Die von ALECSO ernannten Kulturhauptstädte haben das Ziel, mittels Treffen, Konfrontationen und Austausch zwischen Künstlern aller Art und dem Publikum für die gemeinsame Kultur und das Kulturerbe zu werben. Mit zahlreichen internationalen Veranstaltungen geht für Constantine, die Stadt im Nordosten des Landes mit ihren Felsen und von über 20 Brücken überspannten Schluchten, das Kulturjahr zu Ende. Besucher und Bewohner konnten sich über vielerlei Veranstaltungen freuen
Der letzte Monat im Jahr enthält das große Finale: im Dezember sind die Höhepunkte das Internationale Jazz Festival DimaJazz im großen Saal Ahmed-Bey, bei dem die Gruppe Cumibia Ya den Zuhörern „einheizte“, eine Ausstellung seltener historischer Fotos und Stiche im Palais du Bey und eine Kunstausstellung unter der Schirmherrschaft des Präsidenten Algeriens im am Rand der pittoresken Altstadt gelegenen Palais de la Culture Mohamed Laid El Khalifa, der das ganze Jahr Hochkonjunktur hatte. Die Ausstellung unter dem Motto „Arabische Territorien“ ist eine Premiere: nie zuvor konnte man hier zeitgenössische arabische Kunst in der Form von Malereien, Skulpturen, Videos, Installationen und Foto-Kollagen sehen – das Kulturjahr zeigt den Menschen dieser Region erstmals, was auf internationalen Biennalen weltweit – auch in arabischen Ländern – längst zum künstlerischen Alltag gehört. Mit den „ungewöhnlichen“ Kunstarten soll die Kunst bewusst diversifizierte Eindrücke bei den Besuchern hinterlassen. Es geht um die arabische Identität und die Künstler verwenden dazu starke Symbolik.
Da ist z. B. der syrische Künstler Rabee Kiwan, der mit einer Passfotokollage mit gestempelten Gesichtern den Betrachter im Umklaren lässt, woher die realen und fiktiven Personen wirklich stammen. Die Identität eines Menschen ist wohl woanders zu suchen. Der Künstler, der 1984 in Sweida in Syrien geboren wurde, graduierte 2008 am Fine Art College der Universität Damaskus. „Das Anliegen meines Werkes ist der Mensch in allen seinen Facetten. Seit ich mich mit Kunst befasse, beobachte ich die Realität und setze sie künstlerisch um“, ist sein Statement im ausführlichen Katalog der Ausstellung. Aus Algerien stammt Kamel Yahiaoui (Jg. 1966) mit Kunststudium in Algier, der die Installation „L’armee des faux“ schuf, mit der er „Freiheit, Gerechtigkeit und Identität“ ausdrücken will – und seine Wurzeln als Berber, Afrikaner, Araber und Bewohner des Mittelmeerraums. Der einzige Künstler der Gegend ist Adel Bentounsi (Jahrgang 1982) aus Annaba, der die Bereiche Malerei, Installationen, Skulpturen und Videos in einem Kulturzentrum in Annaba unterrichtet. Insgesamt 26 Künstler aus Syrien, Irak, Ägypten, Tunesien, Marokko, Palästina, Libanon und Algerien haben sich in Constantine vom 23. Oktober bis zum 7. November 2015 in einem „Artist in Residence“- Programm zusammengefunden und jeder auf seine Art vor Ort das Ausstellungsthema verarbeitet. Das Ergebnis zeigt die „Arabischen Territorien“ von heute, mit dem Wunschtraum eines gemeinsamen Kulturerbes und den Fakten der kulturellen und geistigen Unterschiede von Kurden, Berbern, Muslimen, Christen, die den eigentlichen kulturellen Reichtum ausmachen.
In der lokalen Presse wird sehr bedauert, dass die Künstler schon kurz nach der Eröffnung der Ausstellung in ihre Heimatländer abreisten. „Es wäre schön gewesen, wenn sie bis Ende Dezember geblieben wären“, so Naima Djekhar von der französich-sprachigen Tageszeitung El Watan. „Das hätte dazu beitragen können, junge Talente in dieser Gegend in größerem Maße an diese Art der zeitgenössischen Kunst heranzuführen und Ideen und Erfahrungen auszutauschen“.
Text und Fotos: Barbara Schumacher
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