Vor zwei Wochen ist sie 90 Jahre alt geworden, aber das hält die jüdische Friedensaktivistin Hedy Epstein nicht davon ab, für ihre Überzeugung auf die Straße zu gehen und sich zur Not mit Kabelbindern, gefesselt von der Polizei, abführen zu lassen. So geschehen in St. Louis/Missouri, ihrem Wohnort in den USA, bei den aktuellen Protesten gegen Rassendiskriminierung. Geboren wurde Hedy Epstein in Freiburg. Sie hat den Holocaust überlebt, ist Ende der 40er Jahre in die USA emigriert und engagiert sich, nicht nur gegen Rassismus, sondern auch für die Rechte der Palästinenser. Gemeinsam mit anderen Holocaust-Überlebenden protestiert sie seit Jahren gegen das Vorgehen der israelischen Armee im Gazastreifen.
Die Holocaust-Überlebende Edy Epstein 2010 im "Memorium Nürnberger Prozesse"
Frau Epstein, nun soll es ja eine dauerhafte Waffenruhe geben. Trauen Sie dem Frieden?
Die Gewalttaten von Israel, besonders jetzt in Gaza, müssen unbedingt aufhören. Es muss endlich Frieden geben. Aber wenn Israel Frieden haben will, dann müssen sie sich anders benehmen. Man kann nicht eine ganze Bevölkerung unterdrücken und dann hoffen, dass sie sagen: "Ja, danke schön, das freut uns sehr." Nein, man hat ein Recht, sich dagegen zu wehren.
In Israel verteidigen ja viele Menschen die harte Linie gegenüber der Hamas damit, dass die eigene Existenz nie wieder so bedroht werden dürfe wie im Holocaust. Sie haben den Holocaust selbst miterlebt, kommen aber offenbar zu ganz anderen Schlüssen.
Die Lehre, die ich aus dem Holocaust gelernt habe, ist, dass man niemand anderen unterdrücken soll. Und wenn das passiert, wenn jemand oder eine ganze Bevölkerung unterdrückt wird, dann muss man dagegen kämpfen. Man kann nicht einfach sagen: "Na ja, das ist schlimm, aber was kann ich denn dagegen tun?" Und dann macht man eben gar nichts. Aber wenn man gar nichts tut, dann ist man genauso schuldig wie diejenigen, die unterdrücken. Ich kann nicht einfach zusehen und gar nichts machen, ich muss mich einsetzen für andere Leute.
Teilen denn andere Holocaust-Überlebende in den USA Ihre Haltung?
Ja, am letzten Samstag war in der "New York Times" sogar eine ganz große Werbeanzeige, die mehrere Hundert Holocaust-Überlebende bzw. die Kinder von Holocaust-Überlebenden unterschrieben haben. Ich bin also nicht allein mit der Meinung.
Sie leben in den USA, weit weg vom Bombenterror der Hamas. Haben Sie es da vielleicht ein bisschen einfacher?
Das ist aber keine Entschuldigung, dass ich mich nicht dafür interessiere. Aber was mich besonders bedrückt ist, dass Leute in Deutschland der Überzeugung sind und ich war jetzt mehrmals in Deutschland und habe mit Deutschen gesprochen, dass man Israel überhaupt nicht kritisieren darf, dass alles, was Israel macht, wunderbar ist. Also, wenn ein anderes Land das tun würde, was Israel, was die Palästinenser tun, schon seit vielen Jahren, dann würde Deutschland dagegen protestieren. Aber Israel darf man eben nicht kritisieren, weil man sich schuldig fühlt wegen des Holocaust. Der Holocaust ist vorüber. Die meisten Leute heute haben damals noch gar nicht gelebt. Also, man soll Israel nicht anders behandeln als jedes andere Land.
Dieser Konflikt schwelt ja nun seit Jahrzehnten, unzählige Male hat es Verhandlungen gegeben, Waffenruhen, dann wieder Bomben. Glauben Sie immer noch an eine Lösung? Und wie müsste die aussehen?
Es muss eine Lösung geben. Das muss aufhören. Man kann nicht alle zwei Jahre Gaza angreifen. Man muss Frieden haben, nicht nur in Gaza, auch in Westjordanien und in Israel. Wenn Israel aufhört, die Palästinenser zu verfolgen, dann werden sie Frieden haben. Wenn sie weiter so machen, dann wird es keinen Frieden geben. Wenn man angegriffen wird, dann hat man ein Recht, unter internationalen Gesetzen, sich zu verteidigen. Aber wenn die Palästinenser sich verteidigen, dann werden sie als Terroristen angegriffen. Das sind keine Terroristen. In Deutschland gab es während des Holocaust auch Menschen, die sich gegen das Hitler-Regime gewehrt haben, das waren auch keine Terroristen.
Würden Sie diesen Vergleich ziehen zwischen dem Widerstand gegen Hitler und dem Aufstand der Palästinenser?
Nein, ich mache nicht gerne Vergleiche, jede Situation muss für sich betrachtet werden. Aber ich sage trotzdem, dass es Situationen gibt, die ähnlich sind. Israel ist, glaube ich, die viertgrößte Militärmacht. Und was haben die Palästinenser? Sie haben keine Flugzeuge, sie haben keine Schiffe, sie haben keine Armee. Wer ist da der Unterdrückte?
SWR2 Kulturgespräch mit der Holocaust-Überlebenden und Friedensaktivistin Hedy Epstein führte Jörg Armbrüster am 28.8.2014 um 7.45 Uhr.
< Aus Libyen erreicht uns soeben ein Optimismus verströmender Bericht - Tripolis 31.August 2014