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10.04.2018

 

Gaza: Eskalation mit Ansage

 

Die Hamas instrumentalisiert die Demonstrationen in Gaza und die Opfer der unverhältnismäßigen israelischen Reaktion. Die gewollte Eskalation behindert die legitimen Anliegen der Protestierenden. Von Riad Othman

 

Der Fokus der Berichterstattung über die Proteste liegt auf der Gewalt an den Zäunen. (Foto: CFTA)

Ganze Familien protestieren in den Camps. (Foto: CFTA)

Verletzte werden versorgt. (Foto: PMRS)

Angestellte der Universitäten und Lehrer*innen geben Kurse, es gibt kreative Workshops, es werden Lieder gesungen. Für Kinder und Erwachsene sind Geschichtenerzähler*innen auf den Protestcamps unterwegs. (Foto: CFTA)

Wer verstehen will, was zu den derzeitigen Massenprotesten geführt hat, müsste mindestens bei der Geschichte des Tags des Bodens anfangen, die im März 1976 beginnt. Genau genommen ist das Datum des 30. März 1976 dabei nicht nur ein Ausgangspunkt, sondern eher Kulminationspunkt einer Jahrzehnte andauernden Entwicklung, die auch heute noch nicht abgeschlossen ist. Zu jenem Zeitpunkt brach sich eine Reaktion auf die Politik der Landnahme und Enteignung palästinensischen Grund und Bodens seit der Staatsgründung Israels in landesweiten Protesten Bahn. So führt die Beschäftigung mit dem Tag des Bodens unweigerlich in die Zeit 1947/1948 zurück, als nur ca. 7% des britischen Mandatsgebiets Palästina in jüdischem Besitz waren, während der UN-Teilungsplan den jüdischen 31% der Gesamtbevölkerung 56% des Landes zusprach.

Besitzverhältnisse ändern sich aber auch durch einen Krieg nicht von selbst. Dazu bedarf es administrativer und rechtlicher Schritte, und die vollzog der junge israelische Staat systematisch und konsequent. In den Jahrzehnten nach seiner Gründung eignete er sich ca. 70% des Landes der palästinensischen Minderheit an. Staatlich verwaltetes Land wurde ab 1948 quasi ausschließlich zum Wohl der jüdischen Bevölkerung genutzt.

 

Die Armee gegen die eigenen Bürger*innen

1976, als erneut umfassend Flächen beschlagnahmt werden sollten, führte dies zu einem Generalstreik der palästinensischen Bevölkerung Israels und zu landesweiten Protesten, bei denen sechs Demonstranten erschossen und zahlreiche verletzt wurden. Israel setzte damals die Armee im Inneren gegen ihre eigenen Bürger*innen ein. Seither gedenken die Palästinenser*innen jedes Jahr am 30. März dessen, was seit 1948 buchstäblich mit ihrer Erde, ihrem Boden, geschehen ist – für die Mehrheit der agrarisch geprägten palästinensischen Gesellschaft bis zur Gründung Israels die Haupteinnahmequelle und Lebensgrundlage.

2018 feiert Israel sein siebzigjähriges Bestehen. Die Palästinenser*innen werden indessen ihrer Nakba (arabisch: Katastrophe) gedenken, der Flucht und Vertreibung von etwa 80% der palästinensischen Bevölkerung aus den Gebieten, die 1948/1949 als Ergebnis des ersten israelisch-arabischen Krieges zu Israel wurden.

 

Verzweifelte Lage im Gazastreifen

Das Mobilisierungspotential der Aktionen, die am 30. März begonnen haben und bis zum 15. Mai (dem Tag der israelischen Staatsgründung und Nakba-Gedenktag) andauern sollen, erklärt sich auch aus der Tatsache, dass im Gazastreifen die Bevölkerung zu 70 Prozent aus Geflüchteten und ihren Nachfahren besteht. Für sie hat dieser historische Hintergrund bis heute handfeste Konsequenzen. Er bleibt deshalb ein Bezugspunkt.

Doch alleine daraus erklärt sich noch nicht, weshalb sich am Großen Marsch der Rückkehr ca. 30.000 Menschen mehrheitlich friedlich beteiligen. Der wohl wichtigste Grund besteht in der absolut verzweifelten Lage im Gazastreifen. Die sich stetig verschlimmernde humanitäre Situation, die sich durch die Kürzung der Mittel für das Hilfswerk für palästinensische Geflüchtete UNRWA weiter verschärft, die fehlende Hoffnung angesichts der innerpalästinensischen Spaltung und des Scheiterns der Aussöhnung zwischen Hamas und Fatah, das schmerzliche Bewusstsein in der Bevölkerung, dass die eigenen Machthaber ihre Interessen über die der Allgemeinheit stellen – dies sind die Gründe, die die Leute auf die Straße und in die Protestcamps bringen, nicht Anordnungen der Hamas oder des Islamischen Dschihad.

 

Die Hamas will nur von der Aufmerksamkeit profitieren

Majeda Al-Saqqa, die in Khan Younis fünf Autominuten von einem der Protestcamps entfernt lebt und bei der Culture & Free Thought Association (CFTA), einem von vier medico-Partnern im Gazastreifen, arbeitet, erklärt mir: „Die Idee für die gewaltfreien Protestcamps stammt von lokalen Aktivist*innen und Journalist*innen. Die waren da schon seit zwei Monaten mit Zelten. Anfangs haben die Leute nicht besonders interessiert gewirkt, aber zum Tag des Bodens hin hat es sich dann wirklich zu einem Massenprotest entwickelt.“

Die Hamas spielte bis zu jenem 30. März, als israelische Streitkräfte 19 Palästinenser erschossen und über 1.400 verletzten, überhaupt keine Rolle. „Sie gab danach die Pressekonferenz. Auch jetzt ist sie unter der Woche in den Protestcamps nicht präsent, sondern kommt nur an den Freitagen, um von der öffentlichen Aufmerksamkeit zu profitieren.“

 

Mehrheitlich gewaltfreie Proteste, fern des Zauns

Majeda ärgert sich nicht nur darüber. Sie regt sich vor allem über den Fokus der Berichterstattung auf, der auf der Gewalt an den Zäunen liegt. „Dabei engagiert sich die Mehrheit friedlich in den Camps, die etwa 700 Meter vom Zaun entfernt liegen, der Gaza von Israel trennt. Wieso sehen wir keine Bilder aus diesen Camps, wo Leute mit Musik und Theater ihrem Protest Ausdruck verleihen? Dort geben Angestellte der Universitäten und Lehrer*innen Kurse, es gibt kreative Workshops, es werden Lieder gesungen. Für Kinder und Erwachsene sind Geschichtenerzähler*innen unterwegs.

Es ist eine Minderheit, die zum Zaun geht. Vor allem junge Männer und Jugendliche, die empfinden, dass sie ohnehin nichts zu verlieren haben. Die Mehrheit aber, auch Familien mit kleinen Kindern, halten sich friedlich im Hintergrund. Die Aktivist*innen, die kreative Formen des Widerstands nutzen, wollten mit gewaltfreien Protesten gegen das Vergessen und die eigene Stummheit ankämpfen. Sie wollen Gaza aus der bedrückenden Stille herausholen.“

 

Die Eskalation mit Ansage behindert die legitimen Anliegen der Protestierenden

Dagegen haben die Proteste am Zaun vor allen Dingen zu Gewalt mit Ankündigung geführt. Die israelische Armee hatte gewarnt, auf jeden schießen zu wollen, der sich der Befestigungsanlage nähern würde. Sie hielt Wort. Seit dem 30. März erschoss sie 30 Personen und verletzte über 2.700 Menschen, von denen einige in Lebensgefahr schweben. Unter den Toten ist auch ein palästinensischer Journalist, der mit seiner Weste klar als solcher erkennbar war. Auch mindestens fünf seiner ebenfalls als Medienarbeiter kenntlich gemachten Kollegen wurden verletzt. Das Ergebnis der Eskalation ist, dass vor allem über die gewalttätigen Aspekte der Aktion berichtet wird, kaum über die legitimen Anliegen der Protestierenden.

Die Hamas schlachtet das Vorgehen der israelischen Armee gnadenlos aus: Sie benutzt die Bevölkerung nur und lehnt jede eigene Verantwortung ab. Die gewaltsame Reaktion der israelischen Armee kommt ihr gerade recht. Jedes Opfer israelischer Scharfschützen wird als Märtyrer gefeiert. Natürlich sind nicht alle, die zu den Zäunen gehen, um entweder einen Durchbruch zu versuchen oder Steine oder Molotowcocktails zu werfen, Hamas-Anhänger. Perspektivlose junge Männer gibt es in Gaza auch ohne Parteibuch genug.

 

Schamlose Vereinnahmung durch die Hamas

Die schamlose Vereinnahmung soll das angekratzte politische Image als Akteur des Widerstands gegen die Besatzung und als nicht-korrupte Alternative zur Autonomiebehörde in Ramallah aufpolieren – ein Anspruch, den die Lebensverhältnisse in Gaza und die Bilanz ihrer über zehnjährigen totalitären Herrschaft ad absurdum führen. Keiner, der in Gaza nicht über die Korruption auch innerhalb der Hamas Bescheid wüsste. Von der Unterdrückung Oppositioneller, der Verletzung der Versammlungsfreiheit und anderer Grundrechte sowie den verbrecherischen Hinrichtungen vermeintlicher Kollaborateure ganz zu schweigen.

Der Marsch der Rückkehr ist auch Ausdruck der Sehnsucht nach einer anderen Politik und nach einer anderen politischen Führung. Zu der von der Fatah dominierten Autonomiebehörde in Ramallah, die sich in ein korruptes, autoritäres Präsidialregime verwandelt hat, bietet auch die islamistische Hamas keine Alternative. Auch die anderen etablierten Parteien nicht.

Immerhin kann sich Majeda Al-Saqqa darüber freuen, dass die Jugendlichen, die sie aus ihrem Zentrum in Khan Younis kennt, sich nicht dem Zaun nähern, sondern bei den gewaltfreien Aktionen in den Zeltlagern mitmachen.

 

Forderung nach unabhängiger Untersuchung

Seit dem 30. März liefert mein Kollege Dieter Müller, medicos Repräsentant in Israel und Palästina, der in regelmäßigem Kontakt mit unseren Partnern in Gaza steht, bedrückende Berichte von vor Ort. Er macht aber auch auf die kritischen Stimmen innerhalb Israels aufmerksam: „Nicht nur medico-Partner aus Israel wie Adalah und Breaking the Silence haben das Vorgehen der Regierung und Armee kritisiert, sondern auch Abgeordnete der Oppositionsparteien Chadasch/Al-Dschabha und Meretz. In Tel Aviv organisierte Breaking the Silence zusammen mit anderen am 1. April eine kleine Demonstration.“ Knesset-Mitglied Dov Khenin (Chadasch/al-Dschabha) forderte angesichts des massiven Schusswaffengebrauchs gegen unbewaffnete Demonstrant*innen und Aufnahmen, die nahelegen, dass Menschen in den Rücken geschossen wurden, eine Untersuchung der Ereignisse.

Auch der UN-Generalsekretär forderte eine unabhängige und transparente Untersuchung der Vorkommnisse. Dem schloss sich die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini an. Das Auswärtige Amt in Berlin sah sich dagegen nach den ersten 19 Toten und über 1.400 Verletzten lediglich dazu veranlasst, in einer Pressemitteilung festzustellen: „Die Ausübung des Rechts auf Meinungsäußerung und friedlichen Protest darf nicht missbraucht werden, um die legitimen Sicherheitsinteressen Israels an der Grenze zu den palästinensischen Gebieten zu verletzen“ und erinnerte daran, dass „die Verteidigung dieser legitimen Interessen […] gleichwohl verhältnismäßig erfolgen“ müsse.

 

Verhältnismäßigkeit war von vornherein ausgeschlossen

Die Verhältnismäßigkeit war mit dem Schießbefehl von vornherein ausgeschlossen. Die Tatsache, dass Israel einen 300 Meter breiten Streifen auf der palästinensischen Seite zur Sperrzone erklärt hat (der er ohnehin seit Jahren ist), legitimiert nicht, dass seine Armee mit scharfer Munition auf Unbewaffnete schießt, die sich über dieses Verbot hinwegsetzen.

Zur Klarstellung: Die israelische Blockade des Gazastreifens, an der sich auch Ägypten beteiligt, ist rechtswidrig. Es handelt sich um eine mit geltendem Recht unvereinbare Form der Kollektivbestrafung, die für die Sicherheit Israels weder erforderlich noch dieser zweckdienlich ist. Wenn Menschen sich dagegen gewaltfrei erheben, so ist dieser Protest zuallererst legitim. Er bleibt es auch, wenn eine Gruppierung wie die Hamas versucht, ihn für ihre eigenen Zwecke zu vereinnahmen.

 

Das andere Verhältnis

Zur Versorgung der Verwundeten hat auch der medico-Partner Palestinian Medical Relief Society (PMRS) beigetragen. Bis zum erwarteten Höhe- und Schlusspunkt der Protestaktion am 15. Mai wird es voraussichtlich noch zahlreiche Opfer geben. Die PMRS wird weiterhin mit Ersthelfer*innen und medizinischem Personal vor Ort zur Stelle sein.

Als eine Insel der Vernunft erwies sich der kleine Hügel im israelisch kontrollierten Teil Hebrons, auf dem die palästinensische Organisation Youth Against Settlements (YAS) ihr Zentrum hat. In unmittelbarer Nachbarschaft zu radikalen Siedlern organisierte Breaking the Silence dort mit YAS einen Sederabend zum Pessachfest, bei dem palästinensische Aktivist*innen demonstrativ jüdische Besatzungsgegner*innen zu Gast hatten.

 

Veröffentlicht am 10. April 2018

 

   

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