Die Knesset – das israelische Parlament – hat am 18. Juli 2018 mit knapper Mehrheit und trotz heftiger Kritik auch aus dem eigenen Land ein Gesetz angenommen, das die Rechte der Araber in Israel, die etwa einen Fünftel der Bevölkerung ausmachen, zusätzlich einschränkt und den Siedlungsbau im besetzten Westjordanland sogar verstärkt fördern soll.
Kritik aus dem Ausland wird von Israel zunehmend als antisemitisch wahrgenommen und verurteilt. Deshalb sei hier ein Kommentar von Gideon Levy wiedergegeben, einem Journalisten der israelischen Tageszeitung Haaretz, der die Besetzungspolitik der Regierung Netanjahu seit vielen Jahren kritisiert. Sein hier folgender Kommentar erschien zwei Tage, bevor die Knesset das Gesetz – in einigen Punkten in der Formulierung leicht entschärft – mit 62 zu 55 Stimmen verabschiedete.
«Das Gesetz, das über Israel die Wahrheit sagt»
(Untertitel) «Das Nationalstaat-Gesetz macht es klar: Israel ist auch rechtlich nur für die Juden. Es ist so einfacher für alle.»
Von Gideon Levy
«Die Knesset ist dabei, eines der wichtigsten Gesetze seit je zu erlassen, und eines, das mit der jetzigen Realität auch am meisten übereinstimmt. Das Nationalstaat-Gesetz setzt dem wagen Nationalismus und dem gegenwärtigen Zionismus, wie er heute existiert, ein Ende. Das Gesetz beendigt auch die bisherige Farce, Israel sei ‹jüdisch und demokratisch› – eine Kombination, die nie existierte und nie existieren konnte. Denn der Widerspruch ist dieser Kombination inhärent. Die beiden Werte sind nie unter einen Hut zu bringen, ausser mit Betrug.
Wenn der Staat jüdisch ist, kann er nicht demokratisch sein wegen des Mangels der Gleichberechtigung. Wenn der Staat demokratisch ist, kann er nicht jüdisch sein, weil eine Demokratie keine auf der ethnischen Zugehörigkeit basierende Privilegien vergeben kann.
Jetzt aber hat die Knesset beschlossen: Der Staat ist jüdisch. Israel erklärt, dass es der Nationalstaat der Juden ist, nicht der Staat seiner Bürger und Bürgerinnen, nicht ein Staat der beiden Volksgruppen, die in ihm leben. Damit hat die Knesset beschlossen, den Status einer egalitären Demokratie zu verlassen – nicht nur im Alltag, sondern auch in der Theorie. Darum ist dieses Gesetz so wichtig: Es ist ein Gesetz voller Wahrheit.
Die Aufregung über die Gesetzesvorlage wollte vor allem die Politik der Zweideutigkeit fortsetzen. Der Staatspräsident und der Generalstaatsanwalt, die angeblichen Hüter des Anstands, haben protestiert und erhielten Komplimente aus dem linken Lager. Der Präsident schimpfte, das neue Gesetz werde eine Waffe in den Händen der Feinde Israels sein, und der Generalstaatsanwalt warnte vor ‹internationalen Komplikationen›.
Ihre Opposition gründete auf der Angst, Israel vor aller Welt blosszustellen. Immerhin protestierte Staatspräsident Reuven Rivlin mutig laut und deutlich gegen die Klausel, wonach Gemeinden künftig das Recht haben sollen, ihre Einwohner zu durchleuchten und Andersgläubigen die Niederlassung zu verweigern. Aber die meisten Liberalen schreckten einfach davor zurück, als Gesetz schriftlich festgehalten zu sehen, was längst Realität ist.
Mordechai Kremnitzer protestierte in der Dienstagausgabe von Haaretz ebenfalls heftig, das neue Gesetz würde ‹eine Revolution entstehen lassen, nichts weniger›. Das Gesetz bedeute ‹das Ende Israels als jüdischen und demokratischen Staat›. Er fügte bei, das Gesetz mache Israel zu einem nationalistischen Staat wie Polen oder Ungarn – als ob es das nicht längst wäre. In Polen und in Ungarn gibt es keine Tyrannei über andere Leute mit weniger Rechten, wie es hier zur permanenten Realität und zu einem untrennbaren Teil dieses Staates unter dieser Regierung geworden ist, ohne Aussicht auf ein Ende.
Alle diese Jahre der Heuchelei waren angenehm. Es war angenehm, sagen zu können, dass Apartheid nur in Südafrika existierte, weil dort alles in rassistischen Gesetzen verankert war, während dem wir keine solche Gesetze hatten. Es war angenehm zu sagen, dass Hebron keine Apartheid sei, dass das Jordan-Tal keine Apartheid sei, und dass die Besetzung wirklich kein Teil der (israelischen) Herrschaft sei. Und zu sagen, dass wir die einzige Demokratie in dieser Region seien, trotz der Besetzung.
Es war nett zu behaupten, dass seit die Araber wählen dürfen und wir eine Demokratie von Gleichberechtigten seien. Darauf hinzuweisen, dass es eine Arabische Partei gebe, auch wenn sie von jedem politischen Einfluss ausgeschlossen war. Und zu betonen, dass die Araber in jüdischen Spitälern akzeptiert seien, dass sie in den jüdischen Universitäten studieren und wohnen dürften, wo sie wollen.
Wie aufgeklärt wir doch sind; unser höchstes Gericht entschied im Fall Kaadan, dass eine arabische Familie in Katzir ein Haus kaufen durfte – nach jahrelangen Rechtsstreiten und Ausflüchten. Wie tolerant sind wir doch, dass die Araber arabisch sprechen dürfen, eine offizielle Sprache. Letzteres war eh eine Fiktion. Das Arabische wurde nie wirklich als eine offizielle Sprache gehandhabt, in der Art etwa, wie das Schwedische in Finnland, obwohl die schwedische Minderheit doch viel kleiner ist als die arabische Minderheit hier.
Es war angenehm zu ignorieren, dass das Land im Eigentum des Jewish National Fund, welches das meiste staatseigene Land betrifft, den Juden vorbehalten war – mit fortschreitender Zustimmung des höchsten Gerichts – und wir trotzdem eine Demokratie seien. Es war so viel angenehmer zu denken, dass wir selber Verfechter der Gleichberechtigung seien.
Jetzt werden wir ein Gesetz haben, das die Wahrheit sagt. Israel ist ausschliesslich für Juden – gemäss Gesetz. Der Nationalstaat des jüdischen Volkes, nicht der Bürgerinnen und Bürger. Ihre Araber sind Zweitklass-Bürger und die palästinensischen Leute sind inexistent. Ihr Schicksal wird in Jerusalem bestimmt, aber sie sind kein Teil des Staates. Es ist einfacher so für jedermann.
Es bleibt ein kleines Problem mit dem Rest der Welt und mit Israels Ruf, der mit diesem Gesetz ein wenig angekratzt sein wird. Es ist kein grosser Wurf. Israels neue Freunde werden stolz sein auf dieses neue Gesetz. Für sie wird Israel ein leuchtendes Beispiel unter den Nationen.
Und die Leute auf der ganzen Welt, die ein Gewissen haben, kennen die Wahrheit schon lange und haben sich dagegen gewehrt. Eine Waffe für die Bewegung BDS? (*) Gewiss. Israel hat es verdient – und wird es nun als Gesetz haben.»
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(*) Boykott, Desinvestition und Sanktionen (BDS) gegen Israel bis zum Ende von Apartheid und Besatzung in Palästina.
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Quelle / Hier der englische Originaltext: