Quelle: BZ
Er war ganz einfach ein ganz toller Typ. Ein Journalist, wie es sie heute fast nicht mehr gibt. Er war ein Wahnsinniger, ein Abenteurer, ein Weltreisender, und dabei unheimlich wissbegierig, ein bisschen Wilhelm von Humboldt. Ein Entdecker. Ein Welterklärer. Ein Unikum. Diese einzigartige Mischung hat Peter Scholl-Latour ausgemacht.
Ich habe ihn häufig erlebt: in Beirut während des Bürgerkriegs, in Südafrika, als es um die Apartheit ging, und an anderen Ecken der Welt, wo es brannte – auch als er längst nicht mehr als Korrespondent arbeitete. Bis zuletzt ist er gereist. Vor einem halben oder einem Dreivierteljahr war er noch im Sudan. Zuletzt war er in Beirut. Als ich ihn fragte, wie es war, sagte er nur: „Beschissen.“
Zum Schluss hatte er eine ziemlich drastische Sprache, vor allem für das, was im Nahen Osten geschieht. Er hat es ja über Jahrzehnte aus nächster Nähe erlebt und als einer der wenigen soweit verstanden, wie man es überhaupt verstehen kann. Das geht nicht nach vier Wochen oder vier Monaten, und auch nicht nach vier Jahren.
Man fängt erst damit an, wenn man über Jahrzehnte den Überblick hat und Entwicklungen hautnah mitbekommt. Das traf auf Peter Scholl-Latour zu wie auf kaum jemanden sonst. Deshalb stand er mit seinem Urteil auch häufig alleine da – bis ihm die Tatsachen recht gaben.
Zum Beispiel der Arabische Frühling. Die meisten im Westen waren ja total begeistert. Er hat ihn relativ früh totgesagt. „Den Arabischen Frühling gibt es nicht“, hat er erklärt, und er hatte recht damit, so wie er sehr oft recht behalten hat mit seinem Pessimismus.
So auch bei ISIS. Als der „Islamische Staat“ vor ein paar Wochen seinen schrecklichen Feldzug begann, da sagte er: „Diese ISIS, das ist etwas Neues, etwas Anderes. Das ist eine Zäsur in der arabischen Welt.“ Bis zuletzt hat er einen Riecher gehabt für eine Entwicklung.
Dieses Vermögen, Dinge einzuschätzen, ist bei ihm in den Jahrzehnten bei unzähligen Reisen gewachsen. Er wollte nie am Schreibtisch sitzen, er wollte vor Ort sein, mit eigenen Augen sehen und die Wirklichkeit verstehen, die ja immer äußerst komplex ist und niemals schwarz-weiß. Nicht wie diese modernen Korrespondenten, die irgendwo einfliegen und einem ein paar Stunden später gleich die ganze Wahrheit erzählen wollen über ein Land. Über solche Leute hat er nur gelacht.
Obwohl er ein Konservativer war, war er ein Unberechenbarer. Er war ein unabhängiger Kopf, er hat sich von niemandem einfangen lassen. Dem Zeitgeist hat er nie nach dem Mund geredet, und er hat sich von ihm auch nicht beeinflussen lassen. Er hat nie den Islam diffamiert, wie es inzwischen fast üblich geworden ist, weil er den Islam für eine große Kultur gehalten hat.
Ich erinnere mich an eine Geschichte, die ist typisch für Scholl-Latour: Er saß in einer Talkshow-Runde mit Wolfgang Schäuble, und der Schäuble schnauzte ihn an: „Sie wissen immer alles besser!“ Da hat Scholl-Latour ganz kurz innegehalten und dann sagte er: „Leider!“
Im März habe ich ihn bei seiner 90. Geburtstagsfeier gesehen. Da war er unheimlich gut drauf. Er hat bis nach ein Uhr durchgehalten. Wir haben uns noch sehr lange unterhalten.
Es war das letzte Mal.
Peter Scholl-Latour († 90) – ein einzigartiges Leben
Er war schon zu Lebzeiten eine Legende, jetzt ist er tot: Peter Scholl-Latour starb am Sonnabend in seinem Haus in Rhöndorf am Rhein im Alter von 90 Jahren. Er war der berühmteste Kriegsreporter der Republik. Und er prägte das Bild der Deutschen von der arabischen Region, von Asien und Afrika.
Sein 1979 erschienenes Buch „Der Tod im Reisfeld” über den Vietnam-Krieg wurde sein größter Erfolg. Als „letzter Welterklärer”, wie der „Spiegel” einmal schrieb, gab es wohl kaum eine Talk-Couch, auf der er nicht saß.
Scholl-Latour wurde am 9. März 1924 in Bochum geboren. Seine elsässische Mutter entkam als Jüdin knapp der Deportation. Nach Ende des Zweiten Weltkrieges meldete er sich bei einer französischen Elite-Einheit, war Fallschirmspringer in Indochina.
Seit 1950 als Journalist tätig, bereiste Scholl-Latour bis ins hohe Alter die Welt. Er berichtete aus dem Dschungel über den Vietnamkrieg, wurde Gefangener der Vietcong-Guerilla, zog mit den Mudschahedin durch Afghanistan.
Scholl-Latour veröffentlichte zahlreiche Sachbücher, in denen er die Beschreibung historischer Entwicklungslinien mit journalistischen Schilderungen verband. Mit seinen Urteilen stand er oft gegen den Mainstream. Aber das hat den mutigen und streitbaren Journalisten zeitlebens nur ermutigt.
Ulrich Kienzle ist ein deutscher Journalist, Publizist, Nahostexperte und Vizepräsident der DAG.
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