Siegfried Ullmann, Alfter
10. Juni 2019
Rundbrief 254 - auch zur weiteren Verbreitung
(Wenn sie meine Rundbriefe nicht mehr haben möchten, wäre ich für einen entsprechenden Hinweis dankbar.)
Betr.: Weitere Stellungnahmen gegen Gleichsetzung von Antisemitismus mit BDS durch den Beschluß des deutschen Bundestags; Auszug aus einem Buch von Ralph Giordano, u. a.
Ein weiteres vielfältiges Informationsangebot für alle, die sich für Recht und Gerechtigkeit auf der Basis des Völkerrechts und der universellen Menschenrechte im Nahen Osten und gegen die Unterdrückung der Meinungsfreiheit in Deutschland einsetzen.
„Achtet auf Antisemitismus und auf alle anderen Formen von Rassismus, aber achtet auch darauf, Euch nicht zum Schweigen bringen zu lassen von jenen, die Euch wegen der Kritik
an der unterdrückerischen Politik Israels als Antisemiten abstempeln wollen...“
schrieb Erzbischof i. R. Desmond Tutu in einem Offenen Brief an den
Deutschen Evangelischen Kirchentag und den Rat der EKD vom 30.April 2015.
Ein sehr guter Kommentar zum BDS-Beschluß des Bundestags: Schwere Schlagseiten - Reiner Bernstein >> https://www.lebenshaus-alb.de/magazin/012263.html
Der beigefügte Artikel mit dem Titel „ Wege des Widerstands“, der in der FAZ vom 6. 6. 2019 veröffentlicht wurde, zeigt, daß es sich der Bundestag mit Antisemitismus und BDS zu leicht gemacht hat, weil Antisemitismus nicht eindeutig definiert werden kann und die BDS-Bewegung keine einheitliche Organisation ist.
Publik Forum hat eine Online-Befragung gestartet (bis 18.6.): "Ist Israel-Boykott antisemitisch?" https://www.publik-forum.de/umfrage/ist-israel-boykott-antisemitisch Eine rege Beteiligung ist wünschenswert!
Weitere kritische Artikel und Stellungnahmen sind als Anlage beigefügt. Außerdem finden Sie eine gute Zusammenfassung unter www.bib-jetzt-de in BIB Aktuell 70. (Das Ansehen der deutschen Politiker wurde durch den Anti-BDS-Beschluß des Bundestags erheblich gemindert. Durch diesen Beschluß entstand doch der Eindruck, daß in erster Linie die Interessen eines fremden Staates, nämlich Israels, vertreten wurden, um jegliche Kritik an dessen völker- und menschenrechtswidriger Politik zu verhindern. Da wurde wieder einmal mit zweierlei Maß gemessen.)
Ein sehr langer Artikel von Peter Beinhart in Freitag, Ausgabe 14/2019. Vielleicht reicht es die letzten sechs Absätze zu lesen.
Ein Artikel von Alexandra Föderl-Schmid in der SZ vom 5.6. 2019 stellt für Israel die Frage: "Demokratie oder Gottesstaat?" https://www.sueddeutsche.de/politik/israel-demokratie-oder-gottesstaat-1.4474632 Was sagen wohl Israels Freunde, z.B. jene GRÜNEN, für die Israel "Staatsräson" ist, zu den Forderungen der Schas-Partei nach einem religiösen jüdischen Staat, in dem Frauenrechte nichts mehr gelten?
Es lohnt sich, auch einmal ältere Publikationen zu lesen, zum Beispiel das im Jahre 1991 veröffentlichte Buch „Israel – Um Himmels Willen Israel“ von Ralph Giordano. Nachstehend zwei Beispiel seiner Aussagen. Weitere Textteile des Buches füge ich als Anlage bei – wirklich lesenwert!
Bei einem Besuch im Gasastreifen beschrieb Giordano die dortigen katastrophalen Verhältnisse unter der damaligen direkten Besatzung: "Gaza und seine Lage sind der unterste Kreis der Lebenshölle. ... Welcher übermenschlichen Geduld und Leidensfähigkeit ist es zu verdanken, daß der Aufschrei unterblieb, der den Himmel zum Einsturz gebracht hätte? Und soll diese Hölle noch einmal vierzig Jahre weiterbestehen? Auf die Aussicht hin will mir plötzlich die Intifada wie eine schwache Reaktion auf ein Universum an Hoffnungslosigkeit erscheinen. Ich war in vielen Slums der Welt, aber Jabalya bringt mich um." (Seiten 109 / 110) Ein palästinensischer Apotheker sagte ihm in Gaza: "Sie schreiben ein Buch? Dann teilen sie ihren Lesern mit, daß die israelischen Politiker dumm sind, denn natürlich würde ein palästinensischer Staat demokratisch sein, die erste Demokratie in der arabischen Welt. Also könnten wir Israels Bundesgenossen werden. Je länger der Konflikt dauert, desto fanatischer wird er auf beiden Seiten." (Seite 107)
Giordano sprach auch mit einem israelischen Opfer eines palästinensischen Anschlags, durch den dieser junger Mann schwer verletzt wurde. G. fragte ihn nach den möglichen Motiven des Attentäters: "Und warum tat er das, warum steuerte er einen vollbesetzten Bus und sich selbst in den Tod?" Darauf bekam er folgende Antwort: "Weil er, seine Familie, seine ganze Umgebung in einer so tragischen Situation in Gaza leben, in den Flüchtlingslagern von Gaza. Die Israelis können Gott dafür danken, daß nicht jeden Tag ein weiterer Bus zur Hölle fährt, denn diese Menschen sind verzweifelt. Jeden Tag werden sie von der israelischen Armee getötet, werden gefangen genommen, verhört. Sie haben keine Rechte, nicht nur keine politischen, sondern überhaupt keine Menschenrechte. Sie stehen unter dem großen Terror der Armee und unter dem inneren Terror der eigenen Organisationen. Ich kann überhaupt nicht verstehen, wie sie nur einige Tage ertragen, so zu leben, geschweige denn Jahre, vierzig Jahre! Ich bewundere diese Menschen wegen ihrer Überlebenskraft. .... Aber ich fühle mich keineswegs als Opfer der Intifada, sondern als eines der eigenen Führung, der Regierung Israels. Ich bin ein Opfer meiner Leute, die nicht zum Frieden finden wollen, nicht meiner Feinde - schreiben Sie das in Ihrem Buch." (Seiten 163/164)
(In der Personenbeschreibung bei Wikipedia werden dieses Buch und Giordanos israel-kritischen Berichte während seiner Zeit als dortiger Korrespondent nicht erwähnt.)
Riad Othman schreibt im Jahresbericht 2018 von medico international zum israelischen Nationalstaatsgesetz: „Die seit Jahren von den Rechten propagierte Schaffung einer jüdischen Ethnokratie in Israel wird in den Rang eines Grundgesetzes erhoben, das zum Beispiel die Verwirklichung des Rechts auf nationale Selbstbestimmung exklusiv dem jüdischen Volk zuspricht. Arabisch als Amtssprache wurde abgeschafft und den Ausbau jüdischer Städte zur nationalen Priorität erklärt.“
Heiko Flottau hat für die NachDenkSeiten ein neues Buch besprochen. Albrecht Müller schreibt dazu. „Ich kenne keine Veröffentlichung, deren Lektüre einem so grundlegend alle Illusionen über eine friedliche Lösung des Konflikts zwischen Israel und Palästina raubt. Es ist informativ und desillusionierend. Damit bewahrt einen die Lektüre vor Fehleinschätzungen.
Am Samstag, dem 22. Juni 2019, findet in Dortmund der Thementag: "Palästina - Israel: Die Lage spitzt sich zu" statt. Näheres siehe Programm im Anhang, Eintritt frei - Anmeldung nicht erforderlich.
Seitens der Israel-Lobby wird behauptet, BDS würde sich gegen alle Israelis richten und ihnen schaden. Das ist natürlich falsch. Die von den USA auch anderen Staaten aufgezwungenen Boykottmaßnahmen gegen den Iran (trotz dessen Einhaltung der vertraglichen Vereinbarungen) schaden hingegen allen Iranern durch die Verhinderung wichtiger Einfuhren und die Schwächung der Gesamtwirtschaft.
Die israelische Menschenrechtsorganisation B'Tselem verbreitet ein Video, das beweist, dass israelische Siedler Feuer legten. Die Armee beschuldigt anschließend die Palästinenser für das Feuer.
Angela Merkel sagte kürzlich bei der Preisverleihung in Harvard: „Dazu gehört, daß wir Lügen nicht Wahrheiten nennen und Wahrheiten nicht Lügen.“ Das sollte nicht nur in Bezug zu Donald Trump gelten.
In letzter Zeit taucht immer wieder der Begriff „christlich-jüdisches Abendland“ auf, zum Beispiel bei Äußerungen von Frau Merkel und Pegida. Wissen Sie, was darunter zu verstehen ist? Im Internet gibt es dazu einige interessante Artikel. Der jüdische Historiker Michael Wolffsohn bezeichnete diesen Begriff in der SZ als „geistigen Müll“.
Aus einer Beschreibung des Speziallagers Nr. 1 des sowjetischen NKWD von 1945 bis 1948 bei Mühlberg / Elbe: „... alle ohne Haftbefehl festgenommen, ohne Gerichtsverfahren, ohne Möglichkeit der Verteidigung, ohne Feststellung von Schuld und Nichtschuld, ohne Verurteilung und Zeitbegrenzung festgehalten. Die Verhaftungswelle in der SBZ war von einer fast grenzenlosen Willkür gekennzeichnet ... .“ – Ähnelt das nicht der willkürlichen Verhaftung und Inhaftierung von Palästinensern und Palästinenserinnen durch die israelischen Besatzungsmacht im Rahmen der sogenannten Verwaltungshaft?
Mit solidarischen Grüßen
Siegfried Ullmann
Anlagen:
- FAZ-Artikel Seite 3 „Wege des Widerstands“
- Programm des Dortmunder Thementags (Einladung)
- Kurzfassung eines Vortrags von Moshe Zuckermann
- Aktuell – Neues Buch zum Anti-BDS-Beschluß
- Jüdische Stimme zum Anti-BDS-Beschluß des Bundestags
- Zitate, zusammengestellt von Ulrich Kammer
- Ökumenische Erklärung
- Auszug aus dem Buch des Ralph Giordano „Israel – Um Himmelwillen Israel“
< Zu Zimmermann-Osterer Interview "Wo beginnt der Antisemitismus", SZ vom 1./2. Juni 2019