Verlag C.H.Beck, München 2024, Paperback, 363 Seiten, 4 Karten, ISBN 978 3 406 81353 5, € 24,--
Die Autorin ist ausgewiesene Islamwissenschaftlerin und war bis zu ihrem Ruhestand Professorin an der Freien Universität Berlin. Sie ist Mitglied der Berlin-Brandenburgischen Akademie der
Wissenschaften und Mitherausgeberin der Encyclopaedia of Islam Three. 2010 wurde sie mit dem Gerda-Henkel-Preis ausgezeichnet. Bei C.H.Beck erschienen von ihr u.a. „Geschichte Palästinas“ (6. Aufl. 2015) sowie „Der Architekt des Islamismus. Hasan al-Banna und die Muslimbrüder“ (2022), zeitnah hier vorgestellt.
Im Vorwort erklärt Gudrun Krämer, wie sie das komplexe Thema für den Leser erschließt. Der Islam entwickelte sich in „kurzer Zeit von einer arabischen `Gemeinschaft der Gläubigen‘ zu einem islamischen Imperium und schließlich einer Weltreligion, die sich gedanklich, sprachlich und kulturell so vielfältig auffächert wie andere Imperien und Weltreligionen vor und nach ihr“. Geografisch liegt der Fokus ihrer Untersuchungen auf der Region zwischen dem Maghreb und Iran (Naher und Mittlerer Osten, Nordafrika und Vorderer Orient). Einige notwendige Fragen zur Umschrift der arabischen Wörter und Namen in den verschiedenen Sprachen werden erläutert.
Das Werk ist in neun Abschnitte gegliedert, mit zahlreichen Untertiteln. Im ersten „Von der Tradition zur Religion“ findet sich die Darstellung Arabiens um 600 und das Eintreten Muhammads in die Weltgeschichte. Dabei ist zu beachten, dass die Geschichte des Propheten und seiner Gemeinde auf Grundlage muslimischer Quellen zu schreiben ist. Muhammad soll demnach 570 n.Chr. in Mekka, einem Handels- und Wallfahrtsort mit der Kultstätte „Kaaba“, geboren sein. Er erlitt nach seinen Offenbarungserlebnissen vielfache Missachtung. Die Autorin bemerkt „der Prophet gilt nichts im eigenen Land“! Dennoch bildete sich um ihn eine kleine Gemeinde; mit ungefähr 70 Anhängern übersiedelte er 622 n.Chr. auf Einladung nach Yathrib, das spätere Medina (= Stadt des Propheten), wo es bereits einige Männer und Frauen gab, die sich zum Islam bekannten. Dieses Jahr, 622, ist der Beginn der islamischen Zeitrechnung. In Medina starb er nach muslimischer Überlieferung am 8. Juni 632.
Abschnitt II „Eine Gesellschaft in Bewegung“ beschäftigt sich zunächst mit der Nachfolge Muhammads, für die der Prophet keine Regelung getroffen hatte. So folgten Kämpfe um Legitimität und Macht, Bürgerkriege und schließlich religiöse und politische Strömungen, wie Schiiten und Sunniten. Und es begannen Eroberungen, die den Islam zu einer Weltmacht aufsteigen ließen. Eine Landkarte verdeutlicht die Ausbreitung des Islam zur Zeit Muhammads und der ersten drei Kalifen.
In Abschnitt III „Goldene Zeiten? Die frühen Abbasiden“ begegnen wir dem legendären Harun ar-Rashid, „der Rechtgeleitete“, als Held in den Erzählungen aus tausendundeiner Nacht der bekannteste abbasidische Kalif, neben Saladin und Süleiman dem Prächtigen in Europa der berühmteste muslimische Herrscher überhaupt. Ein Blick in Religion, Kultur und Wissenschaft rundet das Kapitel ab. – Es folgen die Abschnitte „Einheit und Vielfalt“ mit einer Karte „Die islamische Welt um 900“ und „Grenzziehungen und Grenzüberschreitungen“ mit den Ausführungen „Muslime und Christen am Mittelmeer“. Letztere enthalten die Neuordnung im Maghreb, das muslimische Spanien „al-Andalus“, die Reconquista und die Kreuzzüge. Zur türkischen Ära gehört die Karte „Wichtige Routen der Seidenstraße“.
Kapitel VI „Neue Horizonte“ beschreibt den islamischen Osten im Mongolensturm; den Islam auf dem indischen Subkontinent; die europäische koloniale Expansion; den Islam in Südostasien sowie abschließend den Islam im subsaharischen Afrika. Es folgen VII „Reichsgründungen“ des Osmanischen Reichs, des Safawidischen Reichs mit der Iranisierung der Safawiyya und die Schiitisierung Irans. – Abschnitt VIII „Reform und Umbruch“ analysiert imperialen Niedergang und Neubeginn: den Zerfall des Mogul- und Safawidenreiches und die Dezentralisierung im Osmanischen Reich. Eine Karte dazu zeigt „Grenzen der im Islam um 1300 bekannten Welt“ mit der Seidenstraße. - Ferner werden behandelt die islamische Reform im 18. Jahrhundert; europäischer Freihandels- und Siedlungsimperialismus; staatliche Reform im 19. Jahrhundert; Hochimperialismus; konstitutionelle Bewegung und Revolution sowie kulturelle Erneuerung und religiöse Reform.
Die Untersuchungen zu „Staatsbildung, Islamismus und Autoritäre Konsolidierung“ beschließen das Werk. „Der Erste Weltkrieg und die Neuordnung der nahöstlichen Staatenwelt“ enthält das Beispiel Türkei sowie Staats- und Nationsbildung im arabischen Raum. Gravierendere Folgen hatten der Zweite Weltkrieg und die Entkolonialisierung. Beispielsweise traf die traumatische Teilung Britisch-Indiens in die Staaten Indien und Pakistan bis zu 20 Millionen Menschen. - Weitere Ausführungen folgen, bis die iranische Revolution, Islamismus und Islamisierung sowie Rebellion und autoritäre Konsolidierung im letzten Kapitel „Zwischen Islam und Islamismus“ einen Schlusspunkt setzen.
Der notwendige Anhang bringt in Fachgebiete aufgegliederte Literaturhinweise, ein Register mit Begriffen, Namen und Orten sowie eine Aufstellung von Werken zur Geschichte des Islam aus dem C.H.Beck Verlag.
Eine weitere exzellente Studie! Der Autorin und dem Verlag seien gedankt!
Helga Walter-Joswig
< Joseph Croitoru, DIE HAMAS, Herrschaft über Gaza – Krieg gegen Israel