Bisher waren die Waffen der deutschen Islamophobiker nur Spott und böser Zynismus. Die Krawalle von Köln zeigen jetzt eine neue Qualität: Unser Problem ist die Islamophobie, nicht der Islam.
"Heute schächten sie Schafe und Rinder, morgen vielleicht schon Christenkinder." Mitten in Köln wurde das gesungen, auf einer Demonstration, die durch Polizei und Grundgesetz geschützt war. Freunde des Krawalls hatten sich mit Feinden der Demokratie zusammengetan. Ihr Ziel: "Deutschland verteidigen", gegen die Salafisten, eigentlich gegen alle Muslime und den ganzen Islam. Die Polizeigewerkschaft sprach danach von einer "neuen Qualität der Gewalt". Aber diese Gewalt schwelt schon lange.
Der Hass auf den Islam breitet sich in Deutschland aus. Er fasst Wurzeln in der Politik und in den Medien. Hass erzeugt Gewalt: 78 Übergriffe auf Moscheen gab es von Januar 2012 bis zum Frühjahr 2014. Es gab keine Welle der Solidarisierung mit den Muslimen in Deutschland. In Köln ist die Gewalt nun auf der Straße sichtbar geworden. Da geht die Saat auf, die die Hassprediger der Islamophobie gesät haben.
Neulich kam es im Springer-Verlag zu einem sonderbaren Vorgang: Kai Diekmann, Chefredakteur der "Bild"-Zeitung widerrief öffentlich einen Kommentar der "Bild am Sonntag". Dort stand: "Ist Religion ein Integrationshindernis? Mein Eindruck: nicht immer. Aber beim Islam wohl ja. ... Ich brauche keinen importierten Rassismus, und wofür der Islam sonst noch steht, brauche ich auch nicht." Diekmann reagierte sofort. Er schrieb: "Bei BILD und Axel Springer ist … kein Raum für pauschalisierende, herabwürdigende Äußerungen gegenüber dem Islam und den Menschen, die an Allah glauben."
Gut gesagt. Aber leider falsch. Denn Springers "Welt" - für die Diekmann keine Verantwortung trägt - ist längst zum Fachblatt für deutsche Islamophobiker geworden. Diekmann schrieb von der "Trennlinie zwischen der Weltreligion des Islam und der menschenverachtenden Ideologie des Islamismus". In der "Welt" macht man sich darüber lustig: "Wenn man überall eine künstliche Trennlinie ziehen würde wie zwischen Islam und Islamismus, und alles, was schlecht ist, 'nichts mit dem Islam zu tun hat', käme man zu höchst interessanten Ergebnissen. Dann hätte die 'globale Erderwärmung' nichts mit dem Klimawandel zu tun, die Wirtschaftskrise nichts mit dem Kapitalismus und die Linke nichts mit der SED."
Der Konflikt im Springer-Verlag ist ein Symptom: Die deutsche Bourgeoisie meldet sich in Sachen Kulturkritik zu Wort. Es soll endlich ein Ende haben mit dem verhassten "Gutmenschentum". Toleranz? Gefährlich. Immigration? Gescheitert. Multikulturalität? Lächerlich.
Im Kampf gegen den Islam läuft vieles zusammen: ein säkulares Misstrauen gegenüber einer Religion. Die Wut auf den Sexismus in den islamischen Staaten. Der soziale Rassismus gegenüber der Religion der Deklassierten. Und der genuine Rassismus, der im Islam das Fremde ablehnt. Aber am Ende trifft sich das in einem Punkt: dem Vorurteil gegen alle Muslime. Die neue Rechtspartei AfD wächst auf dem so gedüngten Boden.
Als der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte sich mit dem französischen Burka-Verbot befasste, gaben zwei Richterinnen ein Sondervotum zu Protokoll. Sie sagten, in den offenen, europäischen Gesellschaften könne niemand ein Recht geltend machen, "nicht schockiert oder provoziert zu werden" von "Modellen kultureller oder religiöser Identität", die vom Üblichen abwichen und vom "französischen oder europäischen Lebensstil sehr weit entfernt" seien.
Aber jeder pflegt seine Angst wie er kann. Der gewaltbereite Salafistgeht zum Hassprediger. Der deutsche Islamophobiker liest die "Welt" oder das sogenannte Autorenblog "Achse des Guten". Ein besonders zynischer und brutaler Tonfall wird hier gepflegt. "Lauter Sachen, die nichts mit dem Islam zu tun haben" heißt eine Kategorie, unter der von Vergewaltigungen bis zu Steinigungen allerhand Schauergeschichten aus dem Morgenland gesammelt werden.
Selbst wenn diese Geschichten wahr sind, so sind sie doch nicht die Wahrheit. Die Umkehrung entsteht durch Demagogie. Aber wir sitzen schon in der Falle. Der Kampf gegen Straftäter sollte eine Sache für Polizei undGeheimdienste sein. Stattdessen gilt schon: Deutschland sucht den Super-Salafisten. Das Stuttgarter Landesamt für Verfassungsschutz gibt Handreichung zur Feinderkennung: "Wenn ein Mann einer Frau zum Beispiel nicht mehr die Hand gibt oder Hosen trägt, die über dem Knöchel enden." Andererseits sei nicht jeder Mann in zu kurzen Hosen ein Salafist.
Es darf kein neuer Rassismus im Schatten der Sorgen erblühen, die sich der Westen über das Scheitern der arabischen Welt macht. Denn wir erleben ja das schmerzhafte Zerbrechen der postkolonialen Staaten. Die meisten Muslime aber leben in Indonesien, Pakistan, Indien und Bangladesch. Die Probleme des arabischen Islam sind nicht unbedingt ihre.
Tatsächlich: Die Verbrechen des Islamismus haben mit dem Islam weniger zu tun als die Dummheit unserer Rechten mit uns selbst.
Die vollständige Kolumne erschien am 30.10.2014 in Spiegel online finden Sie hier.
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