Israels Regierungschef Netanjahu ist ein Mann des Status quo. Er hält an einer Situation fest, die von der internationalen Gemeinschaft seit Jahrzehnten zumindest toleriert wird und die seine Macht nicht gefährdet. Er ist deshalb bemüht, sich möglichst wenig zu bewegen. Das heißt: Netanjahu hat beim Vorhaben getrennte Buslinien einzuführen nicht aus Überzeugung eingegriffen, sondern weil er keine andere Wahl hatte.
Dem Premier ist bewusst: Israel überschreitet eine dicke rote Linie, wenn das Verteidigungsministerium Palästinensern, die in Israel arbeiten, jetzt auch noch verbietet, auf dem Heimweg in den gleichen Busse wie jüdische Siedler zu fahren. Auch wenn Verteidigungsminister Jaalon mit Gründen der Sicherheit argumentiert. Auch wenn das Ministerium vorgibt, die Palästinenser müssten bei der Heimreise am Checkpoint ein weiteres Mal kontrolliert werden. Am Ende bleibt es bei der Schlagzeile: Israel führt auf palästinensischem Gebiet getrennte Buslinien für Palästinenser und jüdische Siedler ein.
Da wird es dann selbst für Regierungschef Netanjahu schwer zu kaschieren, was Besatzung täglich bedeutet. Netanjahu halte das Vorhaben für inakzeptabel, erklärte sein Büro die Entscheidung, den Pilotversuch einzufrieren. Warum erst jetzt?
Das Ziel getrennter Buslinien im Westjordanland verfolgt die Siedlerlobby in Israel seit Langem. Der Abgeordnete Moti Yogev klagt, die gemeinsame Heimfahrt mit Palästinensern in den Bussen, habe die Lebensqualität der jüdischen Bewohner - gemeint sind die Siedler - drastisch und einseitig beeinträchtigt. Spätestens seit November 2014 haben die Siedler einen mächtigen Verbündeten bei ihrem Vorhaben: Verteidigungsminister Jaalon. Jaalon kündigte vor einem halben Jahr an, die Trennung umsetzen zu wollen. Und erst in dem Moment, in dem der Versuch startet, fällt Ministerpräsident Netanjahu auf, wie inakzeptabel das Vorgehen ist?
Und eine zweite Frage: Wenn es den Regierungschef so anwidert, was Verteidigungsministerium und Siedler sich ausgedacht haben, warum legt er den Versuch dann nur auf Eis. Warum wird die Trennung von Palästinensern und Israelis in öffentlichen Bussen nur eingefroren und nicht ganz klar zurückgewiesen?
Vermutlich weil Netanjahu in einem Dilemma steckt mit seinem geliebten Status quo. Er will keinen palästinensischen Staat an Israels Seite. Er folgt der Ideologie seines Vaters, wonach auch das gesamte Land dem jüdischen Volk als Heimat zusteht. Er will aber auch keine Ein-Staaten-Lösung für Israelis und Palästinenser. Was bleibt: der Versuch der schrittweisen Trennung von den Palästinensern - ohne Zugeständnisse.
Beispiele gibt es überall im Land dafür: Der Anti-Terror-Sperrwall oder die Mauer an vielen Stellen im Westjordanland ist in Beton gegossenes Sinnbild für diese Politik. Gebaut wurde die Anlage mit dem Ziel, palästinensische Selbstmordattentäter zu hindern, ihre perfiden Aufträge auszuführen.
Errichtet wurden die Zäune, Türme und Fertigbetonelemente aber zum großen Teil auf palästinensischem Gebiet. Und das wirft Fragen auf: Geht es womöglich eher darum Palästinenser von ihrem Land zu trennen, das Leben der Palästinenser zu erschweren und zum Wohl der Siedler, tausend Menschen hinter Beton zu verbannen?
Wer glaubt der Konflikt werde so handhabbar - ohne eine politische Lösung - der hält auch die Trennung in den Buslinien für eine logische Konsequenz. Das Thema wird Netanjahu bleiben, so lang er nicht bereit ist, echte Entscheidungen zu treffen. Die Aufgabe der internationalen Gemeinschaft muss es sein, ihn bei jeder Gelegenheit an diesen Umstand zu erinnern.
Hier finden Sie den vollständigen Deutschlandfunk Bericht von Torsten Teichmann.
Nahost-Konflikt - Mogherini testet die Stimmung
(Deutschlandfunk, Informationen am Morgen, 20.05.2015)
Israel - Der "Netanjahu-Zirkus" beginnt die vierte Amtszeit
(Deutschlandfunk, Informationen am Morgen, 15.05.2015)
Israel - Werben für Zwei-Staaten-Lösung
(Deutschlandfunk, Aktuell, 12.05.2015)
< Wirtschaftsvortrag "Gebrauchsanweisung für Katar - Wirtschaftliche Rahmenbedingungen" am 10. Juni 2015