Deutsche Waffen für die Kurden – Ein Angriff auf die Türkei?
Von Matthias Hofmann (MA)
Das ganze Chaos in Nahost bezüglich des Islamischen Staates verursacht bei vielen Europäern Kopfzerbrechen, ob deutsche Waffenlieferungen an die Kurden denn der Weisheit letzter Schluss seien. Denn Waffenlieferungen an die Kurden könnten nicht nur alleine die Gefahr bedeuten, dass die Waffen auch für die Souveränitätsbestrebungen der Kurden gegen den Staat Irak Verwendung finden, sondern diese Waffen könnten auch zu einem neuerlichen Konflikt zwischen Kurden und Türken führen. Auch wenn die deutsche Bundekanzlerin Frau Dr. Merkel Waffenlieferungen an die PKK ausgeschlossen hat, wäre es doch vermessen anzunehmen, dass die PKK von den deutschen Waffenlieferungen nicht profitieren wird.
Wie wird aber die Türkei deutsche Waffenlieferungen an die Kurden verstehen?
Die Türkei die sich zurzeit auffallend ruhig verhält, könnte die deutschen Waffenlieferungen durchaus als einen Affront gegen sich ansehen. Vor allem da die deutsch-türkischen Beziehungen wegen der Spionageaffäre überdies momentan doch eher getrübt sind. Die Türkei aber reagiert nicht auf das Vorhaben der Deutschen Bundesregierung. Allerdings dürfte die vorgebliche Teilnahmslosigkeit der Türkei eher darin begründet sein, dass der neue türkische Präsident Erdogan nunmehr dabei sein wird, seiner neuen Position auch genügend Macht zu verschaffen, indem er die türkische Verfassung ändern lässt.
Dennoch werden wir nicht lange auf eine türkische Reaktion warten müssen. Spielt doch dieses deutsche Vorgehen Erdogan in die Hände, da er nun dem türkischen Volk vorführen kann, dass sie in der Stunde der Gefahr – da das angeblich verbündete Deutschland nun neben der Bespitzelung auch noch kurdische Rebellen mit Waffen für den Kampf gegen kurdischen Feinde unterstützt – dringend einen straken Präsidenten brauchen. Viele Türken, die in Erdogan fast schon einen zweiten Atatürk sehen wollen, werden ihm Glauben schenken und sein Bestreben nach einer besonderen Präsidialrepublik unterstützen.
Allgemein ist im derzeitigen Chaos in Nahost die Rolle der Türkei noch nicht definiert. Ein kurzer Überblick türkischer Außenpolitik:
1) Die Türkei strebt seit einigen Jahren eine politische sowie wirtschaftliche Schlüsselposition im Mittelmeerraum und am Übergang von Okzident und Orient an.
2) Die Türkei hat mit ihrer Unterstützung der Rebellen in Syrien die territoriale Integrität des Staates Syrien zerrüttet, damit Syrien nicht zu einem starken/gefährlichen Nachbarn aufsteigen konnte
3) Die Türkei hat mit ihrem einstigen Verbündeten Israel gebrochen, um für eine Intensivierung der politischen und wirtschaftlichen Beziehungen gegenüber der Arabischen Welt offen sein zu können.
4) Die Türkei steht einer kurdischen Souveränität im Nordirak skeptisch gegenüber und hat damit gedroht, im Zweifelsfall – wenn türkische Interessen gefährdet wären – militärisch einzugreifen.
5) Die Türkei will keine kurdischen Autonomien an ihrer Grenze zu Syrien dulden.
Innenpolitisch schwebt Erdogan eine – wie er es nennt – Korrektur der Verfassung Atatürks vor, indem er unter anderem der Religion wieder mehr Eingriffsmöglichkeiten in das gesellschaftspolitische Handeln der Türkei einräumen möchte. Auch sind ihm die türkischen Kurden nach wie vor suspekt. Muss er doch befürchten, dass sie im Zuge einer Souveränitätserklärung der heutigen Autonomie Kurdistan im Nordirak, ebenfalls zumindest eine Autonomie, oder sogar vielleicht auch mehr, in der Türkei fordern könnten.
Aufgrund der außen – sowie der innenpolitischen Absichten Erdogans stellt sich nunmehr die Frage, wie wird sich die Türkei künftig gegenüber dem Islamischen Staat verhält? Dazu vier nach meiner Ansicht mögliche Szenarien:
1) Die Türkei könnte den IS unterstützen, da dieser sowohl gegen den türkischen Feind Assad als auch gegen die türkischen Feinde, die Kurden, vorgeht und sich damit in eine Gegnerposition zu Europa und den USA (NATO) bringen.
2) Die Türkei teilt die europäischen Befürchtungen und bekämpft den IS zusätzlich tatkräftig und konterkariert damit, Erdogans religiöses innenpolitisches Ansinnen. Zudem müsste die Türkei dann auch einen versöhnlichen Kurs gegenüber allen innen- wie außenpolitischen kurdischen Bestrebungen einschlagen.
3) Die Türkei teilt die europäischen Befürchtungen, aber verbittet sich, die Kurden mit Waffen zu versorgen und fordert stattdessen ein NATO geführtes militärisches Vorgehen gegen den IS an der türkischen Süd- und Ostgrenze.
4) Die Türkei nutzt das allgemeine Chaos in Nahost und die deutschen Waffenlieferungen an die Kurden aus und greift ihrerseits die kurdische Autonomie im Nordirak an – vorgeblich um Waffenlieferungen an die PKK und einen allgemein zu befürchteten Aufstand der Kurden zu verhindern – und annektiert Teile der kurdischen Autonomie im Nordirak.
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