Ein Fall israelischer Chuzpe
VON INGE GÜNTHER
Zu sagen, „Chuzpe hat er“, kann durchaus anerkennend gemeint sein. Über jemanden, der eine Portion Chuzpe an den Tag legt, kann man sich aufregen oder schmunzeln. Der Begriff, der aus dem Jiddischen kommt, lässt sich, wie Uri Avnery, der leider verstorbene bissigste Kritiker israelischer Regierungspolitik, einmal bemerkt hat, in keiner anderen Sprache mit nur einem einzigen Wort übersetzen. Chuzpe, das bedeutet frech verschmitzte Unverfrorenheit wie auch unverschämte Anmaßung und sorgt in jüdischen Witzen oft für die besten Pointen.
Ein weniger amüsanter Fall von Chuzpe ist der Versuch Benjamin Netanjahus, sich in den deutschen Kulturbetrieb, insbesondere in die Belange des Jüdischen Museums in Berlin, einzumischen. Dass die laufende Jerusalem-Ausstellung dem israelischen Premier missfällt, weil sie „hauptsächlich das muslimisch-palästinensische Narrativ“ darstelle, überrascht zwar wenig. Was Jerusalem angeht, lässt Netanjahu bekanntermaßen nur die Definition der „auf ewig vereinten jüdischen Hauptstadt“ gelten.
Ironie am Rande: seine Sichtweise ist recht einseitig, während das Ausstellungskonzept „Welcome Jerusalem“ darauf angelegt ist, allen historischen, religiösen und politischen Aspekten gerecht zu werden. Zu verlangen, dem Museum den Geldhahn zuzudrehen, wenn es sich nicht israelischen Vorgaben beuge, ist insofern gleich doppelte Chuzpe.
Das Papier mit seitenlangem Anhang, das Netanjahu Anfang Oktober Angela Merkel in die Hand drückte, kam jedenfalls in Berlin nicht gut an. Wie jüngst bekannt wurde, unterstellt es nicht nur linken, besatzungskritischen NGO wieder mal, „anti-israelische Aktivitäten“ zu fördern, wie etwa die BDS-Kampagne, die für Boykott, Desinvestitionen und Sanktionen wirbt und in Israel verboten ist.
In einem Aufwasch kommen die Berlinale und eben das Jüdische Museum in Berlin, das größte seiner Art in Europa, an den Pranger. Versehen mit der unmissverständlichen Aufforderung, die Bundesregierung möge entweder missliebige „Praktiken“ unterbinden oder den Institutionen die Fördermittel kürzen.
Nach diesem Muster verfährt die israelische Kulturpolitik schon länger, um nicht genehme Kulturschaffende zu gängeln. Zu glauben, solche Methoden ließen sich unwidersprochen auf deutsche Verhältnisse übertragen, zeugt indes von Selbstüberschätzung, für die Chuzpe ein recht milder Ausdruck ist.
Das Jüdische Museum ist zum Glück erfolgreich genug, um sich dagegen zu wehren. Mit ihm solidarisierten sich 66 Künstler in Israel, die gegen den Exportversuch einer „Kultur der Angst und Zensur“ protestierten. Selbst der konservative Michael Wolffsohn, sonst stets bemüht um Verständnis für israelische Regierungspositionen, verteidigte im Berliner „Tagesspiegel“ Museumsdirektor Peter Schäfer. Erstens, weil der Ahnung habe, zweitens vor Kontroversen nicht zurückscheue und drittens der im Judentum besonders ausgeprägten Meinungsvielfalt einen Raum gebe. All das zeichnet die Jerusalem-Ausstellung aus. Hingehen erweitert sie noch beim wiederholten Besuch den Horizont.
Vielleicht war das an Merkel ausgehändigte Beschwerdepapier auch eine billige Retourkutsche für die meist recht diskrete deutsche Kritik am israelischen Siedlungsbau. Frei nach dem Motto, wenn ihr uns weiter damit nervt, machen wir euch mal Dampf. Der scheint im vielstimmigen Aufschrei der Proteste verpufft. Gut so.
KOLUMNE
FREITAG, 28. DEZEMBER 2018 FRANKFURTER RUNDSCHAU
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