Martin Schulz, der Präsident des Europäischen Parlaments hielt in der Knesset eine von großer Sympathie für Israel getragenen Rede und wurde von fundamentalistischen Parlamentariern lautstark beschimpft, weil er auszusprechen wagte, was alle Welt weiß, dass die israelische Besatzungsmacht, die Restpalästina seit fünf Jahrzehnten unterdrückt, die Wasserzuteilung konfiskatorisch vornimmt, indem sie dem besetzten Volk nur noch ein Rinnsal übrig lässt. Dieses skandalöse völkerrechtswidrige Verhalten, das ständig von der Uno aber auch von den USA und der EU missbilligt wird, wagte der EU-Präsident tastend aber zugleich auch anteilnehmend anzusprechen. Ein diplomatischer Fauxpas? Nein, wenn Schulz nichts zur Lage der eingepferchten und entrechteten Palästinenser gesagt hätte, wäre er zu tadeln gewesen. Der israelische Historiker Moshe Zuckermann findet hierzu die richtigen Worte.
Peinlich indes die liebedienerischen Kommentare in vielen Gazetten gerade in den deutschen Medien, die Schulz ein mangelndes Fingerspitzengefühl vorwerfen, zumal er doch in der Knesset habe deutsch sprechen dürfen, in der Sprache, Hannah Arendts, Franz Kafkas, Martin Bubers und auch Theodor Herzls. Nein, Martin Schulz muss sich nicht von dem ehemaligen deutschen Botschafter, Rudolf Dreßler, beschimpfen lassen, der ganz offenbar die geistige Kontrolle über die Region verloren hat. Als Botschafter im Wartestand hatte der noch im Jahre 2000 für Empörung in Israel gesorgt, als er sich für eine Internationalisierung Jerusalems aussprach. Ehud Olmert wurde seinetwegen in Berlin vorstellig und bat, die Berufung Dreßlers rückgängig zu machen. Die Prügel, die Dreßler für diesen Vorschlag einstecken musste, haben ihm offenbar so wehgetan, dass er seitdem nie wieder wagte, eine Kritik an Israels menschenrechtswidriger Besatzungspolitik zu äußern. Inzwischen versteht er sich als braingewashter Anwalt israelischer Politik. Als Diplomat wäre es seine Aufgabe gewesen, in Tel Aviv den deutschen und europäischen Standpunkt zur Einhaltung der Menschenrechte und der UN-Beschlüsse suaviter in modo zu vertreten. Es ist empörend, wie dieser Pensionär des Auswärtigen Amtes, der als Botschafter auf ganzer Linie versagt hatte, jetzt den Europapräsidenten diffamiert. Wäre Dreßler doch 2007 den Verlockungen Lafontaines gefolgt und aus der SPD zur politischen Peripherie übergetreten, dann müsste er jetzt nicht posthum von AA-Chef Steinmeier entrümpelt werden.
hmb
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Inszenierter Skandal
Nach Schulz-Rede in der Knesset. Gastkommentar
Von Moshe Zuckermann
Der Eklat in der Knesset anläßlich der von Martin Schulz gehaltenen Gastrede brachte altbekanntes Ideologiegerümpel der israelischen politischen Kultur auf den Punkt. Die echauffierte Reaktion von Parlamentariern der rechtsradikalen Partei Das jüdische Haus zeigte, daß der deutsche Politiker Wahres ausgesprochen hatte. Zugleich aber auch, wie schwer es offenbar ist, eine solche Wahrheit zu ertragen, wenn sie mit einer kollektiven narzißtischen Kränkung einhergeht. Jeder in Israel weiß, daß man die Palästinenser im Westjordanland und im Gazastreifen diskriminiert und depraviert. Gleichwohl verleugnen dies die allermeisten jüdischen Israelis, weil es in der Selbstwahrnehmung gar nicht sein kann, nicht sein darf. Man ist ja moralisch, unterhält mithin »die moralischste Armee der Welt« und betreibt überhaupt »eine aufgeklärte Besatzung«.
Daß der Botengänger der Wahrheit aus Europa stammt, machte ihn von vornherein verdächtig. Denn jede aus Europa kommende Kritik an Israels Politik kann nur antisemitisch sein, unabhängig davon, was sie gerade verbrochen hat oder wie berechtigt die Kritik ist. Dieses Selbstschutzes bedient sich die politische Kultur Israels seit jeher, aber seine Anwendungspraxis ist in den letzten Jahren mit dem immensen Rechtsruck im Land erheblich gesteigert worden.
Wer das noch nicht kapiert hat, wurde auf die erforderliche Erkenntnis mit dem Hinweis gesteuert, daß der deutsche Politiker »im Haus der israelischen Demokratie« – horribile dictu! – seine Lüge »auf Deutsch« vorgetragen hatte. »Hitler«, »Auschwitz« und das gesamte Arsenal der israelischen Selbstviktimisierungs¬ideologie (also der Selbstdarstellung der Israelis als Opfer) wurde in den schlichten Satz kodiert, daß in den heiligen Hallen des israelischen Parlaments Deutsch gesprochen wurde – der verpönten Sprache eines gewissen Moses Mendelssohn, eines Heinrich Heine, Karl Marx, Sigmund Freud, Albert Einstein und einiger anderer Juden.
Daß auch Gott in Stellung gebracht wurde – »Gott hat den Juden dieses Land verheißen«, schrie der Knesset-Abgeordnete Motti Yogev – darf nicht als rhetorische Überspanntheit eines hysterischen Parlamentariers gewertet werden. Es handelt sich um das Grundpostulat einiger Parteien in der Knesset, unter ihnen mächtige Koalitionspartner der israelischen Regierung. So denken in Israel führende Politiker, so begründen sie ihre Handlungen, so handeln sie. Sie werden dabei nicht als rassistische Faschisten angesehen, sondern dürfen sich zu politisch legitimen Partnern selbst für Liberale vom Schlage eines Yair Lapid zählen.
Der Eklat ist vergangen, die Hysterie für diesmal verraucht. Aber die Erbärmlichkeit dieser in den Wonnen der Selbstviktimisierung sich suhlenden politischen Kultur bleibt – von Netanjahu abgesegnet. Der Deutsche ist desavouiert. Die faschistische Fratze darf sich wieder entspannen.
Prof. Dr. Moshe Zuckermann lehrt Geschichte und Philosophie an der Universität Tel Aviv
Quelle: jungewelt.de
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