Menschen ihre Freiheit und Bürgerrechte zu nehmen, darf der Staat mit neuer Überwachung nicht durch die Hintertür besorgen. Die Politik sollte es klar benennen: Absolute Sicherheit kann es in einer offenen Gesellschaft nicht geben. Mehr Sicherheit gibt es nicht durch mehr Gesetze oder mehr Daten, sondern durch intelligente Verfahren und gut aufgestellte Sicherheitsbehörden
< Dr. theol. Martin Breidert, Dozent und Pfarrer em. zum Kommentar von Dietmar Neuerer: