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06.08.2014

 

Antisemitismus in Deutschland - An die Berliner Demonstranten

 

Sie skandieren antijüdische Parolen. Ich fühle mich davon herausgefordert. Nicht nur als Jude, sondern weil ich die Kritik an Israel in manchen Punkten teile. Aber meine eigene Familiengeschichte zeigt die Gefahren der Diskriminierung und des Hasses. Ein Gastbeitrag. - von Jason Stanley

 

Auf einer Berliner Demonstration zur Unterstützung der Palästinenser am 1. August

Jason Stanley

Ich bin ein Jude. Ihren Rufen, herauszukommen, um mit Ihnen zu kämpfen, werde ich nicht nachkommen. Ich möchte aber in diesem Brief erklären, warum es unzweckmäßig ist, wenn Sie Ihre Wut in solchen und ähnlichen Formulierungen auszudrücken.

 

Zu meiner Familiengeschichte: Mein Vater ist in Berlin aufgewachsen. Sein Lieblingsort war der Olivaer Platz in Charlottenburg. Er erinnert sich mit Freude an die Stunden auf den Bänken und an die gepflegten Grünanlagen. Seine Großeltern wohnten dort, vom Balkon ihrer Wohnung aus konnte er auf den Kurfürstendamm schauen. Auch seine Eltern waren in Berlin aufgewachsen und empfanden eine tiefe Verbundenheit mit der Stadt – wie Sie, die Sie heute dort frei demonstrieren können, sicherlich auch. Meine Großeltern machten Picknick im Grunewald und trafen ihre Freunde im „Kempinski“. Sie waren Deutsche, wie Sie auch. Aber keine deutschen Christen, wie die meisten von Ihnen.

 

Am Ende verlor meine Familie alles. Mein Großvater, Magnus Davidsohn, war Oberkantor an der Synagoge in der Fasanenstraße; mein Vater sah das Haus abbrennen. In der Reichspogromnacht wurde mein Vater brutal zusammengeschlagen, in Folge dessen quälten ihn sein Leben lang epileptische Anfälle.

 

Ich leide auch mit den Palästinensern
Durch einen wundersamen Zufall gelang meiner Großmutter und ihrem sechsjährigen Sohn die Ausreise in die Vereinigten Staaten. In Deutschland waren sie wohlhabend gewesen, aber als sie im Sommer 1939 in New York ankamen, hatten sie überhaupt nichts mehr. Meinem Großvater gelang die Ausreise nach Amerika nicht. Seinen Sohn sah er erst viele Jahre später. Mittlerweile fremdelten sie sehr. Deshalb habe ich meinen Großvater nie richtig kennengelernt. Durch dieses Erlebnis wurde mir bewusst, wie Schmerz, Wut und Trauer über Generationen weitergetragen werden können.

 

Mein Vater und seine Familie dachten oft mit Wehmut an ihre Berliner Heimat. Ihre Häuser wurden ihnen verbrecherisch entwendet, eine Entschädigung gab es nicht. In Amerika mussten sie sich eine neue Existenz aufbauen. Aber sie liebten ihre Heimat, sie liebten Berlin – obwohl Deutschland seine jüdischen Bürger systematisch ausgeraubt und ermordet hat.

 

Meine Familie weiß, was es bedeutet, aus der Heimat vertrieben zu werden, Hab und Gut zu verlieren. Im Unterschied zu den enteigneten Palästinensern fand meine Familie jedoch in Amerika echte Möglichkeiten, ein selbstbestimmte und sicheres Leben zu führen. Vielen Palästinensern hingegen blieb nichts anderes als eine elende Existenz in Flüchtlingslagern, mit einem Nachbarstaat, der sich in ihre angestammten Gebiete ausdehnte. Aber mein Vater hat mich dazu erzogen, auch die Ansicht der Palästinenser teilweise zu verstehen. Gerade weil ich auch mit den Palästinensern leide, kann ich Ihren Rufen nicht nachkommen.

 

Man könnte den Schluss ziehen, dass Juden nur im eigenen Staat sicher sind
Als jemand, der Ihre Wut über israelische Grausamkeit und das Leid der Palästinenser teilt, möchte ich Ihnen aber erklären, warum Ihre wütenden Proteste auf Berlins Straßen einen gerechten Frieden erschweren. Dazu muss ich abermals auf meine Familiengeschichte zurückkommen.

 

Auch meine Mutter ist eine Überlebende. 1940 auf der Flucht aus Polen geboren, hat sie den Krieg in Russland irgendwie überlebt. Auf der ganzen Welt trägt heute niemand mehr ihren Nachnamen. Nach dem Krieg war sie nach Polen zurückgekehrt. Sie musste dort in einem Waisenhaus leben. Für jüdische Kinder war es damals gefährlich, auf die Straße zu gehen. Zurückkehrenden Juden begegnete man mit Hass und Gewalt.

 

Mein Vater hatte Deutschland verlassen und ist in New York angekommen, wo er Baseball, Hollywood, und Sicherheit vorfand. Wenn man heute über Israel nachdenkt, ist es besser, die Erfahrung meiner Mutter als die meines Vaters im Sinn zu haben. Es ist verständlich, dass diejenigen, die Erfahrungen gemacht haben, die denen meiner Mutter gleichen, daraus den Schluss ziehen, dass die Juden weltweit gehasst werden und deshalb nur in einem von ihnen bewohnten Staat sicher sind.

 

Die Gleichheit ihrer Bürger ist der Test für jede Demokratie
Und so denken nicht nur Juden, sondern viele Gruppen, die sich der Verfolgung ausgesetzt sehen. Das leuchtet vielen ein: Dass jeder nur innerhalb seiner eigenen Gruppen sicher ist. Doch dieser Glaube, dass ethnische oder religiöse Minderheiten nur in ihrer Gemeinschaft sicher wären, steht in einem unlösbaren Konflikt mit dem liberalen und demokratischen Gedanken des Staatsbürgers. Freiheit und Gleichheit sind die fundamentalen Werte der Demokratie. Demokratische Staatsbürger müssen die Freiheit haben, ihre individuellen Ziele zu verfolgen, ohne dass ihre Gleichheit als Bürger in einem Rechtsstaat bedroht wird. Das ist der Test für jede Demokratie: Ob sie unterschiedliche religiöse oder ethnische Gesinnungen akzeptieren kann, ohne dabei ihre Bürger als ungleich anzusehen.

 

Daraus folgt, dass ein Staat, der Mitglieder einer bestimmten Religion als privilegierte Staatsbürger behandelt, keine Demokratie sein kann. Die Idee, dass Israel in erster Linie ein jüdischer Staat sein soll, macht eine israelische Demokratie unmöglich. Hat eine einzelne Religion im Staat zu viel Raum, verhindert das die Gleichheit der Bürger mit anderem religiösen Hintergrund.
Während Israel sich oft mit dem Titel der „einzigen Demokratie im Nahen Osten“ schmückt, ist die Wahrheit komplizierter. Über den Widerspruch, dass Israel Demokratie und jüdischer Staat zugleich ist, wurde viel diskutiert. Die Diskriminierung, die arabische Israelis hinnehmen müssen, verdeutlicht den unauflösbaren Widerspruch.

 

Ich bin dazu fähig, Deutschland zu lieben
Die Einwohner des Gazastreifens sind keine israelischen Bürger. Die Geschichte hat immer wieder gezeigt, dass es nicht möglich ist, den Feind zu entmenschlichen, die Nichten, Tanten und Onkel des Feindes aber als gleichberechtigte Staatsbürger zu behandeln. Das macht in Israel den Widerspruch besonders schwierig. Denn hier ist die Entmenschlichung der Bewohner des Gazastreifens notwendig, damit die israelische Bevölkerung die dichte Kontrolle Gazas mitträgt. Nehmen wir einmal an, dass es möglich wäre, den Widerspruch zwischen der Kontrolle des Gazastreifens, der ökonomischen und materiellen Ressourcen seiner Einwohner und dem Status ihrer Verwandten als vollwertige israelische Staatsbürger aufzulösen. Bestenfalls wäre es dann vom israelischen Staat immer noch heuchlerisch, Millionen von Palästinensern ihre demokratischen Rechte zu verwehren. Außerdem ist es demokratisch nicht zu legitimieren, den Hunderttausenden von Palästinensern, die nach der Staatsgründung geflohen waren, oder ihren Nachfahren die Staatsbürgerschaft zu verwehren.

 

So gibt es viele demokratische Israelis, die von einer stärkeren Trennung von Religion und Staat träumen, ohne dabei den jüdischen Charakter des israelischen Staates zu vergessen: Mit jüdischen Nationalfeiertagen beispielsweise und einer öffentlichen Rolle der Religion, wie wir sie im katholischen Spanien oder im anglikanischen England beobachten können. Leider sind wir von diesem Traum weit entfernt.

 

Ich verstehe, warum diejenigen, die die Erfahrungen meiner Mutter und ihrer Familie teilen, diese Einstellung demokratischer Bürger als hoffnungslose Phantasterei abtun. Aber ich weiß auch, dass sie falsch liegen. Denn ich bin häufig in die Heimat meines Vaters zurückgekehrt, nach Deutschland. Ich habe die Sprache dieses Landes gelernt, seine Literatur und Philosophie studiert und so die Liebe zu Deutschland nachvollzogen, die die Familie meines Vaters nie verloren hat. Ich bin zu dieser Liebe fähig, obwohl ich von Großeltern meiner deutschen Freunde weiß, die beim Mord an meinem Volk nicht nur mitmachten, sondern später auch keine Reue zeigten. Ich bin zu dieser Liebe fähig, obwohl mir ältere Deutsche erklärt haben, dass die Verbrechen der Juden an Deutschland schwerer wögen als die Verbrechen der Deutschen an Juden. Der Terror, den mein Vater in Berlin erfuhr, ist mir stets gegenwärtig. Und doch liebe ich es, in Berlin durch die Straßen zu wandeln und mir vorzustellen, wie es war, als meine Großeltern sich zum ersten Mal in einem Charlottenburger Café küssten.

 

Wer Hass propagiert, macht sich mitschuldig
Meine Großmutter Ilse Stanley rettete mit Hilfe eines ihr bekannten Gestapo-Mannes mehr als vierhundert Juden aus dem Konzentrationslager Sachsenhausen. Ohne die Hilfe dieses Mannes wäre das niemals möglich gewesen. Deshalb weiß ich: Selbst in der größtmöglichen Brutalität gibt es Menschlichkeit. Gerade wegen meiner Erfahrungen in Deutschland hoffe ich deshalb, dass eines Tages die Enkel der vertriebenen Palästinenser auf den Straßen Tel Avivs und Jerusalems umherstreifen werden, in freundschaftlicher Verbundenheit mit den Enkeln derer, die sie vertrieben hatten.

 

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Aber wenn ich sehe, wie in der einstigen Hauptstadt von Nazideutschland nun die Sprechchöre mit dem Ungeist der Vergangenheit wiederholt werden, wachsen auch in mir Zweifel. Vielleicht bin ich allzu naiv, wenn ich an die demokratischen Ideale von Freiheit, Gleichheit und Toleranz glaube? Wenn Sie auf den Straßen der Hauptstadt Hitlers stehen, was für viele das Versagen solch eines demokratischen Idealismus symbolisiert, und den Juden drohen, so stärken Sie nur jene Kräfte, die keine Gnade walten lassen wollen. So machen Sie sich letztlich mitschuldig an den Bomben, die in Schulen und in Krankenhäusern landen.

 

Jason Stanley, Jahrgang 1969, ist Professor für Philosophie in Yale. Er war Gastprofessor an der Humboldt-Universität zu Berlin und ist Autor zweier vielbeachteter Bücher über „Know How“ sowie „Knowledge and practical interest“. Im kommenden Jahr wird sein Buch „Why Propaganda Matters“ über Theorie und Wirkung von Propaganda bei Princeton University Press erscheinen.

 

aus dem Englischen von Johannes Dudziak.

 

Quelle: F.A.Z.

Link zum Beitrag auf der F.A.Z. Homepage

 

 

 

   

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