von Ben Bawey
Mit dem Verweis auf die „immerwährende Verantwortung Deutschlands“ legte Bundeskanzlerin Angela Merkel am Montag dar, warum deutsche Waffenlieferungen an die Kurden des Iraks sinnvoll und richtig seien. Insgesamt gehe es darum, eine weitere Destabilisierung des von Leid und Terror geplagten Nahen Ostens und seiner Bevölkerung zu verhindern.
Die Entscheidung der Bundesregierung fiel mit dem 01. September zusammen, was – wie zu erwarten – nicht unkommentiert blieb.
Genau 75 Jahre nach Hitlers Angriff auf Polen scheint es offensichtlich naheliegend zu sein, in größeren historischen Dimensionen zu denken und Vergleiche zu wagen. Um den Zweiten Weltkrieg soll es an dieser Stelle nicht gehen. Dennoch kommt man nicht an der Geschichte vorbei, wenn gefragt wird, wo genau nun dieses Land liegt, in das deutsche Waffen geliefert werden sollen.
Teile und herrsche
„Kurdistan“ ist ein aus dem 12. Jahrhundert überlieferter Begriff, der das „Land der Kurden“ bezeichnet, welches sich jedoch bis heute nicht auf der Weltkarte finden lässt. Die kurdischen Siedlungsgebiete wurden ab dem 17. Jahrhundert zwischen dem Osmanischen Reich und Persien aufgeteilt. Fortan waren viele Kurden Teil einer Provinz, die dem osmanischen Sultan unterstellt war.
Nachdem das Osmanische Reich auf Seiten Deutschlands in den Ersten Weltkrieg eingetreten war, förderten vor allem die Briten einen arabischen Nationalismus, der gegen die türkischen Besatzer gerichtet war. Den Gegnern der Mittelmächte ging es um die Zerschlagung des deutschen Bündnispartners, den Zugriff auf das Öl Mesopotamiens und die Schaffung einer neuen Ordnung im Nahen Osten.
Bereits im Geheimabkommen von Sykes-Picot von 1916 wurde die Konkursmasse des „kranken Mannes am Bosporus“ zerschlagen und aufgeteilt. Gemäß dem Credo „divide et impera“ wurden Klein- und Kleinststaaten mit meist schwachen Regierungen geschaffen. Während die Araber in Konstrukten wie dem Irak, Palästina, dem Libanon oder Transjordanien aufgeteilt wurden, konnten sich die Kurden durch den 1920 geschlossenen Vertrag von Sèrves eine gewisse Autonomie sichern, die ihnen Kemal Atatürk mit der Gründung der Türkei jedoch schnell wieder entzog.
Seitdem leben circa 30 Millionen Kurden aufgeteilt zwischen dem Osten der Türkei, dem Nordosten Syriens, den sunnitischen Siedlungsgebieten Iraks, den westlichen Gebieten des Irans sowie in den ehemaligen transkaukasischen Ländern der Sowjetunion. Teils wurden die Kurden als „Bergtürken“ unterdrückt und diskriminiert. Im irakischen Kirkuk oder in Khanqin wurden sie brutal „arabisiert“, was nichts anderes als Vertreibungen und Massendeportationen bedeutete. Nach zwei Golfkriegen und einem weiteren US-amerikanischen Einmarsch im Irak im Jahre 2003 sollte der Nahe Osten abermals einer neuen Weltordnung unterworfen werden. Statt einem Leuchten durch die Fackel der Freiheit, ging das Land in Flammen auf und es folgte ein Terror, dem zehntausende, vielleicht hunderttausende Menschen zum Opfer fielen. Der Arabische Frühling griff ab 2011 von Nordafrika kommend auf Syrien über, das seitdem in einem blutigen Bürgerkrieg versunken ist.
Sind die Kurden die neuen Mujaheddin?
Nachdem der Westen Baschar al-Assad verfrüht als Gesprächspartner fallen ließ, schaut er nun tatenlos zu, wie eine rote Linie nach der anderen überschritten wird. Seit Beginn des Aufstands gegen Assad haben 200 000 Syrer ihr Leben verloren, Millionen sind auf der Flucht. Der syrische Staat als solches ist zerfallen, ein Prozess, der, ausgelöst durch den Einmarsch der Amerikaner, auch im Irak voranschreitet. Genau das ist der Nährboden für den Terror der sogenannten IS-Terroristen.
Inmitten dieses Chaos liegt ein Land namens Kurdistan, in welches nun Panzerabwehrsysteme und Sturmgewehre geliefert werden. Was passiert eigentlich, wenn diese Waffen für die kurdischen Peschmerga in die Hände der PKK gelangen und gegen den NATO-Partner Türkei gerichtet werden? Der Vergleich zu den Mujaheddin im Afghanistankrieg zwingt sich beinahe auf. Die Konfliktlinien des Nahen Ostens verlaufen nicht nur entlang ethnischer und religiöser Bruchlinien. Eine Unterstützung der mehrheitlich sunnitischen Kurden - unter denen sich viele Aleviten (nicht zu verwechseln mit den syrischen Alawiten) und Yeziden befinden - führt nicht automatisch zur Schwächung des islamistischen Terrorismus, dem im Übrigen bisher mehrheitlich Muslime zum Opfer gefallen sind.
Selbst wenn sich die Kurden gegen die IS-Milizen behaupten, könnte dies den Staatszerfallsprozess im Irak und in Syrien nicht verhindern. Eine weitere kurdische Autonomie oder gar Unabhängigkeit würde diese Entwicklung eher noch beschleunigen, besonders, wenn es um den Zugriff auf die ölreichen Regionen im kurdisch-syrisch-irakischen Grenzgebiet ginge. Der Hinweis auf den Zweiten Weltkrieg ist unnötig. Es genügt ein Blick auf die jüngste Geschichte des Nahen Ostens, um zu sehen, was unüberlegte Eingriffe, Alleingänge und einseitige Parteinahmen in dieser Region anrichten können.
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