Mohammed Assaf hat für eine Nacht Zehntausende Menschen im Nahen Osten ihre Probleme vergessen lassen. Der 23-Jährige gewann die Talentshow Arab Idol - eine Geschichte wie im Märchen. Palästina hat einen neuen Helden, und die Politik will sich dessen Beliebtheit zunutze machen. Beirut - Zehntausende tanzten und feierten ihren Helden, Autos fuhren hupend durch die Straßen, von Beirut bis Bagdad saßen Fans vor dem Fernseher: Mohammed Assaf hat die panarabische Castingshow "Arab Idol" gewonnen. Für die Palästinenser, die unter dem Konflikt mit Israel und dem Streit untereinander leiden, ist der Triumph des 23-Jährigen ein Zeichen der Hoffnung und der nationalen Einheit. Assafs Mutter brach in Tränen aus, als das Ergebnis verkündet wurde, und wickelte sich die palästinensische Flagge um die Schultern. "Dies ist ein friedlicher Sieg für die Palästinenser", sagte eine Frau in Gaza-Stadt. Assaf selbst widmete seinen Erfolg "dem palästinensischen Volk, das seit über 60 Jahren unter Besatzung leidet".
Für den Journalismus-Studenten Assaf stimmten per SMS offensichtlich auch viele junge Menschen aus anderen arabischen Ländern. Auch der frühere palästinensische Regierungschef Salam Fajad hatte seine Landsleute aufgefordert, Assaf zu unterstützen. Telefongesellschaften im Gaza-Streifen senkten extra die Preise für Kurznachrichten.
"Arab Idol hat uns mehr gegeben als jeder Politiker"
Die Schlagzeilen der palästinensischen Sonntagszeitungen griffen die Worte eines Jurymitglieds auf, das Assaf "die beste Rakete" genannt hatte, "die jemals aus Gaza kam: Eine Friedensrakete, keine kriegerische". "Al-Hajat" titelte: "Die Rakete traf ins Ziel und brachte Freude über die Palästinenser". Und "al-Ajjam" wählte die Schlagzeile: "Assaf - die palästinensische Kunst-Rakete". Als "Arab Idol" bekommt Assaf nun einen Sportwagen und einen Plattenvertrag. Noch bedeutender ist die symbolische Belohnung: Mit seinem Erfolg hat Assaf seiner geografisch und politisch gespaltenen Nation eine gemeinsame Stimme verliehen. Denn auch wenn die Show eine Unterhaltungssendung ist, ließen sich die Konflikte in der Region nie ausblenden. "Arab Idol hat uns mehr gegeben als jeder Politiker", sagte Finalist Ahmed Gamal aus Ägypten. "Das könnte eine wichtige Botschaft sein."
Teilnehmerin Farah Youssef aus Syrien etwa hatte sich durch das Kriegsgebiet in den Nachbarstaat Libanon durchgeschlagen, um an dem Wettbewerb teilzunehmen. Die junge Frau gehört zu den Unterstützern der Machthaber in Syrien. Sie wies Vorwürfe zurück, sie solle nicht singen, während in ihrem Land ein Bürgerkrieg wüte, in dem mehr als 90.000 Menschen gestorben seien. "Unser Land leidet, es braucht nicht noch mehr Menschen, die es beweinen, es braucht Leute, die es stolz machen", sagte sie.
Über den Zaun zum Vorcasting
Der Gegensatz zwischen dem Spektakel im TV-Studio und dem normalen Leben einiger Teilnehmer könnte in der Tat kaum krasser sein, beobachtete die Nachrichtenagentur Reuters. Manche von ihnen stammten aus Syrien, Ägypten und den Palästinensergebieten. Gewinner Assaf wuchs in einem Flüchtlingslager im Gaza-Streifen auf.
Seine Geschichte ging vielen Menschen nah, weil sie sich wie ein modernes Märchen ausnimmt: Assafs Großeltern waren im israelischen Unabhängigkeitskrieg von 1948 aus Ortschaften im Süden des sich neu bildenden Staates geflohen. Die Eltern ließen sich zwischenzeitlich in Libyen nieder, wo der Junge 1990 in Misrati geboren wurde.
Als Assaf vier Jahre alt war, siedelte die Familie nach Chan Junis im Süden des Gaza-Streifens um, wo er in einem armseligen Flüchtlingslager aufwuchs. Im Alter von sechs Jahren startete dort seine Gesangskarriere, zunächst in einem Chor. Später sang er auf Hochzeitsfeiern.
Wegen der schwierigen Ausreise aus Gaza war er zu spät in Kairo beim regionalen Vorcasting eingetroffen, hatte einen Zaun überstiegen und dann die Teilnehmerkarte eines anderen Kandidaten geschenkt bekommen.
"Ein Lichtblick inmitten wachsender Schatten"
"Die Worte junger Menschen zu verbreiten und ihnen zuzusehen, wie sie ihre Träume verwirklichen - das ist viel besser als Gewehrfeuer zu hören, wie wir es in Palästina, Syrien und der arabischen Welt gewohnt sind", sagte er.
Den Artikel im Spiegel vom 23.06.2013 finden Sie hier.
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